von Iryna Vidanava, 20.9.12
Seit kurzem sorgen in der sonst eher düsteren „letzten Diktatur Europas“ Teddybären, alberne T-Shirts und Satire in sozialen Netzwerken für Schlagzeilen. Das zeigt: Für den humorlosen belarussischen Autokraten Alexander Lukaschenko ist selbst Gelächter eine ernsthafte Bedrohung. Seine Popularität ist auf dem Tiefstand, seine Regierungsmannschaft besteht aus Schurken, die Wirtschaft ist ein Durcheinander. Belarus ist kein Ort für Witze, schon gar nicht vor einer Wahl.
Anfang Juli, einen Tag nach der pompösen Militärparade am belarussischen Unabhängigkeitstag, flogen zwei schwedische Piloten in einem Leichtflugzeug über die belarussische Grenze. Sie warfen hunderte Teddybären ab, an denen Zettel mit Forderungen nach Meinungsfreiheit und Solidaritätsbekundungen für die Opposition befestigt waren. Die Spielzeuginvasion hatte eine beachtliche Resonanz und lenkte die Aufmerksamkeit internationaler Medien auf Belarus. Viele lachten über das Regime, das angesichts der Teddybären auf einmal dumm und unbeholfen dastand. Sich lustig zu machen war sehr viel unterhaltsamer als die gewöhnlichen Berichte über Unterdrückung, Schauprozesse und politische Gefangene.
Für die Mächtigen war die Sache nicht so lustig. Lukaschenko entließ etliche seiner Top-Leute und schloss die schwedische Botschaft in Minsk. Aber es musste auch jemand her, der einen echten Preis für den Streich zahlte. Der 20-jährige Journalistikstudent und Fotoreporter Anton Surapin wurde verhaftet und verbrachte mehr als einen Monat in einem KGB-Gefängnis. Angeblich hatte er den Schweden illegal über die belarussische Grenze geholfen. Tatsächlich hatte Surapin als erster die Fotos von den Teddybären auf seiner Internetseite hochgeladen. Inzwischen wurde Anton zwar wieder freigelassen, die boshaften Anschuldigungen gegen ihn aber nicht aufgehoben. Bis heute steht er unter Hausarrest.
In einem Interview sagte Surapin vor kurzem, er hätte nicht gedacht, dass Fotos von Teddybären ihn ins Gefängnis bringen würden, selbst in einem Land wie Belarus nicht. Trotz seiner Schwierigkeiten ist er überzeugt davon, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Dass er die Fotos als erster verbreitete, zeige sein journalistisches Geschick. Er arbeite weiter an seiner journalistischen Karriere.
Als Surapin im Gefängnis war, lancierten seine Kollegen von den unabhängigen belarussischen Medien eine Solidaritätskampagne für ihn. Übers Internet und soziale Netzwerke verbreiteten sie Fotos von sich in T-Shirts, auf denen „Keine Fotos. Keine Probleme?” stand. Mit Teddybären in den Händen forderten sie übers Internet die Behörden auf, Verantwortung für den „Mist“, den sie gebaut hätten zu übernehmen und Surapin freizulassen.
Während einer der Fotositzungen für die Kampagne wurden eine Fotografin und eine Reporterin verhaftet, vor Gericht gestellt und für „unerlaubtes Demonstrieren in Form von Fotografie“ verurteilt. Anscheinend ist es ein Verbrechen, in der Innenstadt von Minsk Fotos mit Plüschtieren zu machen. Ein Gerücht kam auf, dass die Behörden bald den Verkauf von Teddybären verbieten würden.
Je näher die Parlamentswahl am 23. September rückt, desto absurder werden die Versuche der Regierung, zu kontrollieren, was die Menschen sagen oder denken. Der Arabische Frühling und die Massenproteste in Moskau haben das Regime aufgeschreckt. Es will nichts mehr riskieren.
