von Anne Korn, 3.6.14
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So. Am 5. Juni vor einem Jahr veröffentlichte der Guardian den ersten einer langen Reihe von Artikeln, basierend auf den Dokumenten von NSA-Whistleblower Edward Snowden. Das erste Interview mit Greenwald und Poitras brachte der Guardian am 9. Juni. Kommt mir kürzer vor. Muss daran liegen, wieviel Großartiges seitdem geschehen ist.
In den USA zum Beispiel ist der Senat nach langer Debatte dabei, ein umfangreiches Reformprogramm durchzusetzen. In Großbritannien entsetzt man sich über die massive Ausspähung durch das GCHQ – das britische Äquivalent zur NSA – und fordert mit Nachdruck neue Gesetze zum Datenschutz.
In Deutschland steht der im März eingerichtete NSA-Untersuchungsausschuss kurz davor, Edward Snowden als Zeugen zu laden. Damit dürfte auch geklärt werden, welche Rolle der BND bei der Bespitzelung deutscher Bürger durch die NSA gespielt hat. Snowden wird in Deutschland Asyl bekommen.
Aufgewacht. Mist.
Von meinem Wunschtraum ist gar nichts wahr geworden!
Das sogenannte Reformgesetz des US-Senats – auch bekannt als der USA Freedom Act (zur Benennung des Entwurfs mal kein Kommentar) – wurde seit dem ersten Entwurf so weit verwässert, dass es nicht nur den Zuspruch vieler seiner vorherigen Unterstützer verlor, sondern zudem wenig dafür tun wird, die Massenausspähung einzudämmen.
In Großbritannien hört man seit Kurzem (elf Monate zu spät) zwar endlich Rufe nach Reform (Link auf Englisch), aber es ist fraglich, ob diese in Zeiten der Panik über EU- und schottische Austrittsreferenden plus UKIP-Erfolge überhaupt Gehör finden. In Deutschland weigert sich unterdes die Bundesregierung, dem NSA-Untersuchungsausschuss wichtige Unterlagen vorzulegen.
Und dann, diese Woche, Harald Range. Der Generalbundesanwalt ließ verlauten, dass es vermutlich keine Ermittlungen in der NSA-Affäre geben wird. Es stünden „weder Zeugen noch belastende Dokumente zur Verfügung“.
Äh … hackt es?!
Zwei Worte an Herrn Range: Edward Snowden
Dieser hat wiederholt seine Bereitschaft geäußert, in Deutschland auszusagen. Darum gab – und gibt – es in dem sogenannten NSA-Untersuchungsausschuss mehr als genug Gerangel (soll kein Wortspiel sein).
Aber der Ausschuss gerät ja ohnehin mehr und mehr zur Farce, selbst wenn Grünen-Obmann Konstantin von Notz das Gegenteil behauptet und meint, der Ausschuss sei das einzige Gremium, das noch versuche, aufzuklären. Das mag auf Herrn von Notz und seine Kollegen von Grünen und Linken ja zutreffen.
Laut Süddeutscher Zeitung nimmt der Obmann von CDU und CSU im NSA-Ausschuss, Roderich Kiesewetter, Range gegen Vorwürfe und Verdächtigungen in Schutz:
“Wer die Unabhängigkeit der Justiz schätzt, der tut gut daran, die Entscheidung des Generalbundesanwaltes zu respektieren.”
Ach so. Ja dann …
In Zeiten der Massenausspähung, in denen wiederholt offenbar wird, dass man Entscheidungen aus Staatskreisen besser nicht einfach so ungefragt „respektiert“, soll man eine ganz und gar fragwürdige Entscheidung des Generalbundesanwaltes kommentarlos hinnehmen. Ja, nee. Ist klar.
Zumal laut Netzpolitik der Generalbundesanwalt gegenüber Vertrauten von Edward Snowden verlauten lassen haben soll, „für die Vernehmung von Zeugen ‘keinen Raum’ zu haben“.
Geht‘s nur mir so, oder will man uns augenscheinlich für dumm verkaufen?
Snowden? Brauch’ma net
Man kann natürlich keine Beweise finden, wenn man entsprechende Zeugen nicht anhören mag. Vor allem nicht den wichtigsten Zeugen von allen.
“Edward Snowden ist ein wertvoller Schlüsselzeuge der Spähaffäre. Daran hat sich nichts geändert”, sagt SPD-Obmann Christian Flisek und hat Recht.
Der Vorsitzende des NSA-Ausschusses Patrick Sensburg ist allerdings ganz anderer Ansicht. Edward Snowden spiele sich nur auf und habe dem Ausschuss kaum Interessantes zu berichten. “Sollte Snowden nicht bald Beweise in Form von Originaldokumenten vorlegen“, zitiert Spiegel Online, „verliert er jedwede Glaubwürdigkeit für den Untersuchungsausschuss.”
