von Andreas Grieß, 10.3.10
Im vergangenen Jahr zogen unter anderem Texte über die EU-Parlaments-Anwesenheit von Silvana Koch-Mehrin (FDP) und einem geänderten Lebenslauf von Hannelore Kraft (SPD) ihre Kreise. Auch den aktuellen Landtags-Wahlkampf in NRW begleitet und kommentiert David Schraven. Ruhrbarone und Wir-in-NRW sind im Netz als wichtige Informationsquellen (nicht nur) im aktuellen Wahlkampf etabliert.
—
David Schraven, die Ruhrbarone sind spätestens durch die Aussagen an Andreas Krautscheid (CDU) zu einem Element des NRW-Wahlkampf geworden. Dabei ging es auch um die Herkunft der Informationen. Gibt es eigentlich Informanten, die bewusst an Blogs herantreten und nicht an konventionelle Medien?
Schraven: In der Regel ist es so, dass man sich Informanten erarbeitet. Als Autor muss man über lange Zeiträume Kontakt halten und wechselseitiges Vertrauen schaffen durch gemeinsame Erfahrungen. Erst dann, nach und nach, sind Informanten bereit, Daten und Fakten weiterzureichen, die ihnen selbst den Job kosten könnten, wenn mit ihnen falsch umgegangen wird.
Bei diesen Verhältnissen spielt es keine Rolle, ob jemand für einen Blog schreibt oder für eine große Zeitung. Deswegen glaube ich auch nicht, dass jemand bewusst Informationen an einen Blog heranträgt. Eher ist es so, dass ein Autor die Geschichten eines Informanten eben da bringt, wo er es für richtig hält. Sei es im Blog oder in einer Zeitung. So schreiben im Blog Wir-in-NRW Journalisten anonym, die aus welchem Grund auch immer keine Chance haben, ihre Geschichten unter ihrem Klarnamen in Zeitungen zu platzieren.
Anders gesagt: Nicht Informanten bringen Infos an Blogs, sondern Journalisten bringen die Geschichten ihrer Informanten in Blogs, die sie selbst betreiben.
Kommt es denn auch vor, dass Parteien oder Wahlkämpfer bewusst versuchen, Blogs Informationen über den politischen Gegner zuzuspielen?
Schraven: Das habe ich noch nicht erlebt. Das liegt wohl auch daran, dass wir bei den Ruhrbaronen gegen alle schießen. Bei anderen Blogs könnte ich es mir schon eher vorstellen, da erkennt man teilweise eine politische Präferenz. Trotzdem wäre den Parteien die direkte Manipulation wohl zu gefährlich, da sie Gefahr liefen, dass ein Blog dann genau über die versuchte Manipulation berichtet.
Welche Rolle spielen Blogs wie Ruhrbarone oder Wir-in-NRW in der politischen Meinungsbildung?
Schraven: Blogs sind in der breiten Bevölkerung noch sehr unbekannt. In der Massenwirkung spielen sie sicher keine Rolle. Man kann sich Blogs eher als kleine Räder vorstellen, die in der Lage sind, große Räder zu bewegen. Auf diese Weise können sie mittelbar Einfluss auf die Meinungsbildung gewinnen. Dann nämlich, wenn große Medien die Geschichten der Blogs aufnehmen. Alleine aus eigener Kraft können Blogs noch keine Massengeschichten produzieren.
Einige Geschichten müssen demnach erst auf Blogs laufen?
Schraven: Ich würde sagen, es gibt nur einen Grund, warum einige Geschichten nur in Blogs funktionieren: Wenn sie zu lang und detailliert sind. Zum Beispiel schreibe ich seit geraumer Zeit über das Umweltministerium in NRW. Das Gebaren dieses Hauses wird in einem Untersuchungsausschuss des Landtages untersucht. Die Beiträge dazu sind oft umfangreich und ich verlinke darin Originaldokumente. So etwas kann ich mir eigentlich nur in Blogs vorstellen. Für Zeitungen ist diese Art der Berichterstattung zu umfangreich.
Wenn wir von Skandalen reden, glaube ich immer noch, dass es die klassischen Medien braucht, um Enthüllungen nach vorne zu bringen. Nehmen wir die so genannte E-Mail-Affäre der CDU in NRW. Zunächst hatte der Blog Wir-in-NRW einige Dokumente zur Affäre geliefert. Die knallten aber nicht richtig. Die Geschichte nahm erst an Fahrt auf, nachdem der Spiegel über den „Miet-mich-Rüttgers“ berichtet hatte.
