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Alphamännchen

von , 11.11.10

Alphamännchen sind Männer in gehobenen Positionen: Aggressive Führungskräfte, die Selbstkritik verabscheuen und in Drucksituationen unberechenbar handeln. Sie können charismatisch auftreten oder cholerisch, großkotzig oder gewinnend. Sie leben in einer imaginären Burschenschaft, auch wenn sie den einsamen Wolf geben oder das Leben eines ‚Womanizers’ führen. Sie treten gern im Rudel auf – doch das ist Kumpanei auf Zeit: ein Pakt zur Machteroberung und Machterhaltung. Bei Bedarf wird der Pakt gebrochen und die alten Kumpel werden wieder zu Rivalen.

Vier Eigenschaften zeichnen das Alphamännchen aus:

  1. ein frühes Putschbedürfnis einer alten Ordnung gegenüber.
  2. ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, das sich im Lauf der Zeit in Rechthaberei verwandelt und meist damit endet, dass jede Kleinigkeit zur Chefsache erklärt wird.
  3. ein sympathisch erscheinender, sentimentaler Hang zur Familie, und
  4. der Glaube an die eigene Unersetzbarkeit, die meist in Misstrauen, Starrsinn, Besserwisserei und arrogante Verachtung für alle potentiellen Nachfolger mündet.

Bei Alphamännchen treten diese Charakteristika exakt in dieser Reihenfolge auf.

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Machteroberung und Machtverlust: Das Beispiel Schröder

Die Übernahme der Macht durch einen Putsch ist zugleich die ideale Voraussetzung für das spätere Festhalten des Alphamännchens an überkommenen Positionen. Denn eine Revolte, ein Staatsstreich, ein abrupter Führungswechsel in einem Unternehmen wird stets verknüpft mit einer nachhaltigen Absicherung dieses Umsturzes und der Festschreibung der eigenen Überzeugungen als künftiger unumstößlicher Norm.

Ein klassischer Vertreter dieser Spezies ist Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, weil er das Revierverhalten auf mustergültige Weise erfüllte. Als junges Alphatier rüttelt er zornig und öffentlichkeitswirksam am Zaun des Kanzleramts. „Ich will da rein!“ schreit der soziale Aufsteiger mit dem brennenden Ehrgeiz, der sich selbst als anti-autoritär bezeichnet und die Altvorderen bei jeder Gelegenheit provoziert.

Nach dem Wegbeißen seiner Konkurrenten umgibt sich der Alphakanzler aber sehr schnell mit seinen Beta-Freunden aus Niedersachsen und entwickelt schon bald die Neigung, alles zur Chefsache zu erklären. Daneben erzeugt und bedient er den Kult um seine Familie und reagiert wehleidig, wenn die Medien diesen Kult nicht mehr so bedienen, wie es ihm gefällt. Es folgt der berühmte „suboptimale“ Abgang am Abend der verlorenen Wahl in der Elefantenrunde der ARD: „Ich geh’ nicht raus aus dem Kanzleramt!“ bockt Schröder und versucht, seine Nachfolgerin als unfähig hinzustellen.

Ein Alphamännchen kann nicht normal abtreten. Es fürchtet, nach ihm werde alles den Bach hinuntergehen. Es handelt nach dem Motto: Nach mir die Sintflut! In der ständigen Angst, ein Nachfolger könne einreißen, was das Alphamännchen in mühsamer Arbeit aufgebaut hat, zerstört es lieber sein Werk durch Ausharren im Amt – oder es hinterlässt dem Nachfolger schier unlösbare Aufgaben.

Rastlos ist das Alphamännchen bemüht, die Realität des eigenen Abgangs zu verdrängen. Es fürchtet, der Nachfolger könne entdecken, was in der Vorgänger-Ära schief gelaufen ist. Es hat Angst, die sorgsam geklitterte Geschichte der eigenen Amtszeit könne so umgeschrieben werden, wie es selbst die Geschichte des Vorgängers umgeschrieben hat.