Bravo, Herr Sensburg! Von einem Schwinden der Glaubwürdigkeit des NSA-Ausschusses, der Bundesregierung und nun auch der Generalbundesanwaltschaft kann ja gar nicht die Rede sein. Ganz nebenbei bemerkt könnte man auch die gehässige Frage stellen, was die Regierung daran hindern sollte, Snowden nach Empfang der Dokumente zum Beweis seiner Nützlichkeit dann doch im Regen stehen zu lassen.
Sensburg und Konsorten tun dem NSA-Ausschuss jedenfalls keinen Gefallen damit, statt Snowden mit geradezu abstrusen Zeugenlisten aufzuwarten. Darauf stehen laut Medienberichten Namen wie Facebook-CEO Mark Zuckerberg oder gar die Ex-NSA Chefs Keith Alexander und Michael Hayden, die sich, wenn überhaupt, vermutlich kaputtlachen werden: Deutschland bei der NSA-Aufklärung helfen, na klar!
Wie bekloppt muss man eigentlich sein?
Fakten unter der Bettdecke dem Teppich
Weshalb man allerdings bereitwillig auf den wichtigsten Zeugen in der Angelegenheit verzichtet, indem man Edward Snowden so wenig wie irgend möglich entgegenkommt, scheint nur auf den ersten Blick unverständlich. Bei genauerem Hinsehen scheint der Unwille, Snowden zu hören, etwas mit Praktiken des BND zu tun zu haben, die dadurch möglicherweise ans Licht kämen. Gegen diese haben Verfassungsrechtler ja erst kürzlich vor dem NSA-Ausschuss „schwere Bedenken“ geäußert.
“Die deutschen Dienste liegen mit den Amerikanern in einem Bett”, sagte Snowden dem Spiegel und mutmaßte außerdem, dass “[o]ffenbar […] weiterhin Fakten verheimlicht [werden], die in der Öffentlichkeit Empörung hervorrufen würden”.
Thomas Stadler hat dazu Folgendes zu sagen:
Sollte Snowden […] erhärten können, dass der BND in großem Stil und undifferenziert Daten an die NSA liefert, dann würde einem solchen offensichtlich rechtswidrigen Treiben eine ausdrückliche Gestattung des Bundeskanzleramts zugrunde liegen. Und das würde dann auch die sich ansonsten gerne unbeteiligt gebende Kanzlerin enorm unter Druck setzen.
Es könnte also gut sein, dass die Bundesregierung genau vor diesem Szenario Angst hat.
Das erscheint durchaus plausibel, will man nicht postulieren, die Regierung et al. hätten nun endgültig den Verstand verloren – eine Mutmaßung, die ja, wie ich bereits an anderer Stelle geäußert habe, auch nicht vollkommen abwegig erscheint. Andererseits warnt ja nun offenbar auch das deutsche Innenministerium vor Strafverfolgung deutscher Abgeordneter, wenn diese die Snowden-Dokumente auch nur ansehen.
Nun ja, ich frage mich schon seit geraumer Zeit, ob es sinnvoll ist, die Aufklärung der NSA-Affäre Vertretern aus Regierungskreisen zu überlassen. Vielleicht sollte man da lieber unabhängige Menschen dran setzen, die nicht vor den USA duckmäusern. Besonders, wenn, wie weitgehend gemutmaßt wird, die Regierung neben dem Druck auf den Vorsitzenden des NSA-Ausschusses nun auch Druck auf die Generalbundesanwaltschaft ausübt.
Gewaltenteilung – wie war das noch gleich?
Eigentlich wollte sich die Bundesregierung aus den Ermittlungen des Bundesgeneralanwaltes ganz raushalten. „Generalbundesanwalt Range hatte in der NSA-Affäre freie Hand”, berichtet die Süddeutsche Zeitung.
Genau da scheint aber der Hase im Pfeffer zu liegen. Denn Range wartet nach eigenen Aussagen nach wie vor auf eine Klärung zu Snowdens Zeugenaussage.
Dass diese auf sich warten lässt, liegt natürlich nicht allein an der Befürchtung, dass zwielichtige Machenschaften des deutschen Geheimdienstes öffentliche Empörung hervorrufen könnten. Nach wie vor ist da die Angst vor einer Verschlechterung der Beziehungen mit den mächtigen USA, die kürzlich Bundesinnenminister de Maizière dazu veranlasste, Snowden gegenüber US-Vertretern als „Straftäter“ zu bezeichnen.
Angesichts dessen und des Unsinns, den de Maizières Vorgänger Hans-Peter Friedrich im vergangenen Jahr äußerte, drängt sich die Frage auf, ob das Amt des Innenministers negative Auswirkungen auf die geistige Gesundheit der Amtsinhaber hat. Auch im Hinblick darauf, dass de Maizière laut der Süddeutschen Zeitung ja zu denjenigen Vertrauten von Frau Merkel gehört, die nach Obamas Absage an die direkte Bespitzelung des Merkelschen Handys verstärkt unter amerikanischer Beobachtung stehen.
