#Finanzkrise

Die Krise und die (Neu-)Gier

von , 13.11.08

Die Weltfinanzkrise ist heutzutage in aller Munde. Kaum jemand weiß, welche Konsequenzen sie noch haben wird und inwieweit auch der Steuerzahler durch staatliche Haftungen zum Handkuss kommt. Ursprünglich wurde die Weltfinanzkrise als Gespenst abgetan, hat sie sich jedoch in den letzten Wochen und Monaten materialisiert, und macht sich nun deutlich spürbar in der öffentlichen Hand und in den privaten Haushalten. Von den europäischen aber auch amerikanischen Regierung wurden Haftungen in hunderten von Milliarden übernommen und viel Geld wurde den Banken an frischem Kapital zugeführt. Was war denn die Ursache? Wie kam es dazu?

Ursachen der Weltfinanzkrise

In den Jahren 2001-2005 waren die Zinsen, insbesondere bei Hypotheken, in den Vereinigten Staaten auf einem Tiefstand. Der Wunsch der Amerikaner nach einer Eigentumswohnung oder einem Haus war groß und die Banken ermöglichten die Finanzierung auf Pump. Häufig wurde hier kaum oder gar kein Eigenkapital vorausgesetzt. Man baute darauf, dass sowohl die Liegenschaften im Wert ständig stiegen, als auch die Einkommenssituation der Käufer sich laufend verbessert. Ein wesentlicher Pferdefuss lag jedoch darin, dass die Hypothekenverträge mit variablen Zinsen abgeschlossen wurden, so dass bei steigenden Zinsen auch die Belastung steigt. Wenn nun keine Sparrücklagen da sind, Zinsen steigen, die Belastung dann stärker zunimmt als es die Einkommenssituation zulässt, bleibt nur mehr der Notverkauf. Treten solche Notverkäufe in Massen auf, so kommen die Banken in Schwierigkeiten, denn sie müssen diese Hypotheken abschreiben, bzw. die Häuser sind dann unverkäuflich.

Darüber hinaus änderte sich in den Jahren 2001-2003 in den USA ein Teil des Bankengeschäfts radikal. Die Kreditrisiken vieler Kunden wurden gebündelt, z. B. die gerade erwähnten Hypothekenverträge und durch diese Bündelung wurden sie handelbar gemacht und wurden von Bank zu Bank als rentable Anlage weiterverkauft. Käufer waren andere Banken, Versicherungen und andere Finanzinstitutionen. Hinzu kam ein Versagen der Rating-Agenturen, welche nur eine oberflächliche Bewertung durchführten. Im August/September 2007 beginnt dann zunächst die Hypothekenkrise in den USA mit großen Verlusten den amerikanischen Banken und den darauf folgenden Zusammenbruch von einigen dieser Banken. Danach breitete sich die Krise wie ein Lauffeuer aus. Keiner weiß bei den Banken, bei wem und wo welche Risiken stecken. Die Folgen waren Angst und Vertrauensbruch. Die Banken vertrauten sich nicht mehr gegenseitig und damit kam es in weiterer Folge zu starken Verlusten der Banken und negativen Folgen für die Realwirtschaft. Diese deshalb, da Banken keine Kredite mehr vergeben und Firmen somit in der Produktion stark behindert sind.

Reaktion der Regierungen und erforderliche Regulierungsmaßnahmen

Die rasche Reaktion vieler Regierungen im Oktober 2008, dadurch die Vertrauenskrise der Banken und Geldinstitute untereinander zu überwinden, dass staatliche Hilfen im großen Ausmaß bereitgestellt wurden, war eine gute Makroentscheidung, aber natürlich aus mikroökonomischer Sicht fatal – denn Fehlverhalten wurde nun belohnt. Diese Mikroentscheidung wird nur dann eine gute Mikroentscheidung, wenn nun effektive Regulierungsmaßnahmen folgen. Die Konsequenz ist allerdings, dass zunächst der Steuerzahler zum Handkuss kommt, in welchem Ausmaß ist allerdings noch offen.

Was kann nun aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht getan werden, dass die richtige Makroentscheidung im Nachhinein auch eine richtige Mikroentscheidung für die Kreditwirtschaft wird? Hierzu schlage ich folgende sechs geld- und finanzpolitische Maßnahmen vor:

(1) Die USA müssen sich an internationale Vereinbarungen zur Harmonisierung der Bankenaufsicht beteiligen. Diese Vereinbarungen können sich am Basel II System orientieren, was staatlich zu kontrollieren ist.