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Revolte und Ancien Régime: Das Beispiel Hoeneß

Beim FC Bayern München, einem erstklassigen Revier von Alphatieren, verläuft die Geschichte des Alphamännchens wie im Lehrbuch: Dort treten – vor nunmehr 40 Jahren – die beiden Abiturienten Uli Hoeneß und Paul Breitner in den Profikader ein. Uli Hoeneß spielt nur wenige Jahre, denn Knieprobleme zwingen ihn zu einer frühen Beendigung seiner Karriere. Doch er hat die große Zeit des FC Bayern erlebt, die goldenen Jahre zwischen 1972 und 1976, als „die Roten“ drei Mal hintereinander den Europapokal der Landesmeister, die Frühform der Champions League, gewinnen.

Danach versinkt der Verein in einer Krise. Hoeneß geht aus Verärgerung über Trainer Gyula Lorant ins Exil nach Nürnberg, Breitner stänkert folgenlos gegen die beratungsresistente Vereinsführung. Die Karriere der beiden scheint vor dem endgültigen Aus zu stehen – da kapituliert, völlig unerwartet, die alte Bayern-Garde des „Betonpatriarchen“ Wilhelm Neudecker vor einer drohenden „Palastrevolution“ der Spieler um den aufmüpfigen Torwart Sepp Maier.

Profiteur der Revolte ist Uli Hoeneß. Im Alter von nur 27 Jahren wird er der jüngste (und der erfolgreichste) Profimanager des Vereins. Er leitet „die Wiedergeburt des FC Bayern“ ein, steigert den Umsatz von drei auf 300 Millionen Euro, wandelt die Fußballabteilung in eine Aktiengesellschaft um und macht die „FC Bayern München AG“ zur internationalen Größe.

In der Bundesliga kann den Bayern bald niemand mehr das Wasser reichen. Meisterschaft und DFB-Pokal haben die Münchner sozusagen abonniert. Der Mangel an Konkurrenz und eine immer selbstgefälliger werdende Führungsriege machen die Spieler satt und arrogant. Sie scheitern mehrmals in der Champions League, erreichen selbst in der Bundesliga nur einen enttäuschenden vierten Platz. Erstmals nach zehn Jahren sind die Bayern in der höchsten Spielklasse nicht mehr vertreten. 2007 sieht sich der FC Bayern einer vergleichbaren Krise gegenüber wie 1979.

Wie würden die Alphamännchen an der Spitze des Vereins reagieren? Rückblickend darf man sagen: geradezu klassisch. Sie machen nicht etwa sich selbst für die Krise verantwortlich – sie suchen die Ursachen bei anderen: bei den böswilligen Medien und ihrer Sucht nach spektakulären Geschichten; bei den Fernsehanstalten, die zu wenig Geld für die Fußball-Übertragungsrechte zahlen; bei den jungen, lauffaulen Spielern, die keinen richtigen Biss mehr haben. Die böse Schlagzeile der BILD-Zeitung am 23. April 2007 gegen die „Chaos-Bosse“ des FC Bayern – „Eigentlich müssen sie sich selbst feuern!“ – übergehen sie mit Schweigen; ebenso die Sticheleien der FAZ gegen das „Ancien Régime des FC Bayern“.

Im Verein selbst räumen die alternden Macher nun radikal auf. Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Franz Beckenbauer fordern unisono: Es ist Zeit für einen großen Schnitt. Nicht bei der Führung, sondern bei den Spielern.

Die Bayern-Granden steigern sich in einen nie dagewesenen Kaufrausch. Für die Rekordsumme von 70 Millionen Euro schnüren sie das bis dahin „teuerste Investmentpaket der Vereinsgeschichte“: Sie sichern sich das Stürmertrio Miroslav Klose, Franck Ribéry und Luca Toni. Ihre Trainer wechseln sie wie die Hemden: Auf Felix Magath folgt Otmar Hitzfeld, auf Otmar Hitzfeld folgen Jürgen Klinsmann und Jupp Heynckes. Und als auch diese Millionen-Transfers nicht den ersehnten Erfolg bringen, bauen Hoeneß und Rummenigge den Kader noch einmal um. Allein 2009 trennen sie sich von zwölf Spielern und holen 13 neue dafür, darunter Mario Gomez (für 30 Millionen Euro), Ivica Olic, Anatolij Tymoschtschuk und Arjen Robben. Jürgen Klinsmann muss den Verein nach nicht einmal einer Saison verlassen und wird durch den erfahrenen, autoritären Louis van Gaal ersetzt.

