von Johannes Hillje, 20.1.17
Wenn sich die rechtspopulistischen Parteien Europas zu einem „Kongress“ treffen, ist der Ablauf meistens derselbe: Eine Le Pen, ein Wilders und eine Petry halten hintereinander Reden, in denen sie sich als einzige Vertreter des wahren Willens ihres jeweiligen Volkes aufplustern und Kanzlerin Merkel und die EU-Institutionen als Verräter und Unterdrücker ihres jeweiligen Landsleute diffamieren. Debattenformate wie Panel-Diskussionen gibt es nicht. Auf dem Programm stehen noch eine lange Pressekonferenz, ein Gruppenfoto und ein Mittagessen, dann fahren alle wieder zurück in ihre Heimatländer und ärgern sich darüber, dass sie beim Grenzübertritt nicht kontrolliert werden. Dieses Drehbuch haben die europäischen Rechtspopulisten schon mehrere Male ausgeführt: Im letzten Februar beim Kongress „Europäische Visionen“ in Düsseldorf und beim „Patriotischen Frühling“ im Juni in der Nähe von Wien. An diesem Samstag wird dieses Programm in Koblenz abgespielt, wenn die Fraktion „Europa der Freiheit und der Nationen“ aus dem Europaparlament zusammenkommt. Das Treffen der Rechtspopulisten ist eine strategische Inszenierung, es geht nicht um gemeinsame Inhalte, sondern um gemeinsame Bilder. Die Botschaft lautet: Brexit und Trump waren erst der Anfang, wir führen die internationale Renationalisierung fort.
Die AfD ist unter Parteien wie dem Front National, der Forza Italia oder FPÖ die jüngste rechtspopulistische Gruppierung. Sie nutzt den Austausch mit den anderen, oftmals erfolgreicheren Parteien, vor allem, um von ihnen zu lernen, wenn nicht gar plump zu kopieren. Ob Medienstrategie oder Themensetzung, der Erfolg der AfD beruht bisher auch auf dem Import erfolgreicher Strategien von anderen Rechtspopulisten in der Welt. Dabei zeichnet sich derzeit ein besonders bemerkenswertes Imitat ab: Ganz im Sinne der reinen populistischen Lehre, vollzieht die AfD derzeit eine programmatische 180-Grad-Drehung, indem sie von einem wirtschaftsliberalen Kurs auf einen Sozialpopulismus à la Marine Le Pe umschwenkt.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass der AfD-Bundestagswahlkampf stilistisch und semantisch eine Mischung aus Trump und Brexit-Kampagnenrhetorik wird.
Im Grundsatzprogramm vom letzten Jahr waren sozialen Positionen rar, stattdessen forderte die Partei die Abschaffung der Erbschafts- und Vermögenssteuer, eine Verschlankung des Staats sowie die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Heute klingt das ganz anders: Jörg Meuthen möchte die Sozialpolitik ins Zentrum des Wahlkampfs rücken und seine Partei wolle „ein soziales Korrektiv für die Abgehängten der Gesellschaft“ sein. Die Partei „orientiert sich an der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft“ und „lehnt einen vulgären Raubtierkapitalismus ab“. Damit geht die AfD auf Stimmenfang bei der SPD und den Linken. Während man mit dem Anti-Merkel-Kurs in der Flüchtlingspolitik und dem Anti-Euro-Kurs zuvorderst enttäuschtes konservatives Wählerklientel abgeschöpfte, widmet sich die Partei nun verstärkt dem linken Spektrum, selbst wenn auch dort schon mit der Fundamentalopposition gegen die Flüchtlingspolitik Stimmen geholt wurden. Auch Björn Höcke sagte am Anfang seiner Rede von Dresden, dass er eigentlich sehr gerne über die „soziale Frage“ reden würde, aber er leider die volle Redezeit für seine Einlassungen zur deutschen Geschichte brauche. In Facebook-Posts fordert die AfD nunmehr mehr Unterstützung für Alleinerziehende und verteidigt aktiv den Mindestlohn, während man früher noch mit 3-Kind-Politik und Kritik am Mindestlohn auftrat.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass der AfD-Bundestagswahlkampf stilistisch und semantisch eine Mischung aus Trump und Brexit-Kampagnenrhetorik wird. Die Vorboten sind schon deutlich zu spüren: Eingeführt von Frauke Petry bei ihrer Neujahransprache, die sie zeitgleich zu jener der Kanzlerin auf Facebook vortrug, nutzt die Partei seit kurzem den Slogan „Wir wollen unser Land zurück“. Das war der Standardsatz von Nigel Farage in der Brexit-Kampagne, die offiziell mit der Variante „Take back control“ operierte. Abgekupfert bei Trumps „Lock her up!“, marschierte die AfD-Jugendorganisation im Dezember mit einem Banner, das den Slogan „Merkel for prison 2017“ trug.
