#Barack Obama

Die Legende vom Apfelwein-Obama

von , 9.1.09

Mit Blick auf die medialen Besonderheiten des Landtagswahlkampfs in Hessen ist keine Frage häufiger gestellt worden als die nach den „Auswirkungen des US-Präsidentschaftswahlkampfs und ganz besonders der Rolle des Internet“. Deutsche Medien berichten landauf, landab, dass die jetzt beinahe schon legendäre Online-Kampagne von Thorsten Schäfer-Gümbel überhaupt nur als Folge des erfolgreichen Internetwahlkampfs in den USA funktioniere – als digitales Echo und Abglanz des ersten „e-Präsidenten“. In einer etwas seltsamen Wendung konnte der eher spröde Spitzenkandidat mit dem Label „TSG“ dabei zu einer Art politischer Internet-Berühmtheit werden und ganz nebenbei bewahrheitet sich scheinbar auch mal wieder die beliebte „Amerikanisierungsthese“ – jenseits des Atlantiks entwickeln sich neuartige Formen politischer Kommunikation, die schlafmützige deutsche Politik reagiert darauf, ahmt ein paar Elemente nach und hofft, dass es passt.

Das wäre alles nicht unbedingt bemerkenswert. Beim näheren Hinsehen fallen aber doch einige Ecken und Kanten dieser kleinen „Legende vom Apfelwein-Obama“ auf.

Interessant ist zunächst der Imagewandel des Internet vom Wahlkampf-Aschenputtel, dem noch im Sommer hierzulande kaum jemand wahlentscheidende Wirkung beimessen wollte, über das „junge, wilde Netzmedium“ mit Innovationsqualität bis hin zur „neuen Machtressource“ des Weißen Hauses. Für eine ausführliche Darstellung gerade der Begriffskarriere in den deutschen Medien fehlt an dieser Stelle der Raum, stellvertetend sei an die „Twitter-Episode“ um Hubertus Heil während des Parteitages der Demokraten im August erinnert. Oder an diese seltsamen Experimente der Kandidaten mit Online-Communities wie MySpace oder Facebook – oder diese personalisierten E-Mails mit Informationen zum Kampagnenverlauf und Spendenaufrufen. Und so weiter, und so weiter.

Der erste deutsche Landtagswahlkampf nach der US-Wahl ist nun zu einem kleinen Lehrstück des Missverstehens in der gar nicht mehr so jungen Entwicklungsgeschichte des Internets als Wahlkampfumgebung geworden. Die SPD mit Thorsten Schäfer-Gümbel vorweg bespielt im ultrakurzen, von Weihnachtsfeiertagen und Jahreswechsel unterbrochenen Wahlkampf die derzeit üblichen Online-Kanäle. Sie ist nicht nur mit einer Kandidaten-Homepage am Start, sondern eben auch mit YouTube-Videos, Profilseiten auf den Social Network Sites StudiVZ, Facebook und Wer-kennt-wen, darüber hinaus betreibt „TSG“ seit dem offiziellen Wahlkampfauftakt am 4. Januar einen Twitter-Account. Die übrigen Parteien folgen dieser Diversifizierungsstrategie bemüht (wie die Grünen mit eifriger Social Media-Präsenz), halbherzig (wie die CDU mit dem nur dem Namen nach modernen Webcamp09) oder gar nicht (wie FDP und Linkspartei). Doch dadurch wandelt TSG längst nicht auf Obamas Spuren, und der hessische Landtagswahlkampf ist auch kein Abbild der US-Kampagne im Westentaschenformat – die digitale Wahlkampfführung der hessischen Parteien spiegelt damit einfach nur den aktuellen Entwicklungsstand des Online-Campaigning in Deutschland, mehr nicht.

Im Schlaglicht der eilig mit Photoshop zusammengebastelten Schäfer-Gümbel/Obama-Logos (Motto: Yo isch kann!), vor sich hin blubbernden Musikvideoclips (Rob Vegas „Schaefer Guembel Song“) oder schrulligen Animationsfilmen (Jonas Kramers “Supergümbel – Der Film”) haben substanzielle Vergleiche der politischen Internet-Nutzung quasi keine Chance.