In der Konzern- und Vereinsspitze bleibt die Erneuerung aus. Hoeneß, 58, wird – wie vorgesehen – Präsident des FC Bayern und Aufsichtsratsvorsitzender der FC Bayern AG. Rummenigge, 54, verharrt auf dem Posten des Vorstandsvorsitzenden der AG. Und Beckenbauer, 64, wird Ehrenpräsident des FC Bayern und bleibt, was er immer war: der Kaiser.

Die wichtigen Posten des Vereins besetzen die Bayern-Lenker mit Kräften, die seit Jahrzehnten zur „Familie“ gehören: Paul Breitner, 58, fungiert als „Chefscout“ des FC Bayern und begutachtet Gegner und Talente; Sepp Maier, 66, Torwartlegende, ist bis ins hohe Alter Torwarttrainer des Vereins; „Titan“ Oliver Kahn, 41, wird Ehrenspielführer; Gerd Müller, 65, einst „Bomber der Nation“, ist Co-Trainer der zweiten Mannschaft; Mehmet Scholl, 39, 15 Jahre lang Bayern-Profi, trainiert die zweite Mannschaft. Seit Beckenbauer 1966 mit dem Lied „Gute Freunde kann niemand trennen“ unter die Popstars ging, gilt Unzertrennlichkeit als Vereinsideologie. Und Hoeneß verkörpert den mildtätigen und bescheidenen Patriarchen des FCB.

„Wir kamen aus einfachen Verhältnissen“, sagt er. „Der Fußball hat uns eine Chance gegeben“. Gern erzählt er dann, wie sein Vater um drei Uhr morgens aufgestanden ist, um den Familienbetrieb (eine Metzgerei) am Leben zu erhalten. Wie die Mutter tagsüber an der Verkaufstheke stand und am Wochenende die Buchhaltung machte. Wie er, der junge Uli, morgens um sechs sein Konditionstraining absolvierte, danach in die Schule ging, nachmittags fürs Abitur büffelte und neben Schule und Sport auch noch den Eltern in der Metzgerei aushalf. So wie ich, will Hoeneß sagen, sollten sie alle sein.

Fast immer redet er dann von Ehrgeiz und Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit und Bodenständigkeit, und auch davon, dass man als gut wirtschaftender Hausvater nicht mehr Geld ausgeben könne, als man einnehme. Deshalb bunkert er die Millionen auf Festgeldkonten, um der großen Bayern-Familie soziale Sicherheit bieten zu können. Dafür verlangt er „volle Identifikation mit dem Club“, unbedingten Willen zum Sieg und die Einreihung der Spieler ins Team.

Diese „deutsche Mentalität“ vermisst er bei der heutigen Jugend. „Das ist das Problem der heutigen Zeit“, sagt er, „den Jungen geht es oft viel zu gut. Ihnen wird – nicht nur im Fußball – das Leben zu leicht gemacht.”

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Die Lehre der Alten: Kampflos bekommt ihr unseren Platz nicht!

Dass Hoeneß mit solchen Sprüchen das Leben der Jungen auch schwer machen könnte, begreift er nicht. Dass die Motivation der Spieler nicht unbedingt besser wird, wenn sie sich täglich die selbstgerechten Sprüche ihres Chefs anhören müssen, eines Chefs, der alles und jeden in seiner Umgebung harsch kritisiert, aber wie eine Mimose auf die kleinste Kritik reagiert; und der immer ganz genau weiß, wie ein richtiges Leben zu führen ist.

Niemand kann ernsthaft glauben, dass ein solcher Ehrenmann seinen Platz freiwillig räumt. Und allen dürfte klar sein, dass es nur einen Weg gibt, ein überlebtes Ancien Régime aus den Angeln zu heben: den Putsch.

Alphamännchen gehen in der Regel so, wie sie gekommen sind – durch Streit.

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Dieser Text ist ein (leicht überarbeiteter) Auszug aus dem Buch: „Einsame Klasse. Warum Männer nicht altern“, Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) München 2010.

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