#Netzneutralität

#rp10: Ohne Netzneutralität ist alles nichts

von , 17.4.10

Die Entscheidung, wie wir es in Zukunft mit der Netzneutralität halten, ist allen anderen Regelungen, die das Netz betreffen übergeordnet – das ist für mich die zentrale Erkenntnis von der re:publica 2010. Und es ist das Verdienst der Veranstalter, diesem Thema mit einem eigenen Schwerpunkt zu mehr Aufmerksamkeit auch über die Fachöffentlichkeit hinaus verholfen zu haben.

Die Frage der Netzneutralität zog sich wie ein roter Faden durch die drei Tage. Und auch Vorträge, die sich eigentlich mit anderen Dingen beschäftigten, berührten im Kern doch wieder dieses Thema.

Denn derzeit gibt es ein breites Bestreben der Politik, das Netz mit einem ganzen Satz von neuen Gesetzen und Verordnungen zu überziehen, um angeblich ungeregelte Bereiche zu regeln, um es zu einer durch und durch wirtschaftlich nutzbaren Struktur umzubauen.

Die Begriffe in dieser Diskussion sind: Urheberrecht, Filter, Netzsperren, geistiges Eigentum, Leistungsschutzrecht, Jugendschutz usw. Der zentrale Begriff aber ist der der Netzneutralität, denn Regelungen in den zuvor genannten Bereichen, ziehen immer eine Einschränkung der Netzneutralität nach sich, mit anderen Worten: Es findet in der Folge immer irgendeine Form von inhaltlicher Diskriminierung statt.

Netzneutralität: ein schwer verständliches Konstrukt

Netzneutralität ist auf den ersten Blick ein schwer verständliches Konstrukt und das ist auch der Grund, warum es bislang in der Öffentlichkeit/Politik eine (zu) geringe Beachtung fand. Denn zunächst ist es nicht einsichtig, wie eine Infrastruktur eine Eigenschaft haben kann, die sie als nicht neutral beschreibt.

In der Vorstellung vieler ist das Netz einfach vorhanden und kann nach Belieben genutzt werden. Immer wieder wird daher in den Erklärungsversuchen der nicht ganz passende Vergleich von den Autobahnen gewählt, auf deren Überholspuren nur die Autos bestimmter Hersteller fahren dürfen. Letztendlich geht es immer darum, dass es auch im Netz keine Gatekeeper geben soll, die Daten ungleich behandeln oder gar nach Art und Inhalt diskriminieren. Erst auf den zweiten Blick wird klar, wie vielschichtig dieses Frage ist und welche verschiedenen, zum Teil sich widersprechenden Interessen mit dem Thema verbunden sind.

Auf der re:publica wurde genau das herausgearbeitet: Natürlich hat der Serviceprovider, der gleichzeitig IPTV-Anbieter ist, ein Interesse daran, seinen IPTV-Kunden einen 1a-TV-Genuss zu garantieren und möchte deshalb nicht, dass seine Leitungen durch andere Inhalte „verstopft“ werden. Und ganz sicher möchte der Bundesligafan, der das Luxus-Liga-Paket bei der Telekom gebucht hat, das auch nicht, schließlich hat er ja genau dafür gezahlt.

Und selbstverständlich will ein Mobilfunkbetreiber lieber weiterhin Gesprächsminuten abrechnen als seinen Kunden den freien Zugang zu VoIP zu ermöglichen. Und nur allzugerne würden die Provider von den Milliardengewinnen von Google etwas abbekommen oder mit ausgewählten Inhalteanbietern gesonderte Beförderungsabkommen abschließen, die gegen Geld eine bevorzugte Zustellung von deren Inhalten garantiert.

