von Steffen Grimberg, 16.7.09
Auf die Frage, ob er sich für die Zukunft ein weniger problematisches Verhältnis zur Politik wünsche, gab ZDF-Intendant Markus Schächter auf den »Mainzer Tagen der Fernsehkritik« eine ebenso ehrliche wie einsilbige Antwort: »Ja!«, rief Schächter, und es war fast wie ein leiser Schrei. Schächter ist eigentlich für seine leisen Töne bekannt. Doch bereits im letzten Jahr wandte er sich mit „heiligem Zorn“ gegen die Machenschaften der Politik, sprach von »Willkür« und einem drohenden Rückfall in die Welt »vergangener Jahrhunderte«. Da ging es noch nicht um die Causa Brender, sondern um den eben durchgesickerten Entwurf der Bundesländer für das medienpolitische Schreckgespenst namens 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, das die Anstaltsmächtigen seit gut zwei Jahren auf Trab hielt.
Nun mag man einwenden, hier würden Äpfel mit Birnen verglichen: Schließlich ging es 2008 beim 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag um die Umsetzung des mühsam mit der EU-Kommission ausgehandelten Beihilfekompromisses. Diese Übung sollte eigentlich dazu dienen, eine von Brüssel akzeptierte neue Grundlage für die deutsche Spielart der Rundfunkgebühr und die Senderselbstverwaltung zu schaffen, geriert aber in der Realität schon bald zum erbitterten Schlagabtausch über die künftigen Spielregeln in der Online-Welt zwischen Zeitungsverlagen und Zeitschriftenverlegern auf der einen und den öffentlich-rechtlichen Anstalten auf der anderen Seite. Beim Konflikt 2009 handelt es sich dagegen um eine im Vergleich dazu eher begrenzte, aber höchst wichtige Personalie. Und die Frage, welchen Einfluss der Verwaltungsrat als oberstes Gremium des ZDF auf inhaltliche Entscheidungen des Intendanten wie die Verlängerung des Vertrages mit Chefredakteur Nikolaus Brender (Foto hier) haben darf. Zur Erinnerung: Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der auch stellvertreternder Verwaltungsratsvorsitzender beim Zweiten ist, fordert die Ablösung von Brender – vorgeblich aus lauterer Besorgnis um die Attraktivität der ZDF-Nachrichten. Laut ZDF-Staatsvertrag kann der Intendant wichtige Positionen wie die des Chefredakteurs oder des Programmdirektors nur »im Einvernehmen« mit dem Verwaltungsrat besetzen.
Mit Medienpolitik ist kein Blumentopf zu gewinnen
Doch so unterschiedlich die beiden Auftritte des ZDF-Chefs in eigener Sache auch ausfielen, so unterschiedlich die jeweils zugrunde liegenden Konflikte auch sind: Bei beiden Kontroversen ist das Verhältnis des öffentlichen-rechtlichen Systems zur Politik das eigentliche Dilemma. Die über Jahrzehnte gewachsene, gerade auch beim ZDF tolerierte Praxis der parteipolitischen Farbenlehre in den Sendern wie in der Medienpolitik der Bundesländer führt sich endgültig ad absurdum. Sie versagt angesichts der Herausforderungen der modernen Medien- und Kommunikationswelten, ja muss in ihrer rückwärts gewandten Sicht auf Pöstchen und parteipolitische Positionen geradewegs ins mediale Aus führen. Dieses »ungute Konkubinat« (Lutz Meier) zwischen Politik und Anstalten hat noch nie kreative Entfaltungsmöglichkeiten nach vorn geschaffen. Doch nun schafft es soviel Lähmung nach innen, dass trotz offenbaren Systemversagens die handelnden Personen in den Sendern wie in der Politik in ihren eigenen Abhängigkeiten gefesselt sind. Und alle Instanzen machen eine derart unglückliche Figur, dass eine grundsätzliche Neuordnung der Geschäftsgrundlage im staatsfernen, aber alles andere als unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk unausweichlich wird.
Paradoxerweise fehlen hierfür aber die handelnden Personen: Denn nur den nach Parteiproporz durchgefärbten Sendergremien und der ohnehin rein der parteilichen Arithmetik verpflichteten »großen« Politik auf Länderebene käme das Recht zu, einen solchen Befreiungsschlag in Angriff zu nehmen. – Oder, wie so oft in der deutschen Medienpolitik, angesichts unüberbrückbarer Konflikte wenigstens das Bundesverfassungsgericht als Schiedsrichter und Wegweiser anzurufen. Der Bürger, für den und in dessen Auftrag recht eigentlich der ganze Betrieb veranstaltet wird, der Gebührenzahler, der die Zeche zahlt, ist in diesem Kräfteparallelogramm nicht vorgesehen; er könnte maximal höchst indirekt als Wahlbürger seine Präferenzen erkennbar machen und Einfluss nehmen. Doch hier besteht keine Gefahr: Das komplexe Durcheinander der Medienpolitik mit ihren arkanen Strukturen und durchbürokratisierten Routinen taugt nun mal für Wahlkämpfe herzlich wenig.
