Rechtsfragen der Informationsgesellschaft: Vorratsdatenspeicherung, Meinungsfreiheit, ACTA

von , 8.3.10

Bundesverfassungsgericht stoppt Vorratsdatenspeicherung
Das Bundesverfassungsgericht hat am vergangenen Dienstag die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08). Die anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten verletzt nach Ansicht des Gerichts in der bisher praktizierten Weise das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG). Dass Behörden auch Auskünfte zu IP-Adressen einholen dürfen, stößt hingegen auf keine Bedenken. Die Richter ordnen in dem Urteil zwar an, dass auch alle bereits erhobenen Daten gelöscht werden müssen; gleichzeitig nennen sie jedoch die Vorraussetzungen, unter denen eine Vorratsdatenspeicherung verfassungsgemäß wäre. Danach halten sie eine verfassungskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie für grundsätzlich möglich. Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat im Anschluss an die Entscheidung angekündigt, die Direktive am Maßstab europäischer Grundrechte überprüfen zu lassen.

Bundesverfassungsgericht zur Meinungsfreiheit
An eine Verurteilung wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) sind hohe Anforderungen zu stellen. Die Bedeutung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gebietet es, schon bei der Auslegung der fraglichen Äußerung die betroffenen Grundrechte gegeneinander abzuwägen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 04.02.2010 (1 BvR 369/04, 1 BvR 370/04, 1 BvR 371/04) festgestellt und drei Strafurteile aufgehoben. Gegenstand der Prozesse waren Plakate des „Augsburger Bündnis – Nationale Opposition”. Auf diesen wurde eine „Ausländer Rück-Führung” gefordert. Entgegen der der Ansicht der Instanzgerichte konnten die Karlsruher Richter ausschließlich aufgrund des Textes keine Verletzung der Menschenwürde feststellen. Dazu wäre die Benennung konkreter Begleitumstände nötig gewesen, die eine solche Deutung begründet hätten. Das wurde in den angegriffenen Urteilen versäumt. Deshalb hat das BVerfG die Verfahren zur erneuten Verhandlung an die Gerichte zurückverwiesen.

Bundesgerichtshof über die Zuständigkeit bei Internet-Veröffentlichungen
Der BGH hat ein Urteil zur internationalen Zuständigkeit bei Rechtsverletzungen durch Internet-Artikel gefällt (Urteil v. 02. März 2010, Az. VI ZR 23/09). Nach dieser Entscheidung sind deutsche Gerichte für Beschwerden über Beiträge der New York Times zuständig, wenn diese deutliche Bezüge zu Deutschland aufweisen. Weil der im Verfahren streitbefangene Artikel auch Leser in Deutschland ansprechen sollte, müsse der Betroffene die Möglichkeit haben, seine Rechte vor Ort zu verteidigen, so der BGH.

Bundestag setzt Internet-Enquête-Kommission ein
Künftig wird sich eine Arbeitsgruppe des Bundestages mit dem Thema „Internet und digitale Gesellschaft” befassen. 17 Experten und 17 Abgeordnete aus allen Fraktionen sollen verschiedene Aspekte aus den Bereichen Kultur und Medien, Wirtschaft und Umwelt, Bildung und Forschung, Verbraucherschutz, Recht und Inneres sowie Gesellschaft und Demokratie untersuchen. Außerdem ist geplant, auch die Öffentlichkeit in die Arbeit einzubinden. So sollen Internetnutzer die Möglichkeit haben, aktiv ihre Einschätzungen in öffentlichen Anhörungen und Wikis zu Gehör zu bringen. Aufgabe der Enquête-Kommission ist es, bis Sommer 2012 nationalen sowie internationalen staatlichen Handlungsbedarf aufzuzeigen und politische Handlungsempfehlungen zu formulieren.

Bundesjustizministerium für mehr Transparenz bei ACTA
Nachdem letzte Woche bereits Kritik aus der EU-Kommission sowie dem Europa-Parlament an den ACTA-Verhandlungen zu hören war, hat sich nun auch das Bundesjustizministerium zu den Vorwürfen mangelnder Transparenz geäußert. Das internationale ACTA-Abkommen hat einen verbesserten Schutz des “Geistigen Eigentums” zum Ziel. Die Textentwürfe sowie die Ergebnisse der Gespräche werden aber bislang streng geheim gehalten. Gemeinsam mit 13 anderen EU-Mitgliedstaaten will sich Deutschland nun für mehr Transparenz einsetzen. Dazu hat sich die Bunderepublik sich einer Erklärung der „Friends of Transparency” angeschlossen, die die Veröffentlichung eines konsolidierten Vertragstextes fordern.

Gutachten zu Google Street View
Auch die rheinland-pfälzischen Landesregierung hat gutachterlich prüfen lassen, ob Googles Projekt „Street View” mit der deutschen Rechtslage vereinbar ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden nun veröffentlicht. Demnach wird Google vorgeworfen, mit seinem Vorgehen teilweise rechtswidrig zu handeln. So stünden beispielsweise Photographien oberhalb der üblichen Augenhöhe im Widerspruch zum Persönlichkeits- und Datenschutzrecht der Betroffenen. Auch Kfz-Kennzeichen dürften auf den Bildern nicht sichtbar sein. Die Landesregierung möchte das Gutachten nun den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zur Verfügung stellen.

Datenschützer kritisieren hausarztzentrierte Versorgung
Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) hat die sog. hausarztzentrierte Versorgung (HzV) kritisiert. Bei diesem System ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle für die Patienten und übernimmt in den gegebenen Fällen die Überweisung an die Fachärzte. Das ULD hält diese Praxis für verfassungswidrig, weil sie die informationelle und medizinische Selbstbestimmung der gesetzlich Krankenversicherten sowie die Behandlungsfreiheit der Ärzte verletze. Die HzV führe zu einer enormen Ansammlung und Bündelung von sensiblen persönlichen Daten und schaffe einen „großen, unkontrollierten und teuren bürokratischen Apparat bei der Informationsverarbeitung”. Die Datenschützer fordern deshalb die Politik dazu auf, die bisher geltende Interimslösung nicht zu verlängern.

In Zusammenarbeit mit Telemedicus präsentiert Carta jeden Montag zentrale Entwicklungen des Medien- und Informationsrechts. Dieser Wochenrückblick wurde zusammengestellt von Christiane Müller.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.