#Bundeswehr

Die Streitkräfte sind in der Krise. Eine Debatte fehlt

von , 9.6.17

Der Ausgleich zwischen der notwendigen Aufklärung krimineller Taten und dem bereits geäußerten Generalverdacht gegenüber den eigenen Soldatinnen und Soldaten findet aktuell keinerlei Beachtung. Weder gibt es aktuell Demonstrationen, über die Interessenvertretungen oder Bürger ihre konkreten Interessen oder Forderungen zum Ausdruck bringen, noch auch nur den Anschein einer strategisch abgestimmten Aktion in Form einer Gegen-Öffentlichkeit. Auch scheint es zu der Beauftragung eines Kriminologen durch das Verteidigungsministerium keinen Gegenvorschlag zu geben, und sei es nur in der Frage der passenden Methodik, etwa unter (militär-)soziologischen Gesichtspunkten. Mögliche Zukunfts-Szenarien zum Binnenverhältnis von Streitkräften, Politik und Gesellschaft bleiben außen vor.

Keine Einordnung

So wird die Öffentlichkeit, die nach dem Aussetzen der allgemeinen Wehrpflicht kaum noch den Unterschied zwischen General und Hauptbootsmann kennt, von einer kleinen Gruppe von Entscheidungsträgern und Fachjournalisten sowie einer im wesentlichen Handvoll „Community-Experten“ informiert. Es fehlt also ganz offensichtlich an Zwischeninstanzen, die als ausgleichende, einordnende aber auch fordernd wirksame Elemente mit tiefer Kenntnis des betroffenen Sektors kenntnisreich an den Schnittstellen von Militär und Politik (inter-)agieren.

Risiko für alle Beteiligten

Dieses Ungleichgewicht birgt auch für die Spitzen aus Politik und Militär ein Risiko: das Echo ihrer Stellungnahmen ist aufgrund mangelhafter öffentlicher Debatten und Kenntnisse nicht absehbar. So wirkt alles stets wie neuentdeckt, erstmalig, überraschend präsentiert – auch wenn das gar nicht der Fall ist. Die so empfundene Unehrlichkeit über die wahren Beweggründe der öffentlichen (Selbst-)Inszenierung bedingt eine schleichende Entfremdung nicht nur der Bevölkerung von einem potentiellen Arbeitgeber Bundeswehr, sondern auch der parlamentarischen Entscheidungsträger von den direkt verantwortlichen militärischen und zivilen Führungskräften.

Dieses Bild lässt sich in der Öffentlichkeit kaum korrigieren, was zu einem seltsamen Nebeneinander von Personalwerbekampagnen der Bundeswehr („Mach, was wirklich zählt“) und öffentlich ausgesprochenem, dann aber nur halbherzig und hinter verschlossenen Türen korrigierten, Misstrauen führt.

Ohne den direkten Vergleich überstrapazieren zu wollen, darf man sich die Frage stellen, wie ein von einer so grundsätzlich wirksamen Krise betroffenes Großunternehmen agieren würde? Und wie würden sich bei anderen Themenbereichen Foodwatch, ein paritätischer Wohlfahrtsverband oder einer der zahlreichen Interessenverbände der (erneuerbaren) Energieindustrie beteiligen? Kurz: gerade in diesem hochrelevanten Feld mit stetig wachsender Bedeutung fehlen zu einer lebendigen demokratischen Debatte schlicht die Vielfalt der beteiligten Akteure und deren relevante politische Forderungen, systematisiert und strukturiert durch einen professionellen Gesamtansatz und ein entsprechendes Selbstbild der zentralen Akteure.

Kein Monopol des Staates

Doch kluge Handlungsempfehlungen und alternative Lösungswege sind kein Monopol des Staates oder der Regierung, sondern Ausdruck einer lebendigen, auch von aktiven Bürgern, bestimmten Demokratie. Dass diese Rolle üblicherweise an Vereinigungen delegiert wird, die als NGO und Verbände auftreten, hat allem Misstrauen gegenüber Lobbyismus zum Trotz vor allem praktische, aus dem Moment der Repräsentation abgeleitete Gründe. Die Bündelung von Ressourcen wie Expertise und Wirkungsfähigkeit, die auch als positive Gegen-Balance zu den Plänen der Regierung wirksam werden kann, gewinnt vor allem über die Befähigung zur beständigen Kampagnenführung ihre Funktion.

Die Substanz von an die Politik herangetragenen Handlungsempfehlungen drückt sich sodann nicht zuletzt darüber aus, ob sie den Weg in Gesetze oder Verordnungen finden oder ob eine als unzweckmäßig empfundene Regulierung verändert wird. Die Tatsache, ob ein Vorschlag Berücksichtigung findet oder nicht, ist dabei der zentrale Wirksamkeitsindikator und nicht die Anzahl der Presseartikel, der Wortmeldungen in der Tagesschau oder der „Likes“ bei Facebook.

Aktivierung der Verbandsarbeit

Deshalb muss die Frage gestellt werden, wie Verbände und Interessenvertretungen im Feld der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zukünftig agieren wollen, wenn sie dem Vertrauen ihrer Mitglieder und der Bürger gerecht werden wollen. Sie brauchen Agilität, müssen gehört werden können und mit einer gehörigen Portion Durchsetzungsfähigkeit gesegnet beharrlich an der Beachtung ihrer Handlungsempfehlungen arbeiten. Im Vergleich zu ihren lauteren, quicklebendigen Verwandten im Feld der Industrie- oder Sozialpolitik müssen sie sich der Anforderung erst noch stellen, an Kampagnenfähigkeit zu gewinnen und ebenso wie junge Erfolgsunternehmen vor allem auf die passenden Talente zu setzen. Ein weiteres Thema ist die Mischfinanzierung ihrer Arbeit und professionell begleitetes, dauerhaftes Fundraising, über die nicht nur finanzielle Mittel, sondern zuallererst auch Unterstützer für eine Idee gesammelt werden.

Schließlich ist es notwendig, die Frage nach der Wirksamkeit in den Vordergrund zu stellen: Passende Handlungsempfehlungen lassen sich vor allem aus aktiver Teilhabe heraus entwickeln, weniger in geschlossenen Zirkeln. Auch die Haltungsfrage ist zu beachten: Impulse für die Entwicklung konkreter Lösungszenarien lassen sich leichter sammeln, wenn man sich als Plattform, weniger als reine Interessenrepräsentanz empfindet. Dabei ist unter anderem wachsam auf die tatsächliche Umsetzung von Reformen zu achten, um sie im Zweifel einfordern zu können. Bereits eine zentrale Übersicht in Form einer öffentlichen Datenbank über aktuell angestoßene Reformschritte bei den Streitkräften und deren tatsächliche oder vermeintliche Umsetzung wäre da ein spürbarer Fortschritt.

 


 

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