von Stefan Heßbrüggen, 14.7.13
Juristische und natürliche Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens:
- Der Deutsche Bundestag
- Sein Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
- Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK)
- Die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen (Allianz der Wissenschaftsorganisationen)
- Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
- Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
- MdB Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU)
- MdB Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD)
- Der Präsident der HRK, Prof. Dr. Horst Hippler
- Der Präsident der DFG, Prof. Dr. Peter Strohschneider
I. Das Parlament schläft.
Am 1. März 2011 trat Karl-Theodor zu Guttenberg von allen politischen Ämtern zurück. Drei Wochen später brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag in den Bundestag ein. Die Überschrift: “Wissenschaftliche Redlichkeit und die Qualitätssicherung bei Promotionen stärken”. Wiederum knapp sechs Wochen später zog die SPD-Fraktion nach. Der Titel ihres Antrags: “Kampf gegen wissenschaftliches Fehlverhalten aufnehmen – Verantwortung des Bundes für den Ruf des Forschungsstandortes Deutschland wahrnehmen”.
Nach der Durchführung eines öffentlichen Fachgesprächs am 9. November 2011 empfahl der Ausschuss am 14. Dezember 2011 dem Plenum die Ablehnung beider Anträge. Dem entsprach das Hohe Haus am 26. April 2012, also etwa ein Jahr, nachdem die Anträge gestellt worden waren. Die Reden wurden zu Protokoll gegeben (ab S. 272 des PDFs).
Am 1. März 2013 wandten sich die Vorsitzende des Ausschusses Ulla Burchardt und Vertreter aller in ihm vertretenen Fraktionen nochmals brieflich an den Wissenschaftsrat, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, wohl um den Sachstand in Erfahrung zu bringen und den gewonnenen Sachverstand des Parlaments in etwaige Beratungen einzubringen. Wenige Wochen zuvor, am 9. Februar 2013, war Annette Schavan von ihrem Amt als Bundesministerin für Bildung und Forschung zurückgetreten.
II. “Es muss etwas geschehen!”
Am 1. März 2011 trat Karl-Theodor zu Guttenberg von allen politischen Ämtern zurück. Etwa 19 Wochen später tagt die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK). In ihr streben alle in Bund und Ländern zuständigen Ministerien “unter Wahrung ihrer Kompetenzen bei gemeinsam berührenden Fragen eine enge Koordination auf dem Gebiet der nationalen, europäischen und internationalen Wissenschafts- und Forschungspolitik mit dem Ziel an, die Leistungsfähigkeit des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland im internationalen Wettbewerb zu steigern” (S. 9 dieses PDFs).
Am 20. Juni 2011 beschließt die GWK, die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland dadurch zu steigern, dass sie ungenannt bleibenden Dritten, aber vermutlich wohl der ‘Allianz der Wissenschaftsorganisationen’, jedenfalls aber der DFG einen Auftrag erteilt: nämlich die seit 1998 bestehenden Empfehlungen zu guter wissenschaftlicher Praxis “auf der Grundlage neuer Entwicklungen und unter Einbeziehung der internationalen Entwicklungen zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis, wo nötig, zu aktualisieren”.
Dass dieser Auftrag erteilt wurde, wissen wir nur aus der Vorbemerkung der Ergänzung der Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (S. 1 des PDFs). Die GWK hat meiner Bitte, diesen Beschluss öffentlich zu machen, bislang nicht entsprochen.
Am 29. November 2011 führt die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ein Symposium zu guter wissenschaftlicher Praxis durch, aus dem uns Fotos und einige Foliensätze überliefert sind. Der Vortrag von Prof. Dr. Christopher Baum zum Thema “Whistleblowing: Schutz und Codex” enthält nichts, was seinem Autor vorzuhalten wäre, und kann im Weiteren vernachlässigt werden.
Für die Sitzung der GWK am 14. Februar 2013 fertigt die “Allianz der Wissenschaftsorganisationen” einen Bericht. Die GWK hat meiner Bitte, diesen Bericht öffentlich zu machen, bislang nicht entsprochen. Im Bericht wurden jedenfalls, wie ebenfalls der Vorbemerkung der Ergänzung der Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (Seite 1 des PDFs) zu entnehmen ist, “Handlungsfelder aufgezeigt, die es gilt, jetzt durch Ergänzungen und partielle Überarbeitungen der Denkschrift [also der ursprünglichen Empfehlungen von 1998] umzusetzen”.