So belässt es die Regierung nicht wie gewohnt dabei, Kandidaten vor der Wahl zu überwachen, zu zensieren und sogar zu verhaften. Es rückt auch gegen die Spaßvögel und Aktivisten im Internet vor, die zum Boykott der Wahl aufgerufen haben. Am 30. August durchsuchte der KGB die Wohnungen der Online-Community namens „Wir haben Lukaschenko satt” und verhaftete die Administratoren einer der größten Gruppe in Vkontakte, dem russischsprachen Äquivalent zu Facebook. Die Gruppe hatte sich am Vorabend der im Dezember 2010 gewaltsam niedergeschlagenen Präsidentenwahlen gegründet. Bis August 2012 hatten sich dort 37.000 Mitglieder zwischen 15 und 25 Jahren registriert. Anscheinend sind in Belarus schon schlechte Gedanken über den Präsidenten rechtswidrig. Genauso rechtswidrig wie der Aufruf, nicht zur Wahl zu gehen.
Ein Vier-Stunden-Verhör und eine Woche Gefängnis für „Hooliganismus“ haben die jungen Internetaktivisten aber nicht eingeschüchtert. Die Moderatoren gründeten eine Ersatz-Gruppe bei Vkontakte, bei der sich innerhalb weniger Wochen bereits wieder 4.000 Benutzer anmeldeten. Dazu gründete sich eine zweite Gruppe mit dem Namen „nur ShOS“, was für den Satz steht: „Ich wünschte nur noch, er würde sterben“. Die Gruppe zählt bereits 15.000 Mitglieder.
Nach dem Krieg gegen Teddybären und Teenagergruppen im Netz war schwer vorstellbar, was die Mächtigen darüber hinaus noch ängstigen könnte. Doch es dauerte nicht lange. Vor ein paar Tagen beschwerte sich ein Oppositionskandidat der Stadt Gomel, dass sein T-Shirt „Für Belarus ohne Lukaschenko“, das er bei einem TV-Werbespot trug, zensiert wurde. Auch auf den Wahlplakaten mit den Fotos und Lebensläufen der Kandidaten seines Wahlkreises wurde kurzerhand der zweite Teil des Statements entfernt, sodass nur „Für Belarus“ übrig bliebt. Aus dem Einspruch wurde auf diese Weise ein Slogan für das Regime.
Die Dinge sind so surreal geworden, dass sogar die Leiterin des Zentralen Wahlkomitees zur Ächtung jener Kandidaten aufruft, die wiederum zum Boykott der Scheinwahlen aufgerufen haben. Dies erinnert an Sowjetzeiten, als Wählen eine Pflicht war und die Bürger gezwungen wurden, bei offensichtlich fingierten Wahlen ihre Stimme abzugeben. Das Regime sieht nicht die Ironie, die mittlerweile im System steckt.
Der tschechische Autor Milan Kundera vergleicht in seinem „Buch vom Lachen und Vergessen“ das „Gelächter der Engel” mit dem „Gelächter des Teufels”. Beide Arten des Lachens gibt es auch im heutigen Belarus. Das Regime offenbart seinen Galgenhumor, indem es Aktivisten für Scheinverbrechen verurteilt und Scheinwahlen abhält. Im vergangenen Jahr verboten die Behörden sogar das öffentliche kollektive Händeklatschen. Aber die jungen Aktivisten lachen nur über solche Absurditäten und tun ihr bestes, um wieder etwas Verstand ins Land zu bringen.
Immer mehr Belarussen verstehen mittlerweile, wo der eigentliche Witz steckt. Obwohl die Staatsmedien nur über wenige dieser Vorfälle berichten (hier haben Sport und das Wetter mehr Sendezeit als der Wahlkampf), meinen einer aktuellen Umfrage zufolge lediglich 37 Prozent der Befragten, dass die Parlamentswahlen am 23. September frei und fair ablaufen werden. Nur 51 Prozent wollen zur Wahl gehen, etwa genauso viele (47 Prozent) glauben, dass das Ergebnis vom Regime vorausbestimmt wird. 40 Prozent sind der Ansicht, dass das Parlament ohnehin keinen Einfluss hat. Mehr als drei Viertel sind überzeugt, dass das Land dringend Wandel braucht. Mehr als die Hälfte glaubt, dass das Regime mit Hilfe der Geheimdienste regiert. Angesichts der herrschenden Unterdrückung ist es erstaunlich, dass die Belarussen ihren Sinn für Humor noch nicht verloren haben.
Aus dem Englischen von Sonja Volkmann-Schluck.
Der Text entstand für das Korrespondenten-Netz n-ost.