Sind Texte in Blogs wie Ruhrbarone und Wir-in-NRW aggressiver als der klassische Zeitungsjournalismus?
Schraven: Ja und nein. Ich persönlich versuche bewusst eine direktere Sprache zum Leser zu pflegen. Auch beziehe ich kontroverse Positionen. Ansonsten versuche ich aber die gleichen Standards für mich anzuwenden, als würde ich für Zeitungen schreiben. Bei anderen Blogs sehe ich ähnliche Entwicklungen.
Ist es nicht so, dass teilweise bewusst Einfluss auf Debatten genommen wird?
Schraven: Geschichten sollen natürlich knallen und nicht untergehen. Daher werden sie so platziert, dass sie wahrgenommen werden. Etwa im Umfeld von Parteitagen. Da achte ich schon auf den passenden Moment. Einschränkend bei Blogs würde ich aber sagen: Dort verarbeite ich Sachen oft schneller. Normal kann eine Geschichte schon mal vier bis fünf Wochen liegen und ich recherchiere immer mal wieder dran rum. Bei einem Blog bringe ich eine Story oft sofort.
Die CDU kritisierte, dass die SPD kritische Blogbeiträge zur CDU verlinkt habe…
Schraven: Na gut, irgendwas mussten die ja sagen. Eigentlich ist es aber nicht schlimm. Alle verlinken, das ist ein gängiges Geschäft und man kann sich auch nicht dagegen wehren. Ich sehe das eher vergleichbar zu Pressespiegeln, die per pdf über Emails verbreitet werden.
Mal in Zahlen gesprochen: Wie viel Prozentpunkte im Wahlergebnis machen Blogs bei der Landtagswahl aus?
Schraven: Kein einziges Prozent. Ich glaube nicht, dass Blogs Wahlen direkt beeinflussen. Dazu sind sie zu klein und unbedeutend. Davon abgesehen glaube ich auch nicht, dass Skandale Wahlen nennenswert beeinflussen. Das tun sie nur, wenn sie wirklich groß sind, wie der CDU-Parteispendenskandal damals, oder wenn sie das Lebensumfeld der Wähler direkt berühren. Ich glaube eher daran, dass Blogs die Reflektion über das Geschehen erhöhen können.
Das heißt?
Schraven: Blogs sind gut um Stimmungen zu spüren. Wenn zum Beispiel eine Wechselstimmung in der Bevölkerung wächst, sind die Blogs und Kommentare voll politischer Einschätzungen, Meinungen und Diskussionen. Wenn niemand mit einem Wechsel rechnet, läuft auch keine Debatte. Diese Stimmung lässt sich aber nicht künstlich erzeugen. Bei der vergangenen Bundestagswahl etwa hatten die Jusos wie verrückt getwittert – völlig ohne Erfolg. Die Leser sind nicht doof. In so einem Fall von Wahlwerbung tolerieren sie das einfach weg. Dass ein Thema nicht in der Bevölkerung aufgenommen wird, sieht man daran, dass es keine Einträge dazu gibt, so einfach ist das. Die Blogs stehen hier als ein Teil für das Ganze.
Wie haben sich eigentlich die jüngsten Hartz-IV-Vorschläge von Hannelore Kraft auf die Stimmung unter den Netz-Aktivisten ausgewirkt?
Schraven: Bis zum Hartz IV-Angriff der Spitzenkandidatin der NRW-SPD, Hannelore Kraft, war die SPD im Aufwind. Bundesweit. Es gab jede Menge Diskussionen über die Politik in Nordrhein-Westfalen und auch im Bund. Über die soziale Frage, über moralische Verantwortung und ökonomische Zwänge. Dann trötete die SPD-Kandidatin die alte SPD-Tuba und damit zog auch wieder schlagartig die alte Verdrossenheit in die alten Schützengräben. Jeder wurde daran erinnert, warum noch mal die SPD im Bund nur noch für 23 Prozent steht. Die Diskussionen schlafen wieder ein. Das bedeutet: der Trend der Bundestagswahl setzt sich fort.