von Franz Sommerfeld, 7.8.15
Nach dem vor Überforderung in seinem Vorstandsbüro weinenden Mathias Platzeck, dem ebenfalls überforderten, aber nicht so nahe am Wasser bauenden Kurt Beck und dem Politik-Handwerker Franz Müntefering verfügt die SPD erstmals wieder über einen Parteivorsitzenden, der Politik strategisch denken kann. Mit seiner Parteitagsrede im Jahre 2013 hat er einen modernen, tragfähigen Entwurf für sozialdemokratische Politik in den nächsten Jahren entwickelt.
Sein Ansatz steht in der Tradition der drei großen erfolgreichen sozialdemokratischen Nachkriegspolitiker Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Denn diese so unterschiedlichen Männer, den Emigranten, den Wehrmachts-Oberleutnant und den aus der Nissenhütte ans Licht strampelnden Putin-Freund, verbindet die Vorstellung, dass die Menschen Verantwortung für ihr eigenes Leben und Vorwärtskommen tragen. Das schließt an eine alte Tradition der Arbeiterbewegung an: “Und weil der Prolet ein Prolet ist, d´rum kann er sich nur selbst befrein.” Doch diese Idee der Eigenverantwortung ist in den letzten 40 Jahren in der SPD immer eine Minderheitenposition gewesen. Statt dessen dominiert die Vorstellung vom fürsorglichen Staat, der die kleinen Leute umhegt und schützt und alles regeln muss.
Genau dagegen hatte sich Willy Brandt in seiner großen Abschiedsrede in Bremen 1987 gleich zu Anfang in einem eindrucksvollen Plädoyer für die Freiheit gewandt: “Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit.” Und Brandt kommt dann auf einen zentralen Punkt seines politischen Testaments: “Unsere Bejahung des Wettbewerbs und des marktwirtschaftlichen Prinzip bedarf keiner Relativierung. Eher könnte ich dazu raten, die Bedeutung des unternehmerischen und des eigenverantwortlichen Engagement noch stärker hervorzuheben. Der Staat kann und soll nicht alles machen und regeln wollen.” Von hier spannt sich der Bogen über die Schrödersche Agenda-Politik bis zu Sigmar Gabriel: “Das Leben soll frei sein. Jeder soll aus seinem Leben etwas machen können. Das muss man selber machen.” Der Staat wiederum müsse die Bedingungen dafür schaffen.
Um diese Frage dreht sich unausgesprochen das gegenwärtige Sommerloch-Theater, das gar keines ist, sondern ein veritabler Machtkampf. Ein Teil der SPD-Linken nutzt die nach gegenwärtiger Erkenntnis auf der Hand liegende Erwartung, dass jeder SPD-Kandidat gegen Merkel über keine Chancen verfügt, um Gabriel zu demontieren. Mit seiner gelegentlichen Neigung zu allzu spontanen Reaktionen und Interventionen erleichtert Gabriel seinen Parteifreunden das Spiel gegen ihn und löst Wellen künstlicher Empörung aus. Dass er als Parteivorsitzender dieses Mal niemanden vorschicken, sondern selbst antreten muss, weiss Gabriel. Trotzdem will sein Vize Stegner auf Nummer Sicher gehen und schlägt vor, Gabriel vorab in eine Urabstimmung zu schicken. Das wäre der beurkundete Untergang: Die Partei müsste in der Urabstimmung tapfer zustimmen, und Gabriel würde in der Bundestagswahl trotzdem scheitern und damit sein Ende besiegeln.
Auf diesen Fall bereitet sich Andrea Nahles schon jetzt still und bescheiden im Hintergrund vor. Sie wäre die sozialdemokratische Merkel Variante. Merkel startete als evangelische Christin aus Ossi Land, Nahles als bekennende Katholikin aus der Eifel, ihren Parteien fremdes Terrain. Besonders gut reden können sie beide nicht. Strategie ist ihnen eher fremd, beide sind pragmatisch. Der endet bei Andrea Nahles allerdings dort, wo sie mit Hilfe des Staates das Leben ihrer Schützlinge regulieren kann. Welche monströsen Auswüchse das nehmen kann, hat Nahles gerade beim eigentlich vernünftigen Mindestlohn vorgeführt. Brandt hat sich im Grabe umgedreht. Aber die Linke wird sie küren, und der Rest der SPD wird ihr nach der Gabriel-Niederlage folgen müssen.
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