#Klimapolitik

Green growth, green jobs, green whatever: Die Ökologisierung der Wirtschaft von oben

von , 15.10.09

Während Al Gore noch dabei war, naturwissenschaftlich fundiert Angst und Schrecken unter den zahlreichen Kinogängern seines preisgekrönten Dokumentarfilms „Eine unbequeme Wahrheit“ zu verbreiten, hat sich unter der Oberfläche der Klimadiskussion längst ein Paradigmenwechsel angekündigt. Wenige Texte stehen so symbolisch für den Umbruch von der alten in die neue Mentalität im Klimadiskurs wie Ted Nordhaus’ und Michael Shellenbergers viel diskutierter Essay „The Death of Environmentalism“ (PDF) aus dem Jahr 2004.

Vom green movement zum progressive movement

Shellenberger und Nordhaus konstatieren ein Scheitern der US-amerikanischen Umweltbewegung bei der Bekämpfung komplexer und globaler Probleme wie den Klimawandel, die trotz Abstrichen im Detail durchaus auch für die hiesige Bewegung gelten kann. Sie argumentieren, dass es der Umweltbewegung weder gelungen ist, eine ihren engen Rahmen überspannende progressive Bewegung mit aufzubauen, noch eine positive Vision zu formulieren, mit der sich jenseits der Öko-Nische breite Unterstützung für den Kampf gegen den Klimawandel mobilisieren ließe.

Als Alternative formulieren die beiden Strategen nicht nur eine radikale Reformulierung der Ziele und Vorgehensweise des green movement, sondern gleich ihre Auflösung und Auferstehung als Teil eines umfassenderen progressive movement. Nicht mehr der nahende Untergang der Zivilisation, Millionen von Klimatote und Horrorstürme, sondern reiche Investitionen in erneuerbare Energien, Lebensqualität, grünes Wachstum und High-Tech-Jobs sollten in das Zentrum politischer Strategien gestellt werden. Gleichzeitig müssten neue Verbündete gewonnen werden, die nicht bloß aus taktischen Erwägungen heraus für die Lösung eines einzelnen Problems eingesponnen, sondern sehr viel enger an der Ausarbeitung einer neuen und progressiven gesellschaftlichen Vision beteiligt werden sollten. Detaillierter untermauern Shellenberger und Nordhaus ihre Überlegungen im drei Jahre später erschienenen Buch „Break Through: From the Death of Environmentalism to the Politics of Possibility“, im März dieses Jahres neu aufgelegt mit dem ebenfalls vielsagenden Untertitel „Why We Can’t Leave Saving the Planet to Environmentalists“.

Von den Neokonservativen lernen

Vorbild für eine neue Strategie sind dabei paradoxerweise gerade die in den USA so mächtig gewordenen Neokonservativen, deren millionenschwere Think Tanks seit Jahrzehnten die US-Bürger/innen systematisch mit den immer gleichen Botschaften beharken. Ihr Erfolg gründet auf der geglückten Verknüpfung konservativer Werte mit einem politischen Programm, dem die Liberalen in den USA schließlich nur noch wenig entgegenzusetzen hatten. Die Umweltbewegung geriet in die Defensive, aus der heraus es zunehmend schwieriger wurde, entscheidende Kämpfe zu gewinnen. Um wieder in die Offensive zu kommen müssten progressive Kräfte sich neu aufstellen, gemeinsame Visionen formulieren und das Bild einer Zukunft entwerfen, das die vorhandenen Werte einer Mehrheit der Bürger/innen aufgreift und diese so für den notwendigen Wandel begeistert und mobilisiert.

Bei manchen ist diese Botschaft angekommen, bei anderen nicht. Gemessen an den Wurzeln der Ökobewegung in Deutschland hätte man durchaus vermuten können, dass als Reaktion auf die unterschiedlichen, aber geteilten Herausforderungen endlich lange überfällige strategische Partnerschaften zwischen Umweltbewegung und Gewerkschaften, Globalisierungskritikern und Verbraucherschützern, Grünen und Linken ins Leben gerufen würden. Diese würden für gute und sichere Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen kämpfen, in Windeseile den Wohnungsbestand sozial gerecht energetisch durchsanieren, auch Armen den Einkauf im Bioladen ermöglichen, mit ihrer Konsumentenmacht den fairen Handel im Mainstream verankern, neuen Effizienztechnologien zum Durchbruch verhelfen und das Energiesystem mit Elan ins 21. Jahrhundert katapultieren, weg von Kohle und Atom und hinein ins dezentrale Zeitalter der Erneuerbaren. Dies alles würde konzertiert und machtvoll, nicht vereinzelt und kraftlos passieren. Doch die Realität sieht anders aus.

