#Bad Bank

Bad Bank = Bad Journalismus

von , 22.10.10

Da gehen übers Wochenende mal eben 18 Milliarden Euro über die Wupper, aber irgendwie scheint das niemanden zu jucken.

Hieß es am Donnerstag vor der wohl „größten Finanztransaktion in der deutschen Geschichte“, es seien Wertpapiere, Kredite und Derivate im Nominalwert von 191,1 Milliarden Euro von der HRE zur Bad Bank übertragen worden, so war am folgenden Montag nur noch von 173 Milliarden Euro die Rede. Bisschen Schwund ist ja immer. Doch die Qualitätsmedien erklärten nicht, wie der auffällige Verlust zustande gekommen ist. Sie meldeten lediglich: „Hypo Real Estate spaltet problemlos Bad Bank ab“ (FAZ). Die meisten Zeitungen hielten sich an die Pressemitteilung der „Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung“ (SoFFin).

Einige Zeitungen berichteten auch, die Differenz habe etwas mit „Währungsschwankungen“ zu tun. Eine Interpretation, die ebenfalls von der SoFFin stammt. Madleen Petschmann vom „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“ (SoFFin) gegenüber Carta:

„Der Buchwert zum Stichtag 31.3.2010 betrug 191 Mrd. Euro. Die Übertragung war von vornherein so konzipiert, dass zum Übertragungsstichtag nur Nominalvolumina zum jeweils geltenden Wechselkurs genannt werden können. Die tatsächliche Buchwertermittlung erfolgt – wie bei jedem Monats- oder Quartalsabschluss – innerhalb der nächsten 3 Wochen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Angleichung der Rechnungslegungssysteme von IFRS (HRE) zu HGB (FMS Wertmanagement) vorzunehmen ist. Der Nominalwert der übertragenen Vermögenswerte beträgt rund 173 Mrd. Euro.“

Alles verstanden? Offenbar liegt die Differenz nicht allein an den Währungsschwankungen, sondern auch an den unterschiedlichen Rechnungslegungssystemen. Denn der Dollarkurs zum Euro betrug am 31. März 2010: 1,3507, und am 30. September 2010: 1,3629. Diese „Schwankung“ reicht für 18 Milliarden Euro Unterschied nicht aus.

Zumindest einige Finanz-Blogs wollen sich mit den Erklärungen der SoFFin nicht abfinden. Sie sprechen angesichts der sehr unterschiedlichen Zahlen von einer „Verschleierung der Bewertung“. Der Finanzfachmann Dirk Elsner vom Blick Log:

„Die Hypo Real Estate hat den in die ‚FMS Wertmanagement’ genannte Bad Bank übertragenen Anleihen, Kredite, CDOs, ABS-Paketen etc. ein Preisschild umgehängt und darauf 173 Mrd. Euro geschrieben…

Niemand ist derzeit offenbar bereit zu erläutern, wie diese Zahl ermittelt wurde. Je nach Bewertungsmethode könnte man nämlich für die sich hinter den 173 Mrd. verbergenden über 12.500 Einzelpositionen aus fast 70 Rechtsräumen zu deutlich niedrigeren (oder vielleicht sogar höheren?) Wertansätzen kommen…

Aus meiner Sicht wird die Öffentlichkeit in die Irre geführt, wenn man behauptet, die übertragenen Vermögensgegenstände lassen sich nicht vernünftig bewerten…

Journalisten, die sich mit der HRE befassen, würde ich raten, sich nicht ausschließlich auf die ermüdenden ‚Boniskandale’ zu konzentrieren. Für die Verantwortungsträger sind dies willkommene Ablenkungsmanöver. Fragen zur Bewertung und der sehr einseitigen Begünstigung der Gläubiger… sind deutlich relevanter.“

Womit wir beim eigentlichen Thema wären – der auffallenden Begünstigung der Gläubiger. Elsner schreibt dazu:

„Ein Skandal dieser Finanztransaktion ist das Verschweigen der eigentlichen Profiteure… Nicht erst seit heute freuen sich in aller Stille nämlich die alten Gläubiger der HRE, die ihre Verbindlichkeiten zu 100% zurück erhalten (haben). Während Gläubiger eines ‚normalen’ Unternehmens sich bei einer Abwicklung mit einer meist mickrigen Insolvenzquote bescheiden müssen, kommen hier sämtliche Gläubiger ohne jeden ‚Haircut’ davon.“

Der Publizist Harald Schumann, sicher eine Ausnahmeerscheinung unter den Wirtschaftsjournalisten dieses Landes, hat die Liste der Gläubiger vor gut einem Jahr im Berliner Tagesspiegel enthüllt. Aber seine Qualitäts-Kollegen von der Wirtschaftspresse sind auf diese Liste nie so recht zu sprechen gekommen. Da standen viele Großbanken drauf – etwa Unicredit, BayernLB, Deutsche Bank oder Postbank –, die der HRE ohne jede Besicherung Milliardenbeträge zu guten Zinsen geliehen hatten und nun von den Steuerzahlern herausgekauft werden sollen:

„Zweieinhalb Milliarden Euro hatte die Norinchukin Bank, das Zentralinstitut der japanischen Genossenschaftsbanken, bei der Depfa plc im irischen Dublin geparkt, als diese im September 2008 ihren Mutterkonzern, die Hypo Real Estate Holding (HRE), an den Rand der Pleite gewirtschaftet hatte. Wäre es dazu gekommen, wäre ein großer Teil der Milliardeneinlage gewiss verloren gewesen.