Diese Überarbeitungen wurden von der DFG in Sitzungen ihrer Gremien am 14. März 2013 und am 3. Juli 2013 verabschiedet. Die HRK verabschiedete die Überarbeitung ihrer Regeln am 14. Mai 2013. Wenige Wochen zuvor, am 9. Februar 2013, war Annette Schavan von ihrem Amt als Bundesministerin für Bildung und Forschung zurückgetreten.
III. Zwischenspiel: Auffälligkeiten
Der Deutsche Bundestag ist von der Tatsache, dass die Wissenschaftsminister der Länder und des Bundes eine Neuausrichtung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis anstreben und die Wissenschaftsorganisationen entsprechend beauftragt haben, allem Anschein nach nicht vor dem 1. März 2013 unterrichtet worden. Zwei Wochen später hat der Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Überarbeitung bereits beschlossen. Drei Monate nach dem 1. März 2013 war das Thema vollständig abgearbeitet. Der politische Wille, der hinter diesen Überarbeitungen steht, ist nirgends öffentlich dokumentiert.
Gleiches gilt für den Bericht der “Allianz der Wissenschaftsorganisationen” vom 14. Februar 2013, der ja nach Auskunft der DFG wesentlich zur Bildung dieses Willens beigetragen hat. Noch einmal zum Mitschreiben: Die Exekutive – die Bundesregierung und 16 Landesregierungen – hat bereits im Juni 2011, also nicht einmal vier Monate nach dem Rücktritt zu Guttenbergs, eine Neuausrichtung der für Wissenschaftler in diesem Land geltenden Regeln in Auftrag gegeben. Geliefert wurde zwar mit Verzögerungen, aber allem Anschein nach doch recht verlässlich. Jedenfalls hat sich meines Wissens noch kein Wissenschaftsminister gefunden, der die Neuregelung kritisiert hätte. Wissenschaftsfreiheit? Selbstorganisation der Wissenschaft? Deine Mudder …
Und das Parlament? Zwei O-Töne:
Was unterscheidet uns also? Nichts weniger als das Grundverständnis. Während Sie letztlich dem zentralen Dirigismus das Wort reden, setzen wir auf Subsidiarität und Unterstützung und Stärkungen der Verantwortlichen in den Ländern und Hochschulen. Dies trägt Früchte, wie Sie an den Aktivitäten der DFG, des Wissenschaftsrats, der HRK und an vielen Hochschulen in Deutschland sehen können. Dies haben wir politisch begleitet. Zentralisierung und Schwächung der Verantwortlichen vor Ort ist historisch bei vielen Themen gescheitert. Hieraus sollten Sie zumindest langsam beginnen zu lernen. (Plenarprotokoll vom 26. April 2012, S. 274 des PDFs).
MdB Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) wird sich fragen lassen müssen, warum er die eigene Bundesregierung und 16 Landesregierungen in seiner zu Protokoll gegebenen Rede so überaus heftig kritisiert hat. Und er hat ja Recht: Der zentrale Dirigismus der GWK, dem sich die Akteure in der Wissenschaft ohne einen öffentlichen Laut des Protests gebeugt haben, hat bei diesem Thema für die Wissenschaftler selbst sehr bittere Früchte getragen. Ob die Beteiligten draus lernen werden?
Wie [manche] … nach dieser Anhörung noch immer jeglichen Handlungsbedarf des Bundes beim Thema wissenschaftliches Fehlverhalten negieren können, ist uns, ehrlich gesagt, schleierhaft. (Plenarprotokoll vom 26. April 2012, S. 276 des PDFs)
Ach, MdB Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD), es wurde doch gehandelt. Ganz doll viel wurde gehandelt. Nur hat es Ihnen keiner der Genossen gesagt, die bei der GWK mit am Tisch saßen. Weder im April 2012, noch bis zum März 2013 hielt es irgendwer für nötig, den Kollegen Brandl oder Sie über den Sachstand zu informieren.
IV. Plötzliches Umschlagen
Ich habe ja auf Carta die neuen Empfehlungen der DFG sehr genau gelesen. Die von mir in Gang gesetzte Petition bezieht sich aber ja nicht nur auf diese, sondern auch auf die korrespondierende Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Wir machen einmal einen Textvergleich:
HRK:
Zum Schutz der Hinweisgeber (Whistle Blower) und der Betroffenen unterliegt die Arbeit der Ombudspersonen höchster Vertraulichkeit.
DFG:
Anzeigen sind von allen Beteiligten vertraulich zu behandeln. Die Vertraulichkeit dient dem Schutz des Whistleblowers sowie demjenigen, gegen den sich ein Verdacht richtet. Vor abschließender Überprüfung eines angezeigten Verdachts eines möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist eine Vorverurteilung der betroffenen Person unbedingt zu vermeiden.
