#Iran

Irangezwitscher: Süßer Vogel Freiheit?

von , 7.7.09

Das süße Vögelchen Twitter lockte uns alle mit seinem Gezwitscher von Freiheit, von zivilem Ungehorsam, von einem zweiten ’89 im Iran. Dazu die verwackelt dramatischen Bilder auf YouTube, die Demonstranten zeigten, die mit Videohandys der nackten Gewalt der Bassidsch trotzten. Mitreißende Bilder waren das, die zu euphorischen Kommentaren über die ungeahnte Macht von Twitter und Co. führten. Verführten. Inzwischen hat nackte Gewalt die Proteste weitgehend erstickt. Aus dem Internet-Gezwitscher ist ein leises Röcheln geworden. Zeit, sich ernüchtert noch einmal zu überlegen, welche emanzipatorischen Chancen das Netz tatsächlich eröffnet.

Wir haben die realen Möglichkeiten von Twitter und Co. furchtbar überschätzt. Die meisten Elogen auf die neue Macht des Internets am Beispiel Iran waren Projektionen, Wunschdenken, angestachelt durch die Möglichkeit, die das Netz uns als Außenstehenden ermöglichte. Englischsprachige Einträge – natürlich nicht die in Farsi – ließen uns fast live teilhaben an den Unruhen. Wer wollte, konnte im Netz den kalten Schweiß, den andere heiß vergossen hatten, erschnuppern. Das war aufregend, ein exotischer Kitzel. Bis der tote Michael Jackson das Thema verdrängte.

Zugegeben: Bilder wie jene der sterbenden Neda können ein Regime in Erklärungsnot bringen. Auch ist die Entwicklung im Iran noch nicht zu Ende, der Protest schwelt weiter. Aber wir sollten uns vor falscher Gewissheit hüten. Die Welt wird nicht dank Internet automatisch besser werden. Neue Medien eröffnen neue Kommunikationswege, neue Felder, auf denen Machtkämpfe ausgetragen werden. Aber wer im Internet allein das Gezwitscher der Freiheit hört, sollte einen Ohrenarzt aufsuchen. Das digitale Zeitalter eröffnet zwar neue Kanäle für Bürgerbewegungen, zugleich aber katapultiert es auch Repression und Propaganda in eine neue Sphäre. Das Video-Handy lässt sich nicht nur nutzen, um Fotos auf YouTube hochzuladen, es ist auch Wanze und Peilgerät für die Geheimdienste. Und nicht nur die Wahrheit, auch die Lüge, nicht nur die Freiheitsliebe, auch Borniertheit, Hass und Verblendung finden im Netz ein zu Hause.

Für westliche Surfer wirken iranische Mullahs mit Bart und Turban so archaisch, dass die meisten unwillkürlich glauben, das Netz müsse denen fremd sein. Dabei bloggten iranische Politiker und Geistliche, lange bevor Angela Merkel ihren Podcast online stellte. Bereits 2006 schränkte die Regierung im Iran die Bandbreite ein, um das Netz besser zu kontrollieren. Das Regime hatte wohl Twitter zunächst unterschätzt – aber der Wettlauf ist noch nicht entschieden. Und die Machthaber in Peking zeigen dieser Tage, dass sie die persische Lektion gelernt haben. Nach den Unruhen in Xinjiang wurde Twitter umgehend blockiert, um die Nachrichten besser zu kontrollieren.

Das Internet ermöglicht schnelle, subversive Kommunikation auch in totalitären Regimes und über Grenzen hinweg, falls in der realen Welt die entsprechenden Strukturen vorhanden sind und wenn die Nutzer wissen, wie sie sich verhalten müssen, um keine verräterischen Spuren zu hinterlassen. Für die Masse der einfachen Bürger in Unterdrückerstaaten aber ist das Internet auch ein Ort mehr, an dem sie beim Ausleben unzüchtiger Freiheitswünsche erwischt werden können. Im Iran und in China ist bloggen und twittern nicht ungefährlich. Das kann man als Bestätigung für das subversive Potential des Internets verstehen. Aber wer begeistert feststellt, dass das Internet jedem Computerbesitzer ein Krümelchen Macht in die Hand gibt, sollte nicht übersehen, dass das Netz für Staatsapparate ganze Bäckereien der Macht bereithält. Wohin das führen kann, hat George Orwell zu Ende gedacht. In seinem Roman 1984 stößt Winston Smith, Mitarbeiter im Wahrheitsministerium, auf ein Foto, das eine Lüge des Großen Bruders beweisen könnte. Smith zögert kurz, dann zerstört er das Bild. Weil 1984 keiner mehr die Wahrheit wissen will.

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