Umweltbewegung in der Defensive

Am schnellsten haben gerade nicht die Gewerkschaften, die Umweltbewegungen oder die Globalisierungskritiker auf das neue Paradigma reagiert. Es sind Unternehmen und ihre Verbände sowie die zurecht oft harsch kritisierten internationalen Wirtschaftsorganisationen Weltbank und WTO, die das Potenzial der wahlweise green growth, green jobs, green investment oder green whatever getauften Ökologisierung der Weltwirtschaftsagenda erkannt haben. Das Ziel, Umweltschutz in den Mainstream zu hieven wurde erreicht. Und die genannten Bewegungen befinden sich abermals in der Defensive. Die Umweltbewegung verharrt noch immer zu oft im Verschmutzungsparadigma, nach dem es im Klimaschutz vor allem um die regulativ erzwungene Eindämmung von Kohlendioxidemissionen geht. Das mag ja teilweise richtig sein, als Mobilisierung ganzer Gesellschaften taugt es nicht.

Schützendeckung bekommt die Aneignung des Themas Klima durch die Fackelträger des globalen Kapitalismus einerseits durch Partner wie das UN-Umweltprogramm und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Seltsamerweise haben die global institutionalisierten Vertreter der Umweltpolitik und der industriellen Beziehungen den Paradigmenwechsel sehr viel eher erkannt und verfolgen ihn stärker als ihre nationalen und zivilgesellschaftlichen Pendants. Die Green Economy Initiative im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und der gemeinsam mit der ILO erstellte Bericht „Green Jobs: Towards Decent Work in a Sustainable, Low-Carbon World“ zeugen davon. Während die Weltbank den Fokus im neu erscheinenden Weltentwicklungsbericht 2010 voll auf Klima und nachhaltige Entwicklung legt und die OECD mit „Green Growth“ (PDF) aus der Finanzkrise herauswachsen will, hat selbst die in Umweltkreisen sonst verpönte WTO gemeinsam mit UNEP in diesem Jahr einen umfassenden Bericht zur Verbindung zwischen Welthandel und Erdklima erarbeitet.

Ein Hundertstel für die Welt

Auf wissenschaftlicher Seite wird diese Entwicklung von zahlreichen Studien befeuert, die nicht mehr länger nur das Risiko eines ungebremsten Klimawandels, sondern auch die Chancen einer energischen Klimaschutzpolitik betonen. Der ehemalige Weltbank-Ökonom Nicholas Stern hatte hierzu noch 2006 in seinem bekannten Stern Review den Auftakt gegeben. Er berichtete nicht nur, dass durch die Erderwärmung bis zu 20% der weltweiten Wirtschaftsleistung in Gefahr gerieten, während effektiver Klimaschutz für gerade mal 1% des Welt-BIP zu haben sei. Diese 1%, so Stern, würden vielmehr eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in Zukunftsindustrien nach sich ziehen, das gesamte Energiesystem revolutionieren und zur Erforschung von heute noch ungeahnten Technologien beitragen.

Der Stern Review offeriert kurz gesagt die Wahl, ein Fünftel unserer Welt in Trümmern zu sehen, oder mit einem Hundertstel unserer Wirtschaftsleistung ein nachhaltiges Zivilisationsmodell auf die Beine zu stellen. Jemand online, der lieber in den Trümmern New Orleans statt im Freiburger Solarviertel Vauban leben möchte? Die Stadt München hat in diesem Sommer das Ziel verkündet, bis zum Jahr 2025 zu 100% mit Ökostrom aus eigenen Anlagen versorgt werden zu wollen. Das schafft Arbeitsplätze, erhöht die Lebensqualität und lenkt Aufmerksamkeit auf die Stadt, die wie jede andere auch gerne Touristen anzieht. Wo bleibt die breite Bewegung, die den für so eine Politik benötigten öffentlichen Stadtwerken endlich die notwendige Rückendeckung gibt? Anti-Atom-Proteste bringen doch auch 50.000 Menschen auf die Straße.