Die HRK verkündet begründungslos, die DFG versucht zu erklären, warum aus ihrer Sicht Vertraulichkeit wichtig ist.
HRK:
Die Vertraulichkeit ist nicht gegeben, wenn sich der Hinweisgeber mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet. In diesem Fall verstößt er regelmäßig selbst gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis.
DFG:
Die Vertraulichkeit des Verfahrens ist dann nicht mehr gegeben, wenn sich der Whistleblower mit seinem Verdacht zuerst an die Öffentlichkeit richtet, ohne zuvor die Hochschule oder Forschungseinrichtung über den Hinweis des Verdachts eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu informieren. Die untersuchende Einrichtung muss im Einzelfall entscheiden, wie sie mit der Verletzung der Vertraulichkeit umgeht. Es ist nicht hinzunehmen, dass die frühzeitige Herstellung der Öffentlichkeit durch die informierende Person einen Reputationsverlust des Betroffenen zur Folge hat.
Diese Passage hat ursprünglich die ganze Aufregung ausgelöst. Wir sehen in der Gegenüberstellung beider Versionen, dass die DFG verglichen mit der HRK eine ‘weichere’ Linie verficht. Während der HRK zufolge ein redseliger Whistleblower sich zu rechtfertigen hat, weshalb in seinem Fall keine Sanktion erfolgen soll (so verstehen Juristen das Wort ‘regelmäßig’), ist dies für die DFG eine Einzelfallentscheidung, die sich aus dem ‘Reputationsschutz’ des Verdächtigten begründet (auch darüber wäre viel zu sagen, das jedoch nicht hier).
HRK:
Dies ist auch bei leichtfertigem Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Fall sowie bei der Erhebung bewusst unrichtiger Vorwürfe (vgl. geplante Ergänzung zu DFG, Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Empfehlung 17, siehe Fußnote 1).
DFG:
Die Anzeige des Whistleblowers hat in gutem Glauben zu erfolgen. Vorwürfe dürfen nicht ungeprüft und ohne hinreichende Kenntnis der Fakten erhoben werden. Ein leichtfertiger Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, erst recht die Erhebung bewusst unrichtiger Vorwürfe, kann eine Form wissenschaftlichen Fehlverhaltens darstellen.
Wieder ist die HRK der Ansicht, dass ein ‘leichtfertiger Umgang’ mit Verdachtsäußerungen ‘regelmäßig’ selbst als Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis zu werten ist, während die DFG dies wiederum im Einzelfall entschieden wissen will (“kann … eine Form wissenschaftlichen Fehlverhaltens darstellen”).
Es stimmt also nicht, dass die letzte Passage der HRK-Empfehlungen der ‘geplanten Ergänzung’ der DFG-Empfehlungen entspricht. Die Fußnote ist irreführend. Die HRK will Whistleblowern insgesamt den Mund verbieten, während die DFG im Zweifel darauf setzt, im Einzelfall sei eine Lösung zu finden. Während also die HRK den ganz ganz bösen Cop gibt, will uns die DFG den Eindruck vermitteln, im Zweifel solle man noch einmal mit ihr reden – der nicht ganz so böse Cop, der eher den ‘sozialpädagogischen’ Ansatz im Umgang mit wissenschaftlicher Renitenz verfolgt.
Und die HRK muss geahnt haben, dass ihre Fußnote irreführend ist. Denn wie Raphael Wimmer herausgefunden hat, entspricht der Text, den das höchste Gremium der DFG, die Mitgliederversammlung, am 3. Juli 2013 verabschiedet hat, exakt der Fassung, die zuvor das zweithöchste Gremium der DFG, der ‘Senat’, am 14. März 2013 verabschiedet hatte.
Die HRK wiederum hat ihre verschärfte Fassung zwei Monate später, am 14. Mai 2013, verabschiedet. Die HRK hat also entweder vermutet, die DFG noch zu einer Verschärfung ihrer Regeln veranlassen zu können. Oder es war schlicht gleichgültig, was genau in diesen Regeln kodifiziert wird, weil es in Wahrheit vielleicht gar nicht um diese Regeln geht.
Doch zunächst zum weiteren Fortgang der Ereignisse, der den Eindruck nährt, dass es um das Verhältnis von DFG und HRK und ihrer Präsidenten derzeit nicht zum Besten bestellt sein kann.
Peter Strohschneider (DFG) war in einem Interview und zwei (!) Presseerklärungen bemüht, den Eindruck zu zerstreuen, die DFG habe etwas gegen Wissenschaftsfreiheit (dazu hat bereits Debora Weber-Wulff das Nötige gesagt).
