von Wolfgang Michal, 1.12.12
Selten erlebt man Stefan Niggemeier so gereizt und erzürnt wie beim Thema Leistungsschutzrecht. Es ist vielleicht nicht so sehr das Gesetzesvorhaben selbst, das ihn fassungslos macht, es ist vor allem die Schamlosigkeit, ja die Leichtfertigkeit, mit der nahezu alle Qualitätsmedien ihre journalistischen Grundsätze verraten.
„Die FAZ hat — ebenso wie die »Süddeutsche Zeitung« — ihre Leser bis heute nicht darüber informiert, dass es eine gemeinsame Erklärung namhafter Urheber– und Medienrechtler gibt, in der sie vor »unabsehbaren negativen Folgen für die Volkswirtschaft und die Informationsfreiheit in Deutschland« warnen, wenn das Leistungsschutzrecht kommt…
Die FAZ verschweigt ihren Lesern relevante Kritik und diffamiert pauschal die Kritiker. Ausgerechnet die FAZ, die bei diesem Thema seit Jahren beweist, dass sie zu einer unabhängigen, ausgewogenen, fairen Berichterstattung nicht willens oder fähig ist, spricht den Professoren ab, vernünftig urteilen zu können, weil sie ja vom Staat bezahlt werden.“
Martin Weigert von netzwertig.com vergleicht die Auseinandersetzung um das Leistungsschutzrecht gar mit einem finalen Machtkampf (und ist damit nicht mehr weit entfernt von der Rhetorik eines Ansgar Heveling). Es gehe in diesem Zweikampf um die kulturelle Hegemonie. Weigert schreibt:
„Der Versuch, das Leistungsschutzrecht durchzudrücken, ist der finale Machtkampf zwischen der alten deutschen Medienelite, die viele Jahrzehnte direkt und indirekt, durch ihre Berichterstattung und in Hinterzimmern, die hiesige Politik beeinflusst hat, und dem Internet. Springer, Burda, SZ und FAZ geht es nicht ums Geld, sondern ums Prinzip, weiterhin exklusiv die sprichwörtliche vierte Gewalt im Lande zu bleiben. Das bedeutet eben auch, widersinnige Gesetze in die Wege leiten zu können. Sollte das LSR – wie zu hoffen ist – letztendlich doch ad acta gelegt werden, würde sich für die Medienkonzerne operativ nichts verändern, da die zu erwartenden Einnahmen aus dem LSR ohnehin maximal zum wöchentlichen Auffüllen der Kaffeekasse reichen. Doch die tonangebenden deutschen Verlage würden ein für alle Mal ihr Gesicht verlieren. Plötzlich hätte das Web und die oft so gerne zitierte “Webgemeinde” die Rolle der vierten Gewalt eingenommen – ebenbürtig oder mitunter sogar stärker als Bild, Welt und Focus…
Nun neigen wir in Deutschland ja besonders dann zu starken Metaphern, wenn es um Kulturkämpfe geht. Da sind Untergang und Abendland und Eine-Sache-um-ihrer-selbst-willen-tun nicht weit, auch wenn es nur um die Transformation des Medienbetriebs geht bzw. um den Strukturwandel der Öffentlichkeit. Der ist – wie ich hier und hier schon beschrieben habe – ökonomisch zwar längst in vollem Gange, aber einem Teil der Beteiligten war der Umbruch bis zu diesem dramatischen Medien-Herbst noch nicht in seiner ganzen Tragweite bewusst. Das ist nun der Fall. Insofern könnte das bevorstehende (deutsch-europäische) Wahljahr 2013 sehr aufschlussreich werden.
Dazu noch einmal Martin Weigert:
„…nach dem von der Internetöffentlichkeit erfolgreich verhinderten Zugangserschwerungsgesetz wäre ein Erfolg der LSR-Gegner im Angesicht der noch immer massiven Meinungsmacht der auflagen- und reichweitenstarken Zeitungsmarken und ihrer abwechselnden Nicht-Berichterstattung sowie LSR-Lobbyarbeit unter dem Deckmantel des Qualitätsjournalismus ein endgültiges Zeichen dafür, dass eine von Unbeweglichkeit und Rückwärtsgewandtheit geprägte Bewahrer- und Kontrollmentalität in Deutschland keine breite Unterstützung mehr erhält. Und dass sich damit auch keine Wahlen gewinnen lassen.“
Mal sehen, wie die Kräfteverhältnisse in Wahrheit sind. Ob sich die LSR-Gegner im Netz in ihrem Allmachtsrausch ein wenig überschätzen oder ob die tektonischen Verschiebungen in der Informations-Gesellschaft bereits ausreichen, um die Kraftprobe LSR erfolgreich zu bestehen.
Heute von einem Endkampf zu sprechen wäre wohl übertrieben. Es sind bestenfalls Vorgeplänkel.
P.S. Hier noch eine Erinnerung an einen drei Jahre alten Beitrag: Verlage contra Google: Der vergessene Kampf um ACAP