von Wolfgang Michal, 15.8.12
In einem Anfall von Medienüberdruss hat die Mehrheit des sportpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages im Oktober 2011 beschlossen, die bisherige Praxis, öffentlich zu tagen, künftig auszusetzen – u.a. weil Journalisten in der jüngeren Vergangenheit nicht positiv genug über den Ausschuss berichtet hatten. Außerdem wollte man sich der ‚üblen Nachrede’ eines ganz bestimmten ‚Schmierfinken’-Blogs nicht länger aussetzen.
Jens Weinreich findet diese Haltung des Ausschusses skandalös. Unter Journalismus versteht er nicht, Sportpolitikern nur ein Mikrophon für ihre Statements unter die Nase zu halten. Noch skandalöser findet er es, dass seine (Ex-)Redaktion die Closed-Shop-Mentalität des Sportausschusses einfach so hinzunehmen scheint.
Die Sportredaktion des Deutschlandfunks, der Weinreich 20 Jahre lang Beiträge geliefert hat, sieht den Fall natürlich anders und schickt – anstatt den Boykott der Öffentlichkeit mit einem journalistischen Boykott der Politiker zu beantworten – nun ‚weniger verbrannte’ Mitarbeiter zum Sportausschuss. Begründung: Die Sport-Politiker des Bundestages müssen die Öffentlichkeit ja auch weiterhin problemlos erreichen können. Und der Deutschlandfunk sei nun mal kein Kampf-Instrument zur Revision politischer Entscheidungen von Bundestags-Ausschüssen.
Über diese kuschelige Haltung der Redaktion und die – im übertragenen Sinne – ‚Streik brechenden’ Kollegen regte sich der journalistische Kämpfer Weinreich tierisch auf, vermutlich mit ziemlich drastischen Worten (DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien: „…äußerte er sich intern und schließlich auch öffentlich diffamierend über Mitarbeiter der Sport-Redaktion.“)
Anstatt nun aber den Grund des Unmuts – das Verhalten des Sportausschusses – zu diskutieren, diskutiert die Redaktion über das Verhalten Weinreichs: Da mischt sich ein freier Mitarbeiter, der sowieso alles besser weiß, in frecher und anmaßender Weise in die Belange der Chefin ein und verunglimpft Kollegen, die dazu ausersehen sind, anstelle von Weinreich über den Sportausschuss zu berichten (in Weinreichs Sicht: den Politikern das Mikrophon hinzuhalten). Dieser Kerl hat offenbar vergessen, wo oben und unten ist. Er leidet an Größenwahn und Selbstüberschätzung. Eine derart bloßstellende Kritik könne sich eine Chefin oder ein Chef nicht ohne Gesichtsverlust bieten lassen. Also stellt sich die Redaktionsleiterin „schützend“ vor ihre Mitarbeiter. Und die Chefredakteurin des Deutschlandfunks stellt sich „schützend“ vor ihre Redaktionsleiterin. Weinreich, das schimmert in einigen Kollegen-Kommentaren durch, habe den Chefs durch sein Verhalten keine andere Wahl gelassen. Gegenfrage: Hätte er sich ausbooten lassen sollen?
„Wir können unsere Zeit nicht damit verbringen, ständig Diven zu besänftigen“
Vor gut einem Jahr gab es einen vergleichbaren Fall, der ein etwas anderes Echo auslöste – vermutlich, weil es nur um ehrenamtliche Querelen und nicht um berufliche Hierarchien ging:
Als der Versicherungsmagnat Carsten Maschmeyer von der Journalisten-Organisation Netzwerk Recherche zu einer Diskussion über seinen Umgang mit der Öffentlichkeit eingeladen wurde, äußerte Maschmeyer, er habe keine Lust, sich von dem Journalisten und Netzwerk Recherche-Mitglied Christoph Lütgert öffentlich niedermachen zu lassen. Der Panorama-Reporter Lütgert war Maschmeyer jahrelang mit journalistischen „Nachstellungen“ auf die Nerven gegangen. Also lautete die Bedingung Maschmeyers: Entweder ohne Lütgert oder gar nicht. Daraufhin sagte der Netzwerk Recherche-Vorstand die Befragung Maschmeyers aber nicht – wie erwartet – ab, sondern verbannte sein Mitglied Lütgert auf die Zuschauerbänke. Maschmeyer bekam einen anderen Journalisten als Befrager zugeteilt. Lütgert “tobte”. Und schnell machte die Rede vom schwierigen Lütgert die Runde. Ein Netzwerk-Vorstandsmitglied nannte ihn sogar eine „Diva“. Doch in diesem Fall funktionierte die Verunglimpfung nicht ganz so gut. Der Vorstand des Netzwerks Recherche hatte gegen ein journalistisches Prinzip verstoßen, und das betrachteten viele Kollegen als Einknicken vor den Mächtigen.