Horst Hippler hingegen hat, so muss man das wohl sagen, noch einen draufgesetzt. Ich zitiere die ‘Legal Tribune Online’ vom 8. Juli 2013:
Die Unterschriftenaktion richtet sich gegen die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die Hinweisgeber auf mutmaßlichen Pfusch, sogenannte “Whistleblower”, künftig an amtliche Ombudsleute und offizielle Hochschulkommissionen binden und die Vorwürfe nur “höchst vertraulich” prüfen will. Die in der Öffentlichkeit vielbeachtete Aufklärung auf privaten Internetforen wie Guttenplag oder Vroniplag oder über das naturwissenschaftliche “Laborjournal” soll so zurückgedrängt werden, wie HRK-Präsident Horst Hippler offenherzig einräumt. Er hatte erwartet, dass auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auf ihrer Jahresversammlung vergangenen Mittwoch die Beschlüsse der Rektoren übernehmen würde.
Wenn der Autor Hermann Horstkotte hier richtig zugehört hat (und mir ist keine Widerrede Hipplers bekannt), so hat Hippler also nicht nur den Konflikt zwischen DFG und HRK, den ich oben konstatiert habe, bestätigt, sondern nochmals unmissverständlich Zensur für Whistleblower gefordert, insbesondere für jene, die über das Internet für Wirbel sorgen.
Wiederum wenige Tage später veröffentlicht das amerikanische Wissenschaftsmagazin Nature ein außerordentlich merkwürdiges Editorial. [Fußnote: Nach eigener Auskunft das meistzitierte interdisziplinäre Journal in den Naturwissenschaften.] Ich zitiere die hier relevanten Kernaussagen zunächst und fasse sie dann auf Deutsch zusammen:
Many, for example, were unconvinced by accusations of plagiarism against Germany’s education and research minister, Annette Schavan. But enough publicly thrown mud managed to stick, and she was forced to resign in February. […] With the rise in digital scrutiny and increasing legions of self-styled fraud-busting bloggers, the DFG is rightly concerned about the need for due process. Is it right, for example, that the accused is named while their accuser hides behind Internet anonymity? […] this time the DFG has formulated its recommendations surprisingly poorly.
The consequences of breaking confidentiality, or of being charged with accusing in bad faith, are left open, prompting conspiracy theorists to fill the blogosphere with wild charges that the DFG is gagging the scientific community. […] The DFG has put the universities in a difficult position. It is universities that investigate claims of misconduct against their own, and therefore the universities who will be asked to implicitly convict whistle-blowers if their information cannot be confirmed. The DFG should take care to explain how and when sanctions would be used, and what those sanctions are likely to be.
Annette Schavan war das Opfer einer Schmutzkampagne, die sie zum Rücktritt zwang. Der Kampf gegen Wissenschaftsbetrug im Netz nötigt die DFG dazu, ‘faire Verfahrensregeln’ (due process) durchzusetzen. Das Recht auf Anonymität ist fragwürdig. Die DFG-Empfehlungen sind schlecht formuliert. Es wird nicht dargelegt, welche Sanktionen ein Whistleblower zu erwarten hat, der an die Öffentlichkeit geht. Das veranlasst Verschwörungstheoretiker (also wohl u. a. auch mich) dazu, die DFG der Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit zu verdächtigen.
Die DFG hat die Universitäten (!) in eine schwierige Position gebracht. Universitäten müssen gegen ihre Mitglieder ermitteln, wenn es um Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis geht. Deshalb müssen die Universitäten diejenigen ‘implizit verurteilen’ (ja, schlecht geschrieben ist es auch), deren Informationen sich nicht bestätigen lassen. Die DFG soll erklären, wie und wann sanktioniert wird, und worin diese Sanktionen bestehen werden.
Ganz kurz zusammengefasst: Anonymität ist fragwürdig. Whistleblower müssen sanktioniert werden. Die Universitäten sind arm dran, weil die DFG nicht genau erklärt hat, wie sie ihre Whistleblower bestrafen sollen. Dies muss nachgeholt werden.
Warum aber fordert ein amerikanisches Wissenschaftsmagazin die Bestrafung von Whistleblowern in Deutschland? Warum weiß ein amerikanisches Wissenschaftsmagazin so genau, dass Frau Schavan Opfer einer Schmutzkampagne wurde?
