#Guttenberg

Skandalberichterstattung: Der unheilvolle Hang zur Dramatisierung

von , 31.3.12

“Warum löst die Kritik an einigen Missständen große Skandale aus, während sie in anderen Fällen im Sande verläuft? Warum empören sich bei Skandalen die meisten Menschen über ein Geschehen, das sie kurze Zeit später kalt lässt?”

Das fragt der Mainzer Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, ein Schüler der legendären Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann. Kepplingers Interesse gilt seit jeher der Wirkungsforschung. Was bewirken die Medien? Optimisten würden die jüngsten Medien-Kampagnen gegen den mutmaßlich obersten Schnäppchenjäger der Nation vermutlich als positives Zeichen werten, weil die erfolgreiche Skandalisierung von Missständen zeige, „dass auch Mächtige allgemein anerkannte Regeln nicht ungestraft verletzen können. Das bekräftigt das Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte der Gesellschaft.“ Zudem schrecke die Möglichkeit der Skandalisierung potentielle Täter ab. Was wiederum die Geltungskraft der sozialen Normen stärke.

Kepplinger kann das nicht bestätigen. Laut seinen empirischen Erhebungen haben solche Medien-Kampagnen in erster Linie negative Wirkungen: „Die Skandalisierung fördert eher das Misstrauen als das Vertrauen und ruft eher resignative Apathie als kritisches Engagement hervor. Die einzige Institution, deren Ansehen mit der Häufigkeit und Intensität der Skandale wächst, sind die Medien, die ihr Ansehen auf Kosten der skandalisierten Institutionen vergrößern.“

Beim Kosten-Nutzen-Vergleich der positiven und der negativen Folgen einer Skandalisierung kommt Kepplinger deshalb zu dem Schluss, „dass die Nutzen-Schadens-Bilanz von Skandalen fragwürdig ist. Gäbe es eine Produkthaftung für Skandalberichte…, wären einige Medien in kurzer Zeit konkursreif.“

Natürlich spricht sich Kepplinger nicht generell gegen das Aufdecken von Missständen aus, er mahnt allerdings dazu, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. „Ob die Skandalisierung von Missständen gerechtfertigt ist, hängt letztlich davon ab, ob der Missstand in der behaupteten Weise existiert, ob das Ausmaß der Skandalisierung in einem vertretbaren Verhältnis zur Größe des Missstands steht und ob die positiven Folgen der Skandalisierung ihre negativen Nebenfolgen rechtfertigen. Auch im Skandal heiligt der Zweck nicht die Mittel.“

Die nächste Aktualisierung von Kepplingers Streitschrift ist bereits fällig. Als der Autor im Dezember 2011 letzte Hand an sein Vorwort legte, freuten sich gerade die ersten Wulff-Berichte auf ihre Drucklegung.

P.S. Für den Freitag habe ich eine ausführliche Rezension des Kepplinger-Buches geschrieben (einschließlich eines Vergleichs mit Karl Otto Hondrichs „funktionalistischer Skandaltheorie“)

 

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