#Bertelsmann

Der stern & Sarrazin oder: Biedermann und die Brandstifter

von , 20.5.12

Morgen endet die Sperrfrist für Thilo Sarrazins Abrechnung mit dem Euro. Das Magazin stern hat den „Brandstifter Sarrazin“ bereits am vergangenen Donnerstag auf den Titel gehoben und nennt dort in bildzeitungsgroßen Lettern gleich auch den Titel des am Dienstag erscheinenden Buches: „Europa braucht den Euro nicht“.
 

Das Verrückte an der stern-Titelgeschichte ist: Sarrazins Buch-Thema spielt darin überhaupt keine Rolle. Der Text ist lediglich ein langgestreckter Kommentar, der in dieser Form auch Ende 2010 hätte erscheinen können. Aufhänger der Geschichte ist eine Lesung mit Sarrazins altem Buch. Man hat sich mit dem jetzigen Veröffentlichungstermin also zum Lakaien des “Brandstifters” gemacht.

„Hypen durch Bashen“ muss man die zutiefst heuchlerische Methode des stern wohl nennen. Fünf kluge Journalisten analysieren die Provo-Masche des Thilo Sarrazin („Wie Brandstifter Sarrazin mit schrillen Thesen Millionen macht“), erliegen dabei aber ganz bewusst selbst dieser Masche. Sie beschreiben sie sogar in allen Einzelheiten. Denn die Startauflage des neuen Sarrazin-Buches beträgt 350.000 Exemplare – und die müssen erst mal verkauft werden. Wie das geht? Originalton stern: Man lässt…

„…vor dem Erstverkaufstag die Druckfahnen ‚in die Redaktionsstuben fallen’… – in der Hoffnung, dass Journalisten bereits im Frühstadium für den nötigen Trommelwirbel sorgen… Die großen Medien, natürlich auch der stern, sind wichtige Räder in diesem Vermarktungsgetriebe. Erst erscheint ein Vorabdruck mit den provokantesten Stellen, am besten über mehrere Tage verteilt, sehr gern in der Bild-Zeitung mit ihrer Drei-Millionen-Auflage. Flankiert wird das ganze von einem Interview oder einer exklusiven Geschichte des Spiegel oder Focus….

Begleitend dazu: Tingeltour durch den Talkshow-Zirkus, also Jauch, Beckmann, Illner & Co. Danach: Lesungen. Unter dem PR-Aspekt nicht unwillkommen ist es, wenn die Gemüter durch den Medienhype so aufgeheizt sind, dass es bei den Auftritten zu Krawallen kommt.“

Ist das nun Chuzpe von Seiten der stern-Redakteure, ist das geniales Unterlaufen der zynischen Verkaufsstrategie des eigenen Hauses oder ist das blanke Selbst-Verarschung? Der stern geht der „Methode Sarrazin“ freiwillig-unfreiwillig auf den Leim, indem er sie ‚kritisch’ analysiert. Originalton stern:

„Sarrazins freiwillig-unfreiwillige Komplizen sind letztlich der öffentliche  Empörungsbetrieb in Parteien und Medien, der seine Bücher erst zum republikweiten Skandal erhebt…“

Am Sonntag ist dann Günther Jauch an der Reihe, am Montag der Focus. Die Medien können aus ihren selbstproduzierten Zwängen offenbar nicht mehr aussteigen (selbst wenn sie es wollten). Nie war Max Frischs Fünfziger-Jahre-Satire „Biedermann und die Brandtstifter“ aktueller. Der stern reicht schon mal die Streichhölzer.

 

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