(2) Wiedereinführung der Mindestreservenpflicht der Banken bei der jeweiligen Zentral- und Notenbank.

(3) Europa braucht ein gemeinsames System der Finanzaufsicht. Dabei muss jeder Staat für die Verluste seiner eigenen Banken aufkommen.

(4) Einführung einer Finanztransaktionssteuer (Tobin Tax). Die Voraussetzung ist jedoch, dass alle wichtigen Finanzplätze diese auch implementieren.

(5) Investmentbanken, Hedge Fonds und Private Equity Gesellschaften müssen den gleichen Regeln unterworfen werden, wie die Geschäftsbanken.

(6) Es muss zu einer strikt symmetrischen Formulierung in den Gehaltsverträgen der Top-Manager kommen, d.h. sie verlieren genauso viel, wie sie gewinnen. Die Berechnung der Boni-Prämien soll nach Jahresbilanzen und nicht nach Stichtagsbilanzen erfolgen.

(7) Conduit-Zweckgesellschaften und andere Konstruktion zur Austragung des Investment-Banking Geschäftes aus den Bankbilanzen sollten so beschränkt werden, dass die eingegangenen Risiken in den Bankbilanzen transparent werden und die Bank den Totalverlust verkraften kann.

Es stellt sich nun die Frage, ob diese Maßnahmen tatsächlich zur Überwindung der Krise ausreichen. Falls die Krise auf der Realwirtschaft massiv übergreift, dann ist es essentiell, dass die Regierungen so rasch wie möglich staatliche Infrastrukturprogramme in Gang setzen, denn nur mit diesen werden unmittelbar Aufträge für die betroffenen Firmen gegeben und damit auch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Wird das Eisenbahnsystem modernisiert, werden neue Straßen gebaut und wird in die staatliche Bildungsinfrastruktur massiv investiert, schafft dies nicht nur unmittelbar Arbeitsplätze, sondern langfristig werden zusätzliche Assets geschaffen, die eine Verschuldung rechtfertigen.

Ein Plädoyer für Marktwirtschaft

Abschließend sei ausdrücklich gesagt, dass es aus meiner Sicht zum derzeitigen System der Marktwirtschaft keine Alternative gibt. Neugier (aber leider auch Gier) gehört zu den Grundlagen einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Das Streben nach Gewinn stimuliert die (Neu-)Gier. Sie lässt Menschen nach besseren Ideen suchen. Niemand weiß im Voraus, wer Erfolg haben wird, oder scheitern wird. Deshalb ist der Weg in der Marktwirtschaft mit Verlusten und Konkursen gepflastert. Weder strengere Gesetze noch schärfere Kontrollen können menschliches Fehlverhalten verhindern. Sie können auch kein Tugendhaftes Verhalten erzwingen. Dennoch ist kein anderes Wirtschaftssystem bei der Suche nach Lösungen für komplexe Probleme in der Wirtschaft auch nur annähernd so erfolgreich wie die Marktwirtschaft. Das Zusammenspiel von Freiheit und Verantwortung und Haftung hat trotz aller Krisen auch in globaler Hinsicht zu wesentlich mehr Wohlstand geführt. Es geht aber um einen Abwägungsprozess: Wie ein Richter die gegenläufigen Argumente von Staatsanwalt und Verteidiger gewichten muss, gilt es, die Kosten von Markt- und Staatsversagen gegeneinander abzuwägen. Freie Märkte sollen durch staatliche Regulierung begrenzt werden, insbesondere dort, wo Marktversagen in ökonomische, ökologischer und sozialer Hinsicht auftreten kann. Es gilt zu verhindern, dass Banken und Versicherungen so bedeutsam sind, dass sie too-big-too-fail sind, d.h. ihr Untergang kann auch andere (unbeteiligte) Firmen zerstören und im schlimmsten Fall ein ganzes Land (Island) in den Konkurs oder Staatsbankrott führen. Es gilt den Markt so zu regulieren, damit der Wettbewerb funktioniert – nicht mehr und nicht weniger. Das Ziel ist somit eine ökosoziale Marktwirtschaft zu implementieren (eine uralte Forderung – allerdings zeitgemäßer denn je).

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