Die Verletzung von redaktionellen Hierarchien wiegt hierzulande schwerer als die Verletzung von journalistischen Prinzipien
Nun “tobt” also Jens Weinreich. Er will – wie schon Lütgert – den ihm zugewiesenen Platz auf der Zuschauerbank (bzw. der ‚Strafbank’) nicht akzeptieren. Schlimmer noch: Er akzeptiert die Redaktions-Hierarchie nicht, die seine Auswechslung ausgerechnet in einer heißen Phase des Spiels veranlasst hat. Spieler-Protest geht in einem Land mit einer ausgewiesenen Bundestrainer-Mentalität natürlich nicht. Für Trainer-Missachtung wird ein Spieler achtkantig gefeuert.
Vorgesetzte, heißt es, sind nun mal Vorgesetzte. Wo kämen wir hin, wenn das nicht mehr gelten würde? Das blanke Chaos würde ausbrechen. In diesem Punkt sind sich viele – von den obersten Hierarchen bis zu den Wadenbeißern in den Blogkommentaren – einig.
Und genau an diesem Punkt verschiebt sich die Debatte in einer unzulässigen Weise. Sie lenkt ab vom eigentlichen Inhalt – nämlich der Redaktion, die ihren Mitarbeiter in einer schwierigen Auseinandersetzung im Regen stehen lässt und lieber einen anderen Mitarbeiter zum Sportausschuss schickt. Die Debatte konzentriert sich auf den Nebenkriegsschauplatz „Verhalten des Mitarbeiters“. Das ist der übliche Trick, der in solchen Autoritäts-Konflikten angewendet wird. (Nebenbei: Journalismus, der etwas bewirkt, gibt es eigentlich nur, weil dieser Trick immer wieder von „Egos“, „Diven“, „Prinzipienreitern“ und „Sturköpfen“ ignoriert wird.)
Jens Weinreich ging es ums journalistische Prinzip. Dass er die journalistischen Hierarchien dabei verletzt hat, bedauert er selbst vielleicht am meisten. Aber ein kämpferischer Reporter wie er sieht auch keine Alternative. Er begründet das so:
„Gibt es eine Pflicht zur Termin-Berichterstattung über einen Ausschuss, der sich mehrheitlich der Öffentlichkeit verweigert?
Journalisten sind nicht dafür da, den Zeitvertreib von Untätigen und Inkompetenten zu protokollieren. Abgeordnete, von denen man weiß, dass sie in vielen Jahren der öffentlichen Sitzungen kaum einmal fundierte Vorträge vorbrachten und ihre Kontrollpflichten sträflich vernachlässigten, nun danach zu befragen, wie heldenhaft sie gerade hinter verschlossenen Türen die Demokratie verteidigt haben, nein, das ist nicht Aufgabe von Journalismus.
Mag sein, dass das einmal anders gewesen ist, mag sein, dass manche Redaktionen ihren Job noch immer so verstehen. Doch im Jahr 2011 nach Christi Geburt sollte man mit derlei Vorstellungen getrost brechen. Denn auch dadurch macht sich Journalismus, ohnehin oft als aussterbendes Gewerbe bezeichnet, tatsächlich überflüssig.“
Siehe dazu auch die Beiträge von Ulrich Horn und Vera Bunse sowie die beiden Interviews mit Jens Weinreich und Birgit Wentzien von Jörg Wagner