#Online-Journalismus

10 Gedanken zum Online-Journalismus: Divorce your darlings

von , 4.10.10

Dieser Beitrag ist als Diskussionsgrundlage zu verstehen: Zehn Gedankengänge zu Journalismus im Internet bzw. Online-Journalismus. Sie sind abwechslungsreich und vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, dafür aber locker statt todernst formuliert. Ich freue mich auf Kommentare. Here we go:

01) Erst gab es Musketen, dann gab es Schnellfeuerwaffen – Erst gab es Print, dann gab es Online
Es wird schneller geschossen und nicht mehr alles muss treffen. Wenn ich online lese, will ich wissen was jetzt ist. Stellt die Regierung was vor, will ich dass meine Nachrichtenseite mir das schon sagt, sobald sie es weiß. Wenn die Opposition dann später meckert, dann kommt das danach. Nicht erst die großkalibrige Kugel formen und dann feuern, sondern ballern was das Zeug hält. Ich hab ein Recht jetzt zu wissen, was jetzt ist. Und wenn man jetzt erst die Hälfte weiß, will ich die Hälfte auch schon wissen. Wissen, was die Redaktion weiß. Weg vom Rundentaktiker, hin zum Echtzeit-Game. Und Geschichten werden nicht liegen gelassen. Journalisten sollen mich informieren, nicht unterhalten. Wenn heute viel passiert oder recherchiert wurde, dann gibt es heute viel. Passiert morgen kaum was, dann ist das halt so. Mein Apfelbaum gibt auch jedes Jahr unterschiedlich viel Ertrag ab. Aber: Ich hab auch jedes Jahr unterschiedlich große Lust auf Äpfel.

02) Divorce your darlings
Kill your darlings ist ein beliebtes Sprichwort im Journalismus. Das galt vielleicht unter Heinrich VIII, heute lässt man sich bekanntlich Scheiden. Das hat den Vorteil, dass die neue, um einiges (an Text) schlankere (Meldung), zwar der Welt präsentiert werden kann, man seine alte jedoch nicht auslöschen muss. Man kann auf sie verweisen, wenn jemand interessiert ist. Und selbst wenn sich nur einer für sie (also die Langversion) interessiert, so hat man doch jemanden glücklich gemacht. Besser als gleich zum Möder zu werden. Denn man ermordet nicht nur Liebe, sondern auch die Informationen, die man mit der alten (Meldung) geteilt hat. Und Wohnraum für die gute gibt es bekanntlich genug.

03) Redigiere humanum est
Redigieren wird von Menschen gemacht. Und Menschen machen Fehler. Wir müssen uns eingestehen, dass Texte durch redigieren nicht nur besser werden. Bestes Beispiel dafür sind Satzfetzen, die beim Umstellen von Sätzen übrig bleiben und auch bei etablierten Medien immer mal wieder auftauchen finden sind. Das bedeutet nicht, dass auf das Vier-(oder mehr)Augen-Prinzip verzichtet werden sollte. Eigentlich müsste jedoch das Redigierte wieder redigiert werden und… Das ergibt dummer Weise eine Endlosschleife. At least weiß der Redigator (ich liebe diese Wortschöpfung) es auch nicht besser als der Autor, eine Demokratisierung des Redigierens ist vorteilhaft. Es heißt ja auch Vier-Augen-Prinzip und nicht 2×2-Augen-Prinzip. Das gilt freilich nicht nur für Online-Texte.

04) Haltet den Dieb! – Nein, stopp, er hat was hier gelassen
Gedruckter und gesendeter Content klaut Werbefläche, Online-Content schafft Werbefläche. Es spricht also nichts gegen mehr Content. Platzprobleme sind im Internet im Normalfall auch nicht gegeben. Rein Arbeitsplatztechnisch empfehle ich nicht uneigennützig daher natürlich gerne mehr Leute einzustellen, um mehr zu produzieren (tut auch der journalistischen Vielfallt gut). Für die Arbeit aller bereits Eingestellten gilt dem oben genannten folgend: Eine Geschichte stirbt nur, wenn es eine bessere gibt. An endlose Themensuche kann man keine AdSense-Werbung anhängen. Was natürlich nicht heißen soll, dass man sich nicht jederzeit Gedanken machen sollte, ob es nicht besagte bessere Geschichte gibt.