Denn mit nur etwas mehr Distanz zum Gegenstand ließe sich schnell feststellen: Allein schon der Zeitfaktor verbietet einen Vergleich der Online-Kampagnen – viele der letztlich entscheidenden Wirkungen des Obama-Wahlkampfs waren ein Produkt der immensen Lauf- und Entwicklungszeiten der Kandidaten-Präsenz auf den verschiedenen Netzwerk-Plattformen. Zwischen Beginn der Kandidatur Anfang 2007 bis zur Wahl Ende 2008 lagen beinahe zwei Jahre Zeit für eine aufwändige Netzwerkpflege und den teuren Aufbau leistungsfähiger Adressdatenbanken. Während dieser zwanzig Monate fand auf den Homepages beider Präsidentschaftskandidaten ein allmählicher Gestaltwandel statt, der das digitale Glanzpapier der Anfangsmonate in eigenständige Social Network Sites transformiert hat: am Ende des Entwicklungsprozesses stand mit MyBarackObama.com eine neue Form vernetzter politischer Öffentlichkeit, ein personenzentrierter Interaktionsraum mit der Reichweite einer prominenten Fernsehsendung und den Funktionalitäten von Facebook. Derartige Entwicklungen und Effekte lassen sich in Deutschland nicht einmal mehr bis zur Bundestagswahl im Herbst 2009 erzielen, geschweige denn in einem auf wenige Wochen verkürzten Landtagswahlkampf.

Außerdem ist die mediale Stimmung im Land der politischen Digitalisierung nicht gerade zuträglich – mit Blick auf die extrem wankelmütige Berichterstattung über die Online-Bemühungen der deutschen Politik (durch Offline-, nicht selten aber auch durch Online-Medien) werden die Protagonisten in eine Zwickmühle getrieben: einerseits eilt den deutschen Online-Aktivitäten der Ruf langweiliger Pixel-Bürokratie voraus (etwa im Video-Podcast der Kanzlerin), andererseits wird auf Abweichungen von der Norm gerne mit dem „Jugendwahn“-Vorwurf reagiert (etwa bei der Social Network-Kampagne des „Team Beckstein“ zur bayerischen Landtagswahl). Dadurch bedarf jede Innovation der Kampagnenführung eine Extraportion Mut – denn das negative Feedback ist gewissermaßen vorprogrammiert.

Und auch ein Blick auf die Wählerschaft sollte nicht fehlen – zwar hat sich in Deutschland durchaus herumgesprochen, dass es sich beim Web 2.0 um das so genannte „Mitmach-Netz“ handelt, also die Produktion eigener Inhalte einfacher und attraktiver geworden ist – doch bislang macht noch kaum jemand Gebrauch davon. Der „wähler-generierte Inhalt“ des hessischen Landtagswahlkampfs bleibt unpolitisch – bis auf wenige Ausnahmen – und erschöpft sich in Photoshop-Gaukeleien, albernen Musikvideos und Animationsfilmen oder kopierten Twitter-Identitäten. Auch hier gilt zwar das Argument der fehlenden Entwicklungszeit, doch immerhin ein paar Ansätze für eine ernsthafte Einmischung in den digitalen Wahlkampf hätte man sich schon erhofft.

Bleibt schließlich ein letztes Missverständnis auf dem Weg zum Ende der Legende vom Apfelwein-Obama: warum kommt eigentlich niemand auf die Idee, dass es noch ein anderes Vergleichs-Setting aus dem US-Wahlkampf für Thorsten Schäfer-Gümbel gibt? Im Grunde ähnelt die Situation der hessischen SPD doch viel eher der Lage der strauchelnden Republikaner – eine „lame duck“ im Hintergrund, Querelen in den eigenen Reihen, Rückstand in den Umfragen… und nur eine wagemutige Personalentscheidung kann die öffentliche Aufmerksamkeit und das „Momentum“ zurückerobern: Genau, Thorsten Schäfer-Gümbel hat die hessische SPD als Spitzenkandidat in einer „Sarah Palin-Situation“ übernommen.

Doch das ist eine andere Geschichte.

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