Das gleiche Problem hatte die italienische Großbank Unicredit. Auch deren Tochter Hypo-Vereinsbank hatte der HRE, die sie einst per Abspaltung ins Leben gerufen hatte, mehr als zwei Milliarden Euro geliehen, ohne jede Sicherheit. Und genauso war es bei der Deutschen Bank, dem Versicherungskonzern HUK Coburg, der Allianz AG und Hunderten weiterer Gläubiger der HRE im In- und Ausland. Sie alle hatten eines gemeinsam: Sie hatten ohne Prüfung und ‚unbesichert’, also ohne Rückgriff auf andere Wertpapiere oder Immobilien für den Fall der Insolvenz, ihr Geld zu guten Zinsen an die HRE verliehen. Weit mehr als 100 Milliarden Euro… hatte die HRE so bei Finanzinstitutionen aller Art eingesammelt.“

Und weil die Auslagerung der Risiken in so genannte Zweckgesellschaften die Finanzkrise erst ermöglicht hatte, kam man auf die famose Idee, die geerbten Risiken erneut in Zweckgesellschaften auszulagern! Man bekämpft also die Krise mit dem gleichen Instrument, das die Krise verursacht hat. Es handelt sich offenbar um die Einführung des homöopathischen Heilprinzips in die Finanzwirtschaft: Similia similibus curentur. Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden. Nun warten alle gespannt, ob das Placebo auch wirkt.

Verabreicht hat es die große Koalition. Harald Schumann:

„Es waren diese Listen der unbesicherten Gläubiger, auf deren Basis Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag, den 28. September 2008, entschieden, die Regeln der Marktwirtschaft außer Kraft zu setzen und all jene freizukaufen, die der HRE das Geld für ihre Fehlspekulationen zur Verfügung gestellt hatten. Zur Begründung hieß es, die Bank sei ‚systemrelevant’, also zu groß, um sie Pleite gehen zu lassen.“

Jaja, die Systemrelevanz und der gute Peer Steinbrück, der laut Helmut Schmidt unter den heutigen deutschen Politikern „hinsichtlich seiner sozialen und ökonomischen Urteilsfähigkeit weit herausragt“.

Dazu Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten:

„Noch heute wird in den allermeisten Medien die Bankenrettung unkritisch gelobt und bis jetzt hat kaum ein Medium hinterfragt, was eigentlich das ‚systemische Risiko’ einzelner mit viel Geld geretteten Banken ausmachte. Einzig der Tagesspiegel hat einmal die Liste der Einlage- und Kreditgeber der HRE publik gemacht und da konnte man berechtigte Zweifel anmelden, ob diese Bank ‚systemrelevant’ ist. Bis heute werden Bürgschaften und Kapitalzuschüsse ohne öffentliche Debatte in geheim tagenden Gremien erteilt. Da werden über Nacht, ohne öffentliche Diskussion mal eben 40 Milliarden-Garantien für die HRE gewährt, ohne dass vorher eine Debatte stattfindet. Nicht nur das Parlament, sondern auch die Presse lässt sich das bieten.“

Nachgewiesen ist das Sich-bieten-lassen in einer Studie der Otto Brenner Stiftung, die bereits wieder in Vergessenheit geraten ist. Sie fragte nach dem Versagen des deutschen Wirtschaftsjournalismus vor, während und nach der Finanzkrise. Ihr Ergebnis lautet: Davor: totales Versagen, währenddessen: einige Lichtblicke, danach: ganz ordentliche Aufarbeitung.

Und nun?

Nun beschränken sich die Wirtschaftsjournalisten wieder auf schäfchenweiche Fragen wie jene, ob wir als Gläubiger der Bad Bank wohl doch mit einem blauen Auge davon kommen werden? Dabei wäre es viel interessanter zu fragen, ob die Strategen der HRE unter Mitwirkung ihrer Gläubiger und staatlichen Helfershelfer nicht drauf und dran sind, die Bürger dieses Landes ein zweites Mal über den Löffel zu balbieren, indem sie bei den Bewertungen der Schrottpapiere wieder so tricksen und verheimlichen und „verbriefen“ wie das schon die Halunken der Finanzkrise getan hatten.

Werfen wir einen letzten Blick in den Blick Log:

„Erstaunlich ist, dass angeblich immer noch keine verlässlichen Angaben über die übertragenen Werte vorliegen. Angesichts der in hochqualifiziertes Personal und Beratungskapazitäten investierten Summen wirkt das nicht glaubhaft. Je nach Bewertungsmethode wird man vermutlich zu deutlich niedrigeren Wertansätzen als die 191 Mrd. € gekommen sein. Ich denke, die Öffentlichkeit hat ein Recht, diese Summe angesichts ihrer Sippenhaft zu erfahren.“

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P.S.: Drei Tage nach der Übertragung der Schrottpapiere hat die Rating-Agentur Fitch die neue Bad Bank mit Triple A bewertet. Begründung: Der staatliche Bankenrettungsfonds hafte ja mit seinen (d.h. unseren!) staatlichen Milliardengarantien.

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Lesen Sie zu diesem Thema auch: Die Bundes-Fee. Eine heitere Geschichte aus dem Märchenland der Banken – sowie die informative Serie „Die Jahrhundertpleite“ von Jens Berger.

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