Abschied vom Katastrophenjargon

Auch wenn es sich für langjährige Beobachter der Klimadebatte zunächst gewöhnungsbedürftig anhören mag: Als Chance formuliert, verfängt Klima als Thema in der Öffentlichkeit viel eher, werden die dringen nötigen Reduktionen beim Treibhausgasausstoß eher möglich. Wir reden dann nicht länger über fiktive Emissionsminderungsziele bis 2050, die nahende Klimakatastrophe und die lange überschrittenen Grenzen des Wachstums mit ihren furchtbaren Konsequenzen. So berechtigt dies alles ist, so macht die Konzentration auf den Katastrophen- und Verzichtsjargon doch die Mobilisierung einer so großen Zahl von Menschen unmöglich, wie sie für die anstehende Nachhaltigkeits-Transformation nötig ist.

So formuliert beginnen wir stattdessen über die Möglichkeiten zu reden, die der Umbau unseres Wirtschafts- und Energiesystems mit sich bringt. Ein Beispiel: In der deutschen Umweltbewegung wird das Erneuerbare-Energien-Gesetz als großer Erfolg gefeiert. Das ist es auch, weil es eben Chancen vor Risiken und Visionen vor Horrorszenarien gestellt hat. Das Gesetz bietet nicht nur eine Möglichkeit für überzeugte Ökos, dem Klimawandel ein – im globalen Sinne ohnehin unmessbar kleines – Schnippchen zu schlagen. Es offeriert allen Menschen auf der Suche nach einer sinnvollen Anlagemöglichkeit für ihr Geld die Option, eine nachhaltige Investition zu tätigen, damit Rendite zu erwirtschaften und gleichzeitig die Energiewende voranzutreiben. Der Erfolg dieser Strategie spricht für sich.

Das Bundesumweltministerium hat die Zeichen der Zeit erkannt. Es hat neben international kursierenden Konzepten wie den „Green New Deal“ auch Ideen deutscher Vordenker wie Martin Jänicke – mit seinen Forschungen zu Pionierstaaten und lead markets – oder Ernst Ulrich von Weizsäcker dankbar aufgegriffen und daraus das Mantra der „Ökologischen Industriepolitik“ geschmiedet. Und bei Al Gore lässt sich diese Evolution im Blitztempo beobachten: Von der düsteren „unbequemen Wahrheit“, die nur zum Schluss einige alibihafte Verbesserungsvorschläge machte, hin zu seiner positiv formulierten „We Can Solve It“-Kampagne vergingen gerade mal zwei Jahre. Zusammen mit „Repower America“, einer Graswurzel-Plattform für die Transformation des amerikanischen Energiesystems,  und dem aufklärerischen, eher gegen Skeptiker gerichteten „This Is Reality“ bilden diese drei Organisationen die „Alliance for Climate Protection“. Dahinter steckt ein integriertes Konzept, mit dem zahlreiche Leute für eine positive Botschaft mobilisiert werden können.

Greenwashing

Trotzdem sind viele Dinge an diesem sich abzeichnenden neuen Paradigma kritikwürdig, einmal abgesehen davon, dass die progressiven Kräfte es mal wieder versäumt haben, das Thema zuerst und mit Verve zu besetzen. Während von einigen Akteuren eine Einheit von Umwelt und Wirtschaft forciert wird, verbirgt sich darin durchaus das Risiko, Umwelt gegen Soziales auszuspielen und Klimaschutz als Renditegarantie für Konzerne zu verpacken. Greenwashing lauert ohnehin an jeder Ecke, wie Stefan Kreutzberger in seinem Buch „Die Ökolüge“ gut dargestellt hat.

Paradoxerweise wird trotzdem gerade den Unternehmen zugemutet, Impulse im Bereich der Nachhaltigkeit zu setzen. Eine nicht repräsentative und noch laufende Umfrage des Rates für nachhaltige Entwicklung zeigt diese Entwicklung exemplarisch: Während von den Klimaverhandlungen in Kopenhagen kaum jemand ein Wunder erwartet und der Politik weder zugetraut wird, Nachhaltigkeit künftig prominenter zu behandeln, noch konkret die Flächenversiegelung in Deutschland einzudämmen, wird ausgerechnet den Unternehmen ein zunehmendes Engagement im Nachhaltigkeitsbereich zugetraut.

Doch auch in dieser Entwicklung steckt nach wie vor eine Chance, nämlich die einer Erneuerung zivilgesellschaftlicher Bewegungen unter gemeinsamen Bannern. Wenn Globalisierungskritiker, Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen, Umweltverbände und viele weitere künftig wieder eine größere Rolle spielen und ihre Ziele wirklich durchsetzen wollen, dann brauchen sie eine positive Vision, in der sich ihre gemeinsamen Vorstellungen bündeln, eine schlüssige Strategie, die auf sozial verankerten Werten basiert, und Partner in der ganzen Gesellschaft.

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