05) Bitte machen Sie sich mit der Lage der Notausgänge vertraut.
Wer hat vor oder während des Lesens dieses Beitrags runter gescrollt, um zu schauen, wie lang es ist? Erwischt! Ich wette du schaust auch auf die Uhr bei der Arbeit. So sind wir Menschen. Was daraus zu schließen ist? Nun, es kommt nicht immer auf die Länge an… Aber viel scrollen oder am Ende der Hinweis „Seite 1 von 821“ schreckt ab. Aber es gibt ja einen Grund, weshalb man drauf geklickt hat. Da gilt es anzusetzen. (ergänzend siehe 02)

06) Legalisiert den Stoff
Was macht ein Leser, den ein Film interessiert, von dem er gerade in der Kritik liest? Vermutlich wird er sich noch den Trailer reinziehen. Den findet er bei YouTube, das weiß er. Wenn er also eh auf fremden Content geht, kann ich ihm das Video besser direkt einbinden, z.B. am Ende des Textes oder an der Seite. Das nennt man Service. Und hey… Er ist dann sogar noch auf der Seite. In Kinos gibt es übrigens neben Filmen auch Getränke. Die sind meist nicht von Warner Bros. Und wenn ich kein Getränk will, hol ich mir keines. Und der uninteressierte wird das Video auch wegtolerieren. So wie er (Werbemenschen weggeguckt!) es auch schon mit den Werbebannern macht.

07) Deppen, ich brauche einen Deppen!
Seiten sollten so gestaltet sein, dass auch der DAU, der dümmste anzunehmende User, ihre Handhabung versteht – was im Text ist ein Link, wie komm ich zur Startseite… Praktisch, wenn man den DAU persönlich kennt und fragen kann, in den meisten Fällen hat man ihn oder sie jedoch nicht zur Hand. Man könnte eine Topfpflanze im Büro fragen. Wenn die jedoch erwartungsgemäß nicht antwortet, sollte man es lieber immer eine Nummer idiotensicherer machen, als man es für nötig erachtet. Und damit man die Superbrains unter den Usern nicht kränkt, verpackt man es als Usability.

08) Die Party ist doof, ich geh! Hey, Moment: Wer ist denn Sie?
Am Anfang war die Musik (Wortwahl) ja noch cool, aber jetzt wiederholt sich doch eine Menge und die Getränke (Fakten) sind auch schon aufgebraucht. Ich verlasse diese Party (Text) bevor sie offiziell endet. Schon am Ausgang: “Hey, wer ist denn die hübsche Brünette (Zwischenüberschrift)?” Ich bleib noch mal kurz, auch wenn ich ein paar Lieder (Absätze) verpasst habe. Ich hoffe ich kann trotzdem noch mitreden (alles verstehen).

09) Am I my readers’ keeper?
Jipp.

10) Meine Meinung steht fest, verwirr mich nicht mit Tatsachen
Mir geht nichts mehr auf den Keks, als ein Moderator, der bei einem Spiel nicht gegen Schalke ist. Menschen sind so. Wir homo sapiens können so verdammt faktenresistent sein. Das ist eigentlich auch gut, sonst würde gar keine Ehe halten. Aber gut ist unser Starrsinn freilich auch nicht immer. Was ich sagen wollte: Quält den Leser nicht mit vorgeschobener Neutralität, denn allein die Frage ob und wie groß ich berichte, ist schon eine Meinung. Es braucht viel mehr Diskurs, sprich auch viel mehr Kommentare in unserer Medienlandschaft. Die Medien beklagen mangelnde Debatten, bringen aber auf vielleicht zehn Texte einen Kommentar. Und Hilfe, ich könnte Leser vergraulen? Zeitungs-Abonnementen nehmen nicht selten das Blatt, das ihrer politischen Richtung etwas entgegen kommt. Gleichzeitig hört man immer wieder von Leuten, die die Bild nur kaufen, um sich drüber aufzuregen. Langer Rede, kurzer Sinn: Leser bestätigen und aufregen klingt nach einer erfolgreichen Mischung.

Diese Gedanken veröffentlichte Andreas Grieß zuerst in seinem privaten Blog (Teil 1, Teil 2).

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