#Conversations

Wie wird die Zukunft? Ein Projekt sucht Antworten im Social Web

von , 16.12.09

“There Is No Planet B” betonen aktuell gerade Demonstranten in Kopenhagen, während dort auf dem Klimagipfel über die Zukunft unseres Planeten verhandelt wird. Praktisch zeitgleich startet im Internet ein Projekt, das sich ebenfalls mit der Zukunft der Erde beschäftigt, allerdings thematisch viel weiter gefasst und dafür mit weitaus weniger öffentlicher Aufmerksamkeit.

Conversations At The Beginning Of A New Time” nennen die Initiatoren ihr Projekt, das auf den ersten Blick seltsam anmutet: Keine bekannte Organisation, kein Sponsoring großer Unternehmen, stattdessen eine vergleichsweise einfach aufgebaute Webseite (basierend auf der Blogsoftware WordPress).

Mit diesen Conversations tritt uns selbst schon ein Stück Zukunft entgegen. Denn ohne Zweifel ist das, was hier gemacht wird, eine Arbeitsform der Zukunft: Ein offenbar loser Zusammenschluss verschiedener Menschen über Kontinente hinweg, die auf den ersten Blick nichts zu verbinden scheint. Tatsächlich aber kennen sich die Protagonisten gut und sind über das Internet bestens miteinander vernetzt.

Ihr Anliegen ist es, ein Bild von der Zukunft zu entwerfen – aber nicht “visionär”, sondern kollaborativ und partizipativ. Neben anerkannten Fachexperten kann sich jeder Interessierte einbringen. Der Dreh- und Angelpunkt wird die Webseite sein, die in den nächsten Wochen und Monaten weiter ausgebaut werden soll.

Den Ausgangspunkt der Conversations könnte man als Fragen so formulieren: Steht die Menschheit an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter? Wird der wissenschaftliche und technologische Fortschritt der nächsten Jahrzehnte die Welt schneller und stärker verändern als alle bisherigen zivilisatorischen Errungenschaften? Und falls diese beiden Fragen mit “Ja” zu beantworten sind, wie gehen wir Menschen damit am besten um?

Thematisch gliedert sich das Projekt in 10 Bereiche, von Politik über Bildung, Wirtschaft, Ökologie bis hin zum “Clash of Cultures”. Zu diesen 10 Themen wird es ab März 2010 je ein Online-Event geben, die als “Diskussionen im Netz” geplant sind (der Twitter-Hashtag steht schon fest: #10Q). Abgerundet werden diese Veranstaltungen von einem “Open Space”, der in Wien stattfinden wird. Alles zusammen mündet dann in einen Film, den der Filmproduzent Richard Kroehling drehen soll.

Wer an dieser Stelle denkt, so ein Vorhaben könne nur scheitern, beachte die Liste der teilnehmenden Experten. Zu ihnen gehören u. a. Iris Brosch, Liane Gabora, Lawrence Lessig oder David Weinberger. Die Initiative liegt bei Stuart Kauffman und Ulrike Reinhard. Zwei namhafte Unternehmensberater sind ebenfalls an Bord: Don Tapscott (“Wikinomics“) und Lee Bryant. Beide kennen und propagieren das Social Web, sie sollten dieses Projekt “auf Kurs” halten können.

Dennoch stellen sich bei dieser Vorgehensweise auch Fragen. Etwa, wie partizipativ und offen das Projekt wirklich wird. Denkbar ist, dass es nicht genügend Bekanntheit erlangt, um  eine qualitativ ausreichende Beteiligung auszulösen. In dieser Hinsicht kritisch ist der wenig griffige Name des Projektes und seine unnötig lange Domain. Wer auf Google nach den Conversations sucht, dürfte sich sehr schwer tun, denn dieser Begriff ist ein Allerweltswort und damit marketingtechnisch denkbar ungeeignet.

Abzuwarten bleibt auch, ob der globale Anspruch eingelöst werden kann. Gut möglich ist, dass die Conversations am Ende stark anglo-amerikanisch fokussiert bleiben und in anderen Teilen der Welt nur sehr wenig Resonanz auslösen.

Bei aller Kritik dürfen aber auch nicht die ersten, vielversprechenden Ansätze übersehen werden. Auf der Webseite finden sich bereits eine Reihe bemerkenswerter Video-Interviews. Besonders empfehlenswert: Der junge chinesische Wissenschaftler Isaac Mao über “Sharism” und der altersweise Theologe Gordon Kaufman über Gott als kreatives Geheimnis (beide Interviews je ca. 1 Stunde).

Man darf also gespannt sein, wie sich dieses Projekt entwickeln und welche Resonanz es in der Öffentlichkeit erzielen wird. Mit dem Ansatz der offenen Partizipation im Netz auf globaler Ebene betritt man durchaus ein Stück Neuland. Ob sich hier zu einzelnen Fragen und Themen eine Art globaler Konsens, im Sinne einer neuen “Weltgesellschaft” zeigen wird, ist einer der spannenden Aspekte dieses Vorhabens.

Hoffentlich wird daraus mehr als nur eine Sammlung von Ansichten und Beobachtungen. Die Erde kann Impulse mit nachhaltiger Wirkung dringender denn je gebrauchen. Denn auch die Conversations können sich auf die (digitale) Fahne schreiben, was den Demonstranten in Kopenhagen wichtig ist: There Is No Planet B.

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