Der Transfer der Trump- und Brexitslogans auf deutsche Verhältnisse wirkt dabei reichlich abwegig: Weder war Merkels Flüchtlingspolitik ein Rechtsbruch, noch gibt es im mächtigsten EU-Mitgliedsland eine ähnliche Gemütslage hinsichtlich einer Ohnmächtigkeit gegenüber Brüssel wie in Großbritannien.
Doch die AfD hat sich mit ihren eigenen Medien einen erfolgreichen Weg gebaut, um die kontrafaktische Stimmungsmache unwiderlegbar unter die Anhänger zu bringen. Auch diese Medienstrategie ist eine Kopie des extrem professionellen Kommunikationskonzept der FPÖ. Angelehnt an „FPÖ TV“ produziert die AfD mittlerweile „AfD TV“. Der Parteisender dreht im Brüsseler Stadtteil Molenbeek oder auf dem Bauplatz einer geplanten Moschee in Bad Kreuznach. Bald soll es eine „Dokumentation“ über Windkraft geben. Auf der Webseite heißt es: „Eine politisch gefärbte Moderation und ein tendenziöses Zurechtschneiden von Redebeiträgen gibt es bei AfD TV nicht“. Das ist in etwa so glaubhaft wie wenn Silvio Berlusconi den Zölibat ablegen würde.
Noch ist AfD TV deutlich unprofessioneller als das Hochglanz-Magazin FPÖ TV, aber in einem Strategiepapier werden ein „eigenes Fernsehstudio” und auch ein „eigener Radiosender“ als Optionen gehandelt. Immerhin dient AfD TV jetzt schon der Umgehung der unabhängigen Medien: Während öffentlich-rechtliche und einige andere unliebsame Medien ausgesperrt werden, überträgt die AfD die Konferenz in Koblenz live in den sozialen Medien über AfD TV. Die Art und Weise wie AfD-Europaabgeordneter Marcus Pretzell die ausgeschloßenen Journalisten vom SPIEGEL und der FAZ öffentlich namentlich auf Twitter nannte, war eins zu eins Autokratenmethodik wie man sie von Erdogan oder auch Trump kennt.
Die Nutzung der sozialen Medien als Hauptkommunikationskanal ist ebenfalls kein strategischer Coup der AfD, sondern von anderen populistischen Bewegungen schon lange erprobt. Das Treffen in Koblenz ist daher auch ein Treffen der rechtspopulistischen Social Media All-Stars. Der Front National ist mit 430.000 Like die erfolgreichste französische Partei auf Facebook, Marine Le Pen mit 1,2 Millionen Followers die Twitterkönigin des Europäischen Parlaments. In Österreich ist Heinz-Christian Strache der beliebtester Politiker auf Facebook (517.000 Fans) und die FPÖ die beliebteste Partei (82.000). Geert Wilders trägt in der niederländischen Politik die Twitterkrone mit 750.000 Followers. Auch die AfD ist bekanntermaßen die erfolgreichste Facebook-Partei in Deutschland und hat mit 313.000 mehr als doppelt so viele Fans wie CDU und SPD zusammen.
Die AfD wird das rechtspopulistische Theater in Koblenz nutzen, um weiter von ihren Gesinnungsbrüdern aus Europa abzugucken. Es ist die Aufgabe der kritischen Öffentlichkeit aufzuzeigen, dass die AfD keinen klaren politischen Kurs hat, sondern sich opportunistisch auf Themen stürzt, die sich einfach popularisieren und in Wählerstimmen ummünzen lassen. Die politische Bilanz vieler AfD-Landtagsfraktionen ist bisher äußert mager, von einem „sozialen Korrektiv“ kann keine Rede sein. Gleichzeitig müssen auch seriöse Journalisten einen geeigneten Umgang mit der Medienpolitik der Partei finden. Die Akkreditierungsmethodik der AfD in Koblenz ist in einem Land mit Pressefreiheit nicht hinnehmbar. Die Rechtspopulisten haben der vierten Gewalt den Kampf angekündigt. Ein Boykott des Kongresses in Koblenz durch die zugelassenen Journalisten wäre die richtige Antwort gewesen. Es lohnt sich auf die Worte Erich Kästners zu hören: „Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“