von Klaus-Peter Schöppner, 7.4.11
So schnell kann es gehen: Nach Baden-Württemberg ist urplötzlich Rot-Grün die Lieblingskoalition der Deutschen. Weit vor dem bisherigen Favoriten Schwarz-Rot. 69 Prozent der Deutschen erwarten sogar SPD und Grüne als Bundestagswahlsieger 2013. Vor sechs Monaten waren es 33 Prozent: Nun ist also nach Meinung der Deutschen das grüne Zeitalter angebrochen!
Wenn sich die Wähler da mal nicht über sich selbst täuschen. Wahrscheinlicher ist, dass der 27. März die Wende zum Wahlsieg 2013 für CDU/CSU war.
Etwa 300 Wochen umfasst eine Legislaturperiode. Mit dem Zusammentreffen des Atomhorrors und der – wie 70 Prozent es sahen – nur der Wahltaktik geschuldeten Volte in der Atompolitik, fand die Wahl in der Woche mit dem ‚grünsten’ Meinungsklima statt. Angst war bislang zwar immer ein guter Wahlgewinner, meist jedoch ein schlechter Politikgestalter.
Weil Emotionalität als Wahlentscheid schnell durch Ratio, also persönliche Vorteile, abgelöst wird und der Reiz vordergründiger Attraktivität schnell wieder verfliegt, wenn erst der Verstand einsetzt, bekommen die Grünen bald ein Problem mit Wählern, die nie volatiler, nie emotionaler, nie egozentrischer waren. Wie zuletzt die FDP.
Grün muss sich bald dem Stresstest vor dem Wähler unterziehen, der für sie wenig Gutes erwarten lässt. „Verteuert sich Ihr Leben durch grünere Politik“? 70 Prozent der Deutschen befürchteten „Ja“. Etwa die Hälfte wäre bereit, mehr dafür aufzubringen, die andere will die Grünwende, wenn überhaupt ohne Zusatzkosten.
Mehrere Fakten lassen ein dauerhaftes Erfolgsmodell „Grün“ zweifelhaft erscheinen:
1. Die Kosten
Weil zwei Drittel der Wähler inzwischen ohnehin mit Einkommensverlusten rechnen, wird die Lust auf „teures Grün“ schnell abnehmen. Nur eine Minderheit ist bereit, für eine Ausweitung des „grünen Stroms“ höhere Energiekosten zu tragen. Zudem befürchten sie, dass Abgaben, Sozialversicherungen, Benzin und Lebensmittel noch teurer werden.
2. Die Unehrlichkeit
Drei Viertel der Wähler kritisieren, dass hinter der Grenze noch größere Atomgefahren lauern. Viele Wähler befürchten auch, dass der Ausstieg Arbeitsplätze kosten und die Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Energiekosten gefährden könnte. Auch befürchten sie steigende Nahrungspreise durch Bio-Kraftstoffe.
3. Unser Landschaftsbild
Deutschland wird ein anderes Land, wenn Kollektoren, Überleitungstrassen, Windparks und Monokulturen die Landschaft prägen. Schon heute beklagen sich mehr als 50 Prozent der Wähler über die „Verspargelung“ der Landschaft durch Windräder.
4. Die Arroganz des “So nicht”
Der Wunsch, dass bei zentralen Aufgaben über Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet wird, ist bei den tief verunsicherten Wählern ungebrochen. Es ist aber fraglich, ob ein Jürgen Trittin oder ein Sigmar Gabriel aus der “So nicht”-Ecke heraufinden.
Zudem hat der Erfolg den Grünen völlig neue Wähler zugespült. Nicht mehr Grüne aus Leidenschaft, sondern aus politischem Kalkül, die aus fast allen politischen Lagern kommen und nun konkrete Ziele haben, die die Grünen nur schwer bedienen können. Weil EU–Recht, Verträge, Bundesrat oder Finanzen dagegen sprechen. Politische Freiheitsgrade sind in Deutschland ausgesprochen eingeschränkt.
Das größte Manko der Grünen jedoch ist eine demoskopische Sensation: Sie konnte zwar ihren Wählerstamm verdoppeln, ohne jedoch an Kompetenz hinzuzugewinnen: Die Grünen „können nur Umwelt, sonst kaum etwas“, attestieren ihnen 68 Prozent der Wähler. Gerade noch 28 Prozent sehen Energiekompetenz. Bei sozialer Gerechtigkeit, Bildung, Wirtschaft und Außenpolitik liegen sie nur noch zwischen neun und vier, bei Arbeitsmarkt und innerer Sicherheit um drei Prozent.
Was passiert, wenn wir in die nächste Rezession geraten? „Da bin ich echt überfragt“ – die sympathische Offenheit Winfried Kretschmanns ist da keine Lösung.
Der Gegenentwurf, mit dem sich die Union profilieren könnte, wäre eine Ausgewogenheit: Eine Balance zwischen Wirtschaft und Bürgern. Eine Balance zwischen neuem, grünem Bewahren und dem Veto vor allzu viel Grottenmolchbehinderung.
Wenn sich die Union dazu durchringen könnte, mehr partizipative Elemente in ihre parteiinterne Willensbildung aufzunehmen, wenn sie im Gegensatz zu Hamburg oder Baden-Württemberg wahltaugliche Kandidaten aufstellen würde und wenn sie Innovationsfreudigkeit mit Traditionalismus zu verbinden vermochte, könnte sie wirkungsvoll ihre Zukunftskompetenz nachweisen.
„What goes up – must come down!” Diese politische Regel Nummer eins gilt für Barack Obama, also auch für die Grünen. Das Risiko für die Union besteht eher darin, dass der grüne Abgesang in Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 viel zu schnell gehen könnte…