von Jennifer Schindl and Jan Krone, 22.12.14
Im Juni 2013 gelangten die ersten von Whistleblower Edward Snowden geleakten Informationen über die Praktiken der NSA an die Öffentlichkeit. Aus den veröffentlichten Geheimdienstinformationen ging hervor, dass umfassende Datensätze erfasst, gespeichert und analysiert werden. Dies geschieht ohne ersichtliche Grenze und mit unbestimmbarer Dimension: weltweit, die verschiedensten Kommunikationsmittel betreffend und weitgehend ohne konkreten, belastbaren Anlass.
Komplexe technische und rechtliche User-Umgebung im Internet
Eine Ursache für die Unsicherheiten der Nutzer von Social Software über die Verwendung persönlicher Informationen durch unbekannte Dritte sind zum einen die schwer fassbare, weltweite Vernetzung und die damit einhergehende schwindende Relevanz geographischer und organisatorischer Grenzen. Zum anderen erschweren die komplexen juristischen, international uneinheitlichen Zugänge ein Verständnis für das, was Nutzer von Social Software-Plattformen heute als „schützenswerte persönliche Informationen“, also Daten, die über Person, Ort und Zeit zu einem Beziehungsgeflecht verbunden werden können, empfinden, Als Konsequenz sind die User als kleinste Einheit selbst angehalten mit ihren persönlichen Informationen sorgfältig abwägend statt unbedacht und auf Dritte vertrauend umzugehen (Datensparsamkeit).
Begleitend mit der durch Surveillance einhergehenden Ernüchterung ob eines akzeptablen Schutzniveaus der informationellen Selbstbestimmung hinsichtlich freier Kommunikation wird verstärkt öffentlich darauf aufmerksam gemacht, dass der Schutz persönlicher Daten via Social Software – weder national noch international – zureichend geregelt, geachtet und die Gesetzeslage nicht zur Genüge dem Fortschritt der digitalen Entgrenzung von zwischenmenschlicher Kommunikation angepasst ist. Auch stellt das Abschöpfen/Verarbeiten von persönlichen Informationen nach spezifischen Zielinteressen nicht nur eine Problematik aus der Perspektive des Staates bzw. der Staatengemeinschaft, sondern ebenso auf der Ebene Individuum und Organisation/Industrie dar.
Persönliche Informationen gelten als wertvolle Ressource und das Bedürfnis nach vernetzter Kommunikation ist nicht stagnierend oder rückläufig. Gemessen an der populärsten Social Software Facebook gewinnen Kommunikationsoptionen nach wie vor stetigen Zulauf.
“Snowden-Effekt“ in der Abgabe persönlicher Informationen
Ob sich verwandte Effekte, solche der graduellen, abwägenden Freigabe von persönlichen Daten, auch bei weiterhin aktiven Facebook-Usern zeigen, wurde hier mithilfe einer qualitativen, strukturierenden Inhaltsanalyse untersucht. Dazu wurde die Entwicklung der Preisgabe persönlicher Daten auf Facebook-Profilen im Jahre 2013 von 50 – mittels Losverfahren ausgewählten – Probanden, die in diesem Jahr insgesamt 711 Postings lieferten, untersucht. Die willkürliche Stichprobe entstammt dem internationalen „Freundesstamm“ der Co-Autorin. Von 233 angefragten Fällen antworteten 115 mit einer Zustimmung zur anonymen Evaluation ihrer Profile und den dort sichtbaren Informationen – ohne Hinweis auf den Untersuchungszweck. In Bezug auf die Grundgesamtheit (757 Millionen aktive User weltweit im 4. Quartal 2013) handelte es sich um eine explorative Studie, die ein Schlaglicht abliefert. Dem Ziel folgend, eine Bewusstseinsänderung hinsichtlich Datenemissionen von Individuen zu messen, wurden die Ergebnisse des ersten (Prä-Snowden-Leaks) und zweiten Halbjahres (Post-Snowden-Leaks) 2013 gegenübergestellt. Vor und nach der Zäsur zur Internet-Surveillance.
