von Johannes Haupt, 8.2.14
Die ersten eBooks des Verlages erschienen 2010. Die Hasstirade, die am 4. Februar im Blog des Unternehmens publiziert wurde, überrascht dann aber doch.
Unter der harmlosen Überschrift Warum es Arno Schmidts Texte nicht als E-Book gibt lässt Friedrich Forssman, von Beruf Buchgestalter, schon im ersten Absatz keinen Zweifel daran, worum es ihm im Text geht.
Muß man eigentlich noch etwas gegen E-Books sagen? Müssen sie einem nicht womöglich leid tun, die albernen Dateien, die gern Bücher wären, es aber niemals sein dürfen? Ja, das muß man, und nein, das müssen sie nicht, sie sind ein Unfug, ein Beschiß und ein Niedergang.
Es folgen das altbekannte Loblied auf bedrucktes Papier und eine Auflistung der Nachteile von eBooks: nicht verleihbar und weiterverkaufbar, keine Repräsentanz mangels physischer Form. Diese durchaus berechtigten Kritikpunkte gehen allerdings unter in einer Flut von Beleidigungen und Vorurteilen, wie wir sie zuletzt vor dreieinhalb Jahren in einem Kommentar der Badischen Zeitung gelesen haben.
“Analphabetische Digitalhipster mit ADHS”
Einen besonderen Hass scheint der Berliner Suhrkamp- Mitarbeiter Dienstleister gegenüber fortschrittlichen und überwiegend urbanen Menschen zu hegen, die er komplett über den “Hipster”-Kamm schert und in einem fort beleidigt.
So betont er, er wolle nicht mehr auf Podien mit “analphabetischen Digitalhipstern mit ADHS im Vollbild” gesetzt werden (grob bezogen auf Sascha Lobo, an dem er sich im vorigen Absatz abarbeitet). Das Argument der Platzersparnis von eBooks durch Lesen auf dem eBook- Reader gilt für ihn nicht “außerhalb von Berliner Hipsterkreisen, in denen das vierteljährliche Wohnungswechseln einfach dazugehört”.
“Man brauche, hört man den Hipster lallen, keine Bildungsbürgertapete mehr als Angehöriger der digitalen Elite.” Forssman sieht das anders.
eBook-Leser naiv und dumm
Hinzu kommt eine fast schon beängstigende Fortschrittsfeindlichkeit. Nutzer, die Vorzüge von vernetztem Lesen (Synchronisation von eBooks, Notizen und Anmerkungen über Geräte hinweg) zu schätzen wissen, sind für Forssman “Naivlinge”, die am “Cupertino-Syndrom” leiden. Er findet das “nicht praktisch, das ist gespenstisch”, und suggeriert, die über die Plattformen erhobenen Daten würden zur Live-Anpassung von Texten gebraucht, Änderungen würden dem Leser quasi insgeheim untergeschoben (ausgehend von den in der Vergangenheit vereinzelt vorgekommenen Fernlöschungen von urheberrechtswidrigem Material.
Die Schließung des Telekom-eBook-Stores Pageplace dient Forssman als Beispiel für die Unwägbarkeiten, mit denen eBook-Käufer konfrontiert werden können. Der Umzug wird als außerordentlich kompliziert dargestellt (was er zumindest innerhalb der Tolino-Plattform überhaupt nicht ist, mit zwei Klicks ist die Bibliothek umgezogen), was Forssman konkret am Adobe-Kopierschutz festmacht.
Übrigens verwendet Suhrkamp diesen harten Kopierschutz, der auch für zahlreiche andere der im Suhrkamp-Blog genannten Nachteile von eBooks verantwortlich ist, bei sämtlichen Titeln.
Wie Forssman den Geisteszustand von eBook-Käufern beurteilt, daraus macht er auch keinen Hehl: “Natürlich kann das Papierbuch verdrängt werden, wenn die Dummheit überhandnimmt.” Suhrkamp wird inszeniert als Bewahrer des Gedrucktbuches: “Wir [= Suhrkamp] wollen ja nicht, daß das Buch gnädigerweise in Form pralinenschachtelartig überdesignter Geschenkdinger oder Prachtausgaben überleben darf, sondern daß alles, was wert ist, gelesen zu werden, weiterhin gedruckt wird.”
Abschließend heißt es, Arno Schmidt gebe es nicht als eBook, weil diese Form nicht zukunftssicher sei – woran Suhrkamp mit dem Einsatz von Adobe DRM einen wesentlichen Anteil hat.
Dem Suhrkamp-Gedanken zuwider
Die Fundamentalkritik wird für das Digital-Geschäft des insolventen Verlagshauses wohl wenig förderlich sein, auch in “Hipsterkreisen” (die ja gelegentlich durchaus zu einem Buch greifen sollen) wird sich Suhrkamp kaum Freunde machen.
Natürlich kann man darüber diskutieren, inwieweit Friedrich Forssman für den Berliner Verlag spricht. Fakt ist: Der Artikel wurde im Suhrkamp-Blog publiziert, Forssman stellt sich an vielen Stellen als Sprachrohr des Verlages dar (vgl. etwa den vorigen Absatz).
Das Perfide am Text ist, dass