Das iPad und die extremen Einschränkungen in der App-Economy von Apple erweitern diese Diskussion nur noch um einen weiteren Aspekt – hier ist von Neutralität in der Behandlung der Inhalte keine Spur mehr und zur Recht wurde auf der Veranstaltung immer wieder von verschiedenen Rednern angeprangert, dass Apple (und seine Partner) die Nutzer wieder auf seine Rolle als (zahlenden) Konsumenten reduzieren wollen. „The Audience formerly known as the audience becomes audience again“, wie Jeff Jarvis es ausdrückte.

Der Fall Comcast

Der Anwalt und Netzaktivist Marvin Ammori zeigte am Beispiel Comcast dann das diskriminierende Verhalten von Serviceprovidern in den USA und referierte ausführlich, wie er nach langem Kampf gegen den Kabelprovider die Schlacht um die Netzneutralität verlor. Das Unternehmen unterbindet Filesharing. Eine einstweilige Verfügung gegen diese Maßnahme durch die US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) wurde vor kurzem durch ein Gericht für ungültig erklärt. In seinem Blog schreibt Ammori: „The court decision is a stunning, sweeping defeat for the FCC and for its ability to protect consumers, foster competition and innovation, and preserve the Internet’s role as an engine of free speech and democratic discourse.“

Dennoch gehen die Aktionen gegen die Daten-Diskriminierung weiter. Im Netz haben sich  Gegenbewegungen gebildet, die für die Freiheit des Internets kämpfen bzw. das Verhalten der Provider beobachten.

Vielleicht wäre es auch Zeit für eine Webseite deutsche-telekom-watch.de oder vodafone-watch.de, denn von den deutschen Serviceprovidern stellte sich niemand der Diskussion und auch die Politik (obwohl nur einen Katzensprung vom Veranstaltungsort entfernt) blieb den Podien fern.

Dabei wäre gerade für unsere Volksvertreter die re:publica der perfekte Crashkurs gewesen, um endlich einmal kompetent über das Thema debattieren und entscheiden zu können. Cara Schwarz-Schilling von der Bundesnetzagentur glaubt jedenfalls fest an die Kräfte des Marktes und die neuen Vorgaben der EU, wonach Provider ihre Kunden informieren müssen, wenn sie den Datenverkehr drosseln. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club widersprach vehement und hielt dagegen, dass der “vielgepriesene Markt” eben nicht funktioniere.

Nutzer hat Informationsdefizit

Der Nutzer hat bei alldem zunächst ein Informationsdefizit, das betonte Simon Schlauri vom Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich. Er wisse nicht ob, wie, wann und warum Inhalte diskriminiert werden. Er könne selbst nicht beurteilen, warum seine Verbindung langsam ist, und nicht feststellen, ob in die Inhaltepakete, die er zugestellt bekommt, jemand hineingeschaut hat. Oder: „wat nach dem janzen geshape noch übrig bleibt“, wie es Constanze Kurz ausdrückte.

Es gehe nämlich auch um die Themen Informations- und Meinungsfreiheit, sagte Constanze und um die Entscheidung, was mit öffentlichen Netzen geschehen soll.

In einem anderen Vortrag schlug Tim Wu von der Columbia University Law School dann auch genau diesen Bogen von der Netzneutralität zur Redefreiheit und wies zurecht darauf hin, dass fehlende Netzneutralität Beginn und Grundlage von Zensur sei. Seine Website bietet übrigens jede Menge Material zum Thema.

Letztendlich legt also unsere Entscheidung in der Frage der Netzneutralität auch ein Stück weit fest, in welcher Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wir leben wollen. Zum Beispiel auch, ob das Netz überhaupt die Chance bekommt, sich zu einem wirkungsvollen Werkzeug für Bürgerbeteiligung und Demokratie entwickeln zu können. Ob es zu einem Ort werden kann, wo sich Menschen aufhalten und diskutieren.

Oder ob wir das Netz zurückentwickeln zur reglementierten und kontrollierten Datenautobahn – eine Vorstellung, mit der sich nicht wenige Akteure aus Wirtschaft und Politik anfreunden können. Aber die waren ja, wie gesagt, nicht auf der Veranstaltung.

Crosspost von movinette.de.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.