Als notwendige, theoretische Grundlage der Untersuchung dienten zu einen die zeitgemäße Annahme, dass Profile von Facebook-Usern als Veröffentlichungen im Sinne einer Zugriffsoption durch eine sehr große Anzahl unbekannter Dritte als Teil der Öffentlichkeit anzusehen sind. Zum anderen wurde eine Abstraktion rechtswissenschaftlicher Komplexe zu „persönlichen Informationen“ vorgenommen. Das Medienrecht als sogenannte „Gemengelage“ umschließt den Untersuchungskern „persönliche Informationen“ aus hier drei als wirksam erachteten Bereichen: die auf Massenmedien angewandte Sphärentheorie zum Persönlichkeitsrecht, Datenschutzgesetze für die Regelung im Umgang mit personenbezogenen Daten sowie das Urheberrecht in Bezug auf Geoinformationen.
Medienrechtliche Gemengelage „Persönliche Informationen“
Als Untersuchungskategorien wurden in der Folge alle Informationen/Datenfragmente, die auf Facebook tatsächlich vorkommen könnten operationalisiert. Als relevant für die Untersuchung angesehen wurden die Kriterien „personenbezogene Daten“, „Abbildungen“, „Namensnennungen“, „Geoinformationen“, sowie die Sphärentheorie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Zuweisungen eines Individuums zur Sozialsphäre, Privatsphäre und Intimsphäre). Als „geschützte persönliche Information“ kodiert wurde ein Inhalt, sofern einer der folgenden, der Fachliteratur entnommenen, Sachverhalte auf ein Posting zutraf.
- Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Bestimmbar wird eine Person, wenn sie direkt oder indirekt identifiziert werden kann. Darunter fallen nicht nur die Preisgabe von Kennnummern, sondern auch Angaben, die Aufschluss über physische, physiologische, psychische, wirtschaftliche, kulturelle oder soziale Identität geben.
- Abbildungen (d.h. Fotos, Fernseh- und Filmaufnahmen, Fotomontagen, Zeichnungen, Gemälde, etc.) sind als geschützt zu betrachten, sofern die dargestellte Person identifizierbar ist. Das Kunsturheberrecht setzt demnach ein, wenn der Abgebildete für Dritte in einer erkennbaren Weise abgebildet wurde. Es reicht hierbei die Erkennbarkeit für einen mehr oder weniger großen Bekanntenkreis. Zum Zwecke der Identifizierbarkeit sind jedoch nicht nur die Augenpartie und Gesichtszüge ausschlaggebend, sondern auch andere Eigenheiten, wie Gesten, Körperhaltung, usw. Ebenso ist eine Erkennbarkeit im Sinne des Gesetzes gegeben, wenn der Betroffene aus dem zugehörigen Text identifizierbar ist. Eine Ausnahme besteht, wenn es sich um eine Nacktaufnahme handelt, deren Verbreitung auch ohne Wiedererkennungswert unzulässig ist. Die angeführten Objekte dürfen nicht ohne Einwilligung der Abgebildeten verbreitet oder veröffentlicht werden. Konkludentes Tun, also beispielsweise durch Posieren oder Lächeln in die Kamera, gilt als eine solche Einwilligung. Diese kann allerdings als unwirksam erklärt werden, sollte eine Person zu dem Zeitpunkt möglicherweise alkoholisiert gewesen sein.Ausnahmen von der Einwilligungspflicht bestehen bei Abbildungen, bei denen es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, von einer Versammlung oder um ein Bildnis, auf dem Personen nur als Beiwerk fungieren oder das einem höheren Interesse der Kunst dient, handelt. Selbiges gilt, für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit.
- Ebenfalls geschützt ist der Geburtsname eines Menschen, da dieser Ausdruck der Individualität und Identität ist. Aufgrund der Handhabung, dass Personen sich mit ihrem tatsächlichen Namen anzumelden haben und Facebook sich andernfalls erlaubt, seine Nutzer zu löschen, erklärt sich die Relevanz der Namensnennung.