Wobei der Politik eine gewisse Milde zugestanden sein sollte: Die Partikularinteressen von sechzehn Bundesländern mit ihren parteipolitischen, landsmannschaftlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Verpflichtungen unter einen Hut zu bekommen, kann notwendigerweise nur in einer unvollkommenen Form gelingen. Ob das einem Mediensystem an der Schwelle zur Volldigitalisierung, das sich auch noch bislang eher unbekannten globalen Wettbewerbern stellen muss und sich gerade alles andere als krisenfest beweist, gut bekommt, darf allerdings getrost bezweifelt werden. Denn was da beim 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag alles geregelt wird, blickt eher nach hinten als nach vorn: Besitzstandswahrung im noch völlig diffusen Feld von Online und On-Demand war das Credo von Verlagen wie Privatsendern und den mit ihnen überwiegend verbandelten Handlungsträgern der Union. »Beauftragung« von bestimmten Angeboten die Antwort der SPD. Die immer wieder beschworene Angst vor einer übermächtigen »elektronischen Presse«, mit der ARD, ZDF & Co. den großen wie den kleinen Zeitungen und Zeitschriften der Republik die Luft zum Atmen nehmen würden, erinnert rührend an einschlägige Vorschriften aus der Kinderzeit der Eisenbahnen vor gut 160 Jahren, als solchen Furcht einflößenden Maschinen der berühmte Mann mit der roten Fahne (keine politische Implikation beabsichtigt!) voranzuschreiten hatte.
Was bitte ist heute im Internet »Rundfunk«?
Was schwerer wiegt, ist die vom damaligen ARD-Vorsitzenden Fritz Raff schon in der Endphase der Verhandlungen kritisierte begriffliche Inkonkretheit des ganzen Unterfangens: Was ist heute im Internet »presseähnlich« beziehungsweise »Rundfunk«? Und, vor allem, wie sieht es morgen, in ein paar Jahren, gar Jahrzehnten damit aus? Doch nicht erst hier öffnet sich ein wahres El Dorado für die Zunft der Gutachter. Sie werden schon im Rahmen des berühmten »Drei-Stufen-Tests« zu Quasi-Mitentscheidern, da sie den öffentlich-rechtlichen Gremien jene Expertise einhauchen sollen, die diese ehrenamtlichen Kontrolleure dann zur Grundlage ihrer Entscheidung – nein, nicht machen. Sondern heranziehen können. Nun wäre es unredlich, den schwarzen Peter allein der Politik zuzuschieben: Die öffentlich-rechtlichen Sender haben durch ihre aufgeregte Agitation auch keine bella figura gemacht. Schächter sprach bei den Mainzer Tagen 2008 mit Blick auf den damals noch recht unfertigen Staatsvertragsentwurf wahlweise von »Maulkorb« und »Zensurverdacht«. ZDF-Justiziar Carl Eugen Eberle goss wenig später mit dem Gerede vom angeblichen »Morgenthau-Plan« weiteres Öl ins Feuer ; die ARD reagierte wie immer vielstimmig und produzierte einige höchst kontraproduktive Einlassungen in eigener Sache wie den viel geschmähten Beitrag »Quoten, Klicks und Kohle«. Doch auch dies war nur Vorgeplänkel: Nun muss sich in der Praxis des »Drei-Stufen-Tests« zeigen, wie brauchbar diese neue Bewertungsform künftiger digitaler Angebote ist. Aber auch, wie ernst sie von den einzelnen öffentlich-rechtlichen Anstalten genommen wird.
Es bleibt beim Gefühl der Überregulierung im Detail und dem Eindruck, mit einem reichlich gestrigen Instrumentarium krampfhaft die Dimensionen des Morgen gestalten zu wollen. Der Mut zu großen Freiräumen, flankiert und für andere Marktteilnehmer abgemildert durch gleichzeitige Maßnahmen wie zum Beispiel einen Werbeverzicht bei ARD und ZDF, ist nicht eben groß.
