#Energiekonzept

Metaphernschule: Dreigeteilt niemals!

von , 6.9.10

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat heute in der Bundespressekonferenz das Energiekonzept der Bundesregierung vorgestellt.

Lauschen wir Brüderles O-Ton:

“Erstmals nach vielen Jahren legen wir ein langfristig ausgerichtetes Energiekonzept vor.”

Wo lebt dieser Bundesminister? Hat er auf dem Schirm, was bis vor fünf Jahren Tango war? Hat er aus den Augen verloren, dass selbst CDU-geführte Bundesländer nicht mitziehen wollen? Glaubt er ernsthaft, dass die Bundesregierung in ihrer heutigen politischen Konstellation das Ende der laufenden Legislatur überlebt? Ein Auftakt mit Aplomb.

“Mit dem jetzt vorliegenden Energiekonzept nehmen wir eine entscheidende Weichenstellung für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand sowie für ehrgeizige Klimaschutzziele bis zum Jahr 2050 vor.”

Blenden wir den gleißenden Verheißungssingsang aus. Das gilt bei Brüderle für alle mehrsilbigen Wörter, die er wie Pfälzer Wein verschluckt. Das erste Bild ist “eine entscheidende Weichenstellung”. So redet der Märklinfürst auf dem Weg zur Kollision auf der Sperrholzplatte.

“Mit dem Energiekonzept haben wir jetzt einen guten Kompass ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien.”

Der Stellwerker nimmt die Metapher der Weiche nicht sonderlich ernst. Warum greift er so schnell zum Kompass? Geht ihm der Zug  flöten? Reicht es nicht aus, wie weiland in der seligen Zone auf ein Gleis gesetzt zu werden und so irgendwann im Paradies der Werktätigen zu landen? Oder sind die Gleise landunter? Seien wir nicht so voreilig wie der Redner und gestehen ihm im Eifer seines Mitteilungshungers zu, dass auch Rainer Brüderle in Cinemascope reden möchte. Nun also als Lotse an Bord der MS Urania.

“Der Kompass für diese Koalition ist eine im Kern marktwirtschaftlich ausgerichtete Energiepolitik. Markt und Wettbewerb sind Garanten für die notwendigen technologischen Innovationsschübe.”

Das sind die Glaubenssätze aus dem Sprechautomaten, die im BMWi wie von selbst zusammenpurzeln. Warum die Energiepolitik auch “im Kern” marktwirtschaftlich sein soll, bleibt zu überprüfen.

Warum die oligopolistische Struktur der Energiemärkte trotz höchster Profitabilität (mit unschönen Begleiterscheinungen) Innovationsschübe vermissen lässt, ist eine andere Frage. Sie legt es nahe, hinter dem “Innovationsschub” eine Schreckensfigur zu wittern, die nur zu begründet ist. Sagen wir es so: Die Eigenarten der fossilen und nuklearen Energiewirtschaft bringen etwas hervor, was wir mit dem medizinischen Syndrom einer Autoimmunerkrankung vergleichen können. Irgendwann spielen die Botenstoffe verrückt. Dann erleidet der Patient den nächsten Schub. Zuversicht sieht anders aus.

“Die entscheidende Botschaft unserer gemeinsamen Arbeit ist: Der Weg in das Zeitalter der regenerativen Energien mit effizienter Energienutzung ist möglich und gangbar. Aber der Weg braucht Zeit und er braucht Geld.”

Das ist ein Satz aus der rhetorischen Kompromissküche: Möglich und gangbar klingt nach Zangengeburt mit ungewissem Ausgang. Das folgende “Aber” ist die klassische Konditionalisform politischer Entscheidungen: Ohne Zeit und ohne Geld ist nichts zu holen. Nirgendwo. Pure Trivialität. Warum aber Zeit und Geld in etwas stecken, was die beste Zeit längst  hinter sich hat?

Oder müssen wir nur die Blickrichtung ändern und uns die Gier der Verbundunternehmen ausmalen, die schon seit langem abgeschriebene Anlagen über viele Jahre weiterlaufen lassen wollen?

“Längere Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke sind eine unverzichtbare Brücke auf diesem weiteren Weg.”

Die Verkehrswegmetaphern tragen Brüderles Rede vollends aus der Kurve. Was auf der Schiene begann und in die Nautik abdriftete, wird aus dem Wasser auf eine Brücke katapultiert, von der man zwar erfährt, dass sie unverzichtbar sei, aber nicht weiß, welchen Abgrund der Ungewissheit sie überspannt.

Unverzichtbar ist in der Wirtschaft gar nichts. In der deutschen Geschichte wurden Verzichtspolitiker gerne des Hochverrats beschuldigt. Erinnert sich Rainer Brüderle an den früheren schwarzweißroten FDP-Vorsitzenden Erich Mende?

Mende war ein vehementer Freund der Formel “Dreigeteilt niemals!”

Herr Brüderle sollte diese Maxime für seine Reden übernehmen. Im Grunde ist es egal, auf welchem Verkehrsweg er metaphorisch scheitert. Er ist selbst dran schuld. Fossil, verstrahlt, verpeilt.

Gute Reise nach Irgendwo!

Crosspost vom Rhetorik-Blog.

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