- Grundsätzlich sind Geoinformationen als frei anzusehen. Handelt es sich bei den Geoinformationen aber um personenbezogene Daten, gibt es hier allerdings Einschränkungen, denn zur objektiven Abwägung dieses Sachverhalts wird vorgeschlagen, danach zu fragen, ob die Angabe Auskunft über die Individualität einer natürlichen Person gibt.
- Nach der Sphärentheorie umschließt die Privatsphäre das Leben im häuslichen Bereich und im Verwandtenkreis – hier handelt es sich also um Informationen, die von der Öffentlichkeit abgeschirmt und nur einem bestimmten, nahestehenden Personenkreis zugänglich gemacht werden sollen. Die Intimsphäre bzw. der höchstpersönliche Lebensbereich, bei dem es um die Entfaltung der Persönlichkeit geht, handelt vom Ausdruck innerer Vorgänge, wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art. Dieser Kernbereich privater Lebensgestaltung gilt als unantastbar.
Als erstes Ergebnis der Untersuchung ergab sich eine schwach rückläufige Entwicklung der Angabe geschützter, persönlicher Information auf Facebook vom ersten auf das zweite Halbjahr 2013. Betrachtet man die Resultate unter qualitativen Aspekten, lässt sich feststellen, dass die regressive Veränderung bei den untersuchten 50 Fällen jeden Geschlechts, jeder Herkunft und jeder Ausbildung gleichermaßen auftritt.
Ein umgekehrter Trend lässt sich im zweiten Ergebnis der empirischen Untersuchung erkennen, wenn die Anzahl und Entwicklung aller erfassten Angaben auf den untersuchten Profilen auf Facebook herangezogen werden. Es erfolgt ein Anstieg der Postings von der ersten auf die zweite Jahreshälfte 2013. Der Anteil der insgesamt 711 Postings betrug im ersten Halbjahr 46,55%, im zweiten Halbjahr 53,45%.
Bewusster Umgang mit, statt Abkehr von Social Software
Für das Jahr 2013 kann ein Snowden-Effekt für das Untersuchungssample ausgemacht werden. Die Ergebnisse weisen weder die Abkehr von der Plattform, noch eine Reduktion der Posting-Aktivität aus. Zudem ist eine leichte Sensibilisierung im Umgang mit persönlichen Daten erkennbar. Dieses Ergebnis unterstützt die Auffassung, dass die Aufklärungsarbeit um die Snowden-Leaks aka die Empfehlung zur Datensparsamkeit das Verhalten zumindest der Facebook-User zu verändern imstande ist. Die hier herangezogenen Profile machen zumindest für die verantwortlichen User deutlich, dass sich Unterwanderungen von privater Kommunikation nicht negativ auf die Nutzung des Kommunikationskanals auswirken. Im Gegenteil, die Kommunikation nimmt zu und sie wird angesichts eines zunehmenden Bewusstseins um das Handling von persönlichen Informationen dem Kommunikationsraum angepasst. Die Phase einer ausklingenden „digitalen Pubertät“ scheint durch die Snowden-Leaks begonnen zu haben und verdient als postpubertären Begriff „Snowden-Effekt“ bezeichnet zu werden.
Parallel werden erste Snowden-Effekte auf das Kommunikationsverhalten der Gesellschaft auch an anderen Stellen deutlich.
Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass für via Social Software kommunizierende Individuen die Unüberschaubarkeit informationstechnologischer Optionen und juristischer Maßnahmen zum Schutz persönlicher Informationen vor dem verdeckten Zugriff und nicht stattgegebenen Verwendung einer Komplexitätsreduktion im Sinne des Verbraucherschutzes bedarf
Der Text ist eine Zusammenfassung der Abschlussarbeit von Jennifer Schindl an der Fachhochschule St. Pölten (AT), Studiengang Medienmanagement. Zusätzlicher Dank gebührt Simon Assion für seinen inhaltlichen Support.