Und wer war hier der Gewährsmann? Womöglich hat sich das interdisziplinäre Naturwissenschaftsmagazin ja in erster Linie mit dem Professor der physikalischen Chemie Dr. Horst Hippler oder ihm nahestehenden Kollegen unterhalten. Eher unwahrscheinlich ist ein Informationsaustausch mit dem Professor der Germanistischen Mediävistik Dr. Peter Strohschneider oder ihm nahestehenden Kollegen. Denn dann hätte das meistzitierte interdisziplinäre Naturwissenschaftsmagazin erfahren, dass es immer auf den Einzelfall ankomme. Und es hätte vielleicht genauer verstanden, warum es nicht tunlich ist, Universitäten für die Aburteilung renitenter Whistleblower einen detaillierten Strafkatalog an die Hand zu geben.
Wir werden es vermutlich nie genau erfahren, denn diese Schmutzkampagne erschien anonym im Internet. Und journalistischen Quellenschutz gibt es auch in den USA. Mit mir hat übrigens niemand gesprochen, aber das kann ich verstehen.
V. Katharsis?
Am 1. März 2011 trat Karl-Theodor zu Guttenberg von allen politischen Ämtern zurück. Am 9. Februar 2013 ist Annette Schavan zurückgetreten.
In diesem Zeitraum ist viel passiert: Die Exekutive schwang sich in Gestalt der Geheimnisvollen, pardon, Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz dazu auf, das Unwesen des Whistleblowings in Deutschland neu zu regeln, pardon, neu regeln zu lassen, während sich das Parlament dem Thema in der Folge nur zuwandte, wenn mal wieder ein Minister oder eine Ministerin zurückgetreten war, und ansonsten seine Reden zu Protokoll gab.
Der entsprechende Beschluss der GWK und der darauf folgende Bericht der “Allianz der Wissenschaftsorganisationen” sind nicht veröffentlicht. Eine Wissenschaftsorganisation fordert, endlich hart durchzugreifen, die andere schließt zumindest nicht aus, nach Lage der Dinge auch einmal hart durchzugreifen.
Der einen Wissenschaftsorganisation ist die Reputation, die sie bei ihrer Klientel genießt, augenscheinlich herzlich egal, die andere ist zumindest bemüht, ihr Image in diesem Schlamassel nicht allzu sehr zu ramponieren. Am Ende stehen zwei widersprüchliche Regelungen, die die Wissenschaft in diesem Land keinen Schritt voranbringen.
Aber warum? Woher stammt die Macht der GWK? Wie kann sie es sich erlauben, ohne effektive parlamentarische Kontrolle und ohne jede Herstellung von Öffentlichkeit zu agieren? Und warum lässt die Wissenschaft sich dies ohne jeden Protest gefallen?
So lange nicht Beteiligte den Mund aufmachen oder entsprechende Dokumente an die Öffentlichkeit dringen, ist hier keine belegbare Antwort möglich. Zwei Hinweise sind aber einem genaueren Verständnis dienlich: Erstens steht zu erwarten, dass in der nächsten Legislaturperiode das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern für Bildung fallen wird. Damit wird es dem Bund wieder möglich sein, Hochschulen ohne Umwege mitzufinanzieren. Dies wird zu erheblichen Umwälzungen im deutschen Wissenschaftssystem führen.
Zweitens ist die GWK der ‘heimliche Finanzminister’ der deutschen Wissenschaft. In ihr verhandeln und verwalten Bund und Länder wichtige Finanzströme. Sie ist der Ort, an dem entschieden werden wird, wie innerhalb der deutschen Wissenschaft zukünftig die Silberlinge verteilt werden.
Der offen ausgetragene Machtkampf zwischen DFG und HRK ist ein Lehrstück dafür, mit welcher Biegsamkeit die angeblich selbstverwalteten Institutionen unseres Wissenschaftssystems den verdeckten Wünschen der Politik nachkommen, um in diesem Prozess ihre Claims abzustecken.
VI. Epilog
Das vorletzte Wort erteile ich nochmals dem Abgeordneten Brandl:
Zentralisierung und Schwächung der Verantwortlichen vor Ort ist historisch bei vielen Themen gescheitert.
So auch hier. Warum so viele dieses Scheitern geschehen ließen, erklärte mit völliger Deutlichkeit Theodor Mommsen, der das letzte Wort haben soll:
Es gibt nun einmal nicht wenige recht gewissenlose Professoren und noch viel mehr schwache und gleichgültige, die um des lieben Friedens willen zum Unrecht schweigen und schweigend, zuweilen seufzend mitthun.
Dr. Stefan Heßbrüggen ist Philosophiehistoriker und bloggt auf Early Modern Thought Online