Edmund Stoiber will dem ZDF-Intendanten angeblich eins auswischen
Noch dramatischer als beim Gerangel um den Staatsvertrag wird in der Causa Brender deutlich, dass die bisher tolerierte Vermischung von Parteipolitik, gestalterischer Medienpolitik und anstaltlicher Selbstverwaltung nicht nur gescheitert ist, sondern über kurz oder lang das gesamte System gefährdet. Denn das durchsichtige Taktieren des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) gegen die Vertragsverlängerung des langjährigen ZDF-Chefredakteurs hat das Zweite schon jetzt auf vielen Ebenen beschädigt: Bei Koch geht es natürlich nur als Nebeneffekt um den Journalisten Brender, seine inhaltliche Arbeit, seinen Führungsstil oder die Marktanteile von ZDF-Informationsprogrammen bei bestimmten Zielgruppen – auch wenn all das immer wieder zur Begründung herangezogen wird. Für derlei Programmkritik wäre zudem auch nicht der Verwaltungsrat, sondern der Fernsehrat des ZDF zuständig, der dazu eigens einen Unterausschuss »Chefredaktion« unterhält. Doch der, bestätigen Mitglieder jedweder politischer Couleur, teilt die Koch’schen Interpretationen keineswegs – sondern unterstützt den Personalvorschlag des Intendanten.
In Wahrheit geht es schlicht um die Tatsache, dass die Union in letzter Minute versucht, ihre absoluten Mehrheiten in den Sender-Gremien zu nutzen. Die Torschlusspanik dabei ist echt, schließlich stehen diverse Wahlen an – und Mehrheiten können sich ändern. Das weiß niemand so gut wie der Hessen-Chef Koch. Die dahinter stehenden Partikularinteressen der agierenden Personen sind dabei in den letzten Monaten vielfältig beschrieben worden, und überzeugen schon durch ihre Schlichtheit: Die Kanzlerin erhofft sich von Personalrochaden zwischen Berlin und Mainz offenbar Vorteile im Hauptstadtstudio, Marke: Wenn dessen derzeitiger Leiter Peter Frey Brender auf dem Lerchenberg beerbt, rückt ihr Lieblings-ZDFler Peter Hahne in Berlin auf. Der längst abservierte ehemalige CSU-Chef Edmund Stoiber, der als eine Art Gnadenpension im ZDF-Verwaltungsrat noch Bayern repräsentieren darf, will dagegen angeblich dem ZDF-Intendanten Schächter eins auswischen, weil der bei der jüngsten Wahl von Willi Steul zum Nachfolger von Ernst Elitz als Intendant des Deutschlandradios ungeschickt taktiert und so Stoibers eigentlichem Kandidaten geschadet habe.
Eine Perversion des Systems? Im Gegenteil, das muss so.
Dass ein Intendant, selbst wenn er ein Parteibuch hat, unabhängig von parteipolitischen Zwängen sein sollte, versteht sich also gar nicht mehr von selbst. Dies wiederum bestätigt denn ja auch kein Geringerer als Roland Koch höchstpersönlich im Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. Bei seiner Auffassung versteht man endlich auch, warum beim ZDF – und in etwas geringerem Umfang auch bei den meisten ARD-Sendern – die in den Gremien vorhandenen Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen fast ausnahmslos Parteibuchträger sind: Das ist nicht etwa, wie der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm meint, eine Perversion des Systems. Im Gegenteil, das muss so. Dabei, so Grimm in der FAZ, wäre es »verfassungsrechtlich kein Problem, Aufsichtsgremien frei von Parteivertretern oder Regierungsmitgliedern einzurichten. Die Landtage könnten das beschließen.« Doch dass solche Schritte nicht mal mit der ansonsten in Sachen Selbstentmachtung ja durchaus einschlägig vorbelasteten SPD (siehe Hessen) zu machen sind, zeigt ein nüchterner Blick auf die Meldungslage des Frühjahrs: Da plädierte zwar der Parteivorsitzende für eine Neuregelung bei der Besetzung der Spitzenpositionen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und erklärte sogar, »wir Parteien« seien »gut beraten, uns an der Stelle nicht zu überheben«. Doch heißt der SPD-Chef eben nicht mehr Kurt Beck, sondern Franz Müntefering – was die markige Erklärung ein wenig wohlfeil macht: Über ein positives Echo von SPD-Landespolitikern wurde nichts bekannt.
Und so bleibt es wohl wieder an Karlsruhe hängen, sich des Dilemmas konstruktiv anzunehmen. Das heißt: Wenn sich jemand findet, der mal klagt. Sosehr dies den Absichten des ZDF widerspricht, wo Intendant Schächter nun versucht, bis zur nach den Wahlen in den Herbst vertagten Entscheidung in behutsamer Diplomatie doch noch die Vertragsverlängerung für Brender einzupreisen: Vielleicht braucht es geradezu einen heißen Herbst. Nikolaus Brender hält das aus.
Eine ungekürzte Version dieses Beitrags findet sich im Jahrbuch Fernsehen 2009 des Adolf-Grimme-Instituts. Das Jahrbuch (520 S., EUR 34,90) ist hier erhältlich.