Somit also den Generalbundesanwalt allein für das Problem verantwortlich zu machen, verkennt das wiederholte Versagen der Bundesregierung in der Sache.
Allein auf weiter Flur: Kein Schwein hilft Range
Dennoch kein Grund für Range, sich damit herauszureden, dass er bei Ermittlungen schwerlich auf Ergebnisse hoffen könne. Dass „Rechtshilfeersuchen an US-Behörden […] vermutlich unbeantwortet bleiben [würden]”, dürfte ihn weder überraschen, noch eine ernsthafte Rolle spielen.
Herr Range kann ja wohl nicht im Ernst erwartet haben, dass die USA sich in der Sache kooperativ zeigen, zumal man Informationen aus den USA sowieso mit Vorsicht genießen sollte. Deren Wert zur Aufklärung ist ja an sich schon fraglich. Auch kann man kaum von den Journalisten des Spiegel erwarten, die ihnen von ihrer Quelle anvertrauten Dokumente herauszugeben – was übrigens auch Glenn Greenwald zu Recht verweigert.
Regierungsstellen reden sich derweil mit der unglaubwürdigen Erklärung heraus, man habe in der Angelegenheit „nur Zeitungswissen“.
Ist der Bundesgeneralanwalt also allein auf weiter Flur?
Nicht ganz. (Pst!, Herr Range: Edward Snowden.)
Aber selbst, wenn Ermittlungen aufgrund der Schwierigkeiten bei der Beweisfindung eher „symbolhaften Charakter“ hätten, so wäre es doch zumindest wichtig, den USA zu verstehen zu geben, dass man sich die massenhafte Ausspähung deutscher Bürger und des Handys der Kanzlerin nicht einfach gefallen lässt.
Wenn der Staat schon bereit ist, „seine Schutzfunktion gegenüber den Bürgern ‘für eine Demonstration des außenpolitischen Duckmäusertums gegenüber der USA [zu] opfern‘“, dann möge man doch wenigstens nicht versuchen, den deutschen Bürgern dies als etwas anderes als Hasenfüßigkeit zu verkaufen. Sich auf irgendetwas herauszureden – seien es nun mangelnde Beweise oder Zeugen oder gar mögliche Straftaten deutscher Abgeordneter – ist den deutschen Bürgern gegenüber hochgradig respektlos. Edward Snowden gegenüber übrigens auch.
Wie der FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki ganz richtig sagte, kann man sich „als rechtschaffener Bürger unseres Landes […] nur schämen.”
Leider muss ich aber Lawblogger Udo Vetter zustimmen, dass „wir ja ohnehin mit nichts anderem gerechnet“ haben.
Deutschland braucht Edward Snowden
Ja, Deutschland braucht Edward Snowden – und ist ihm verpflichtet. Dass die Regierung das nicht einsehen und ihm ausreichend Sicherheit gewähren will, ist ein Armutszeugnis, das seinesgleichen sucht.
Bleibt zu hoffen, dass Aktionen wie die von Campact und Netzpolitik vielleicht doch auf Gehör stoßen und das nette Kompliment bestätigen, das Edward Snowden den Deutschen im Spiegel gemacht hat:
„Ich bin immer wieder beeindruckt“, sagte er da, „welchen Respekt Deutschlands Bürger den Menschenrechten zollen.”
Wäre es nicht schön, wenn die gewählten Vertreter der Bürger Deutschlands sich auf diesen Respekt besinnen würden?
Es würde Snowden nach eigenen Aussagen „sehr freuen”, sich “eine Weile in Deutschland aufzuhalten […] Ob es nun für einen dauerhaften Aufenthalt wäre oder nicht.“
Na denn. Heißen wir Snowden in Deutschland willkommen. Es wird höchste Zeit. Das Gästebett in unserem Haus stünde ihm jedenfalls zur Verfügung.
Darin träumt es sich übrigens schön.
- Möglicherweise wird Range am Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundestages Stellung nehmen (nicht öffentlich). Die Tagesordnung (PDF) wurde entsprechend ergänzt.
- Auf Phoenix ab 09.00 Uhr: Der NSA-Untersuchungsausschuss befragt Generalbundesanwalt Harald Range zur Abhöraffäre. phoenix-Reporterin Jeanette Klag fängt vor Ort Reaktionen der Teilnehmer ein.
- Update, 4.6.: Bundesanwalt ermittelt nun doch – allerdings nur wegen Merkels Handy.
#phoenix-Live: #PK mit Generalbundesanwalt #Range zur #NSA-Affäre – Mittwoch, 04. Juni 2014, 15.00 Uhr
— Carta (@carta_) 4. Juni 2014
#phoenix #Runde um 22.15 & 24 Uhr: Ermittlung nur zum Schein? #Bundesanwalt vs. #NSA http://t.co/MYiqWyKrL4 Sensberg, v. Notz, Kurz, Schulz
— Carta (@carta_) 4. Juni 2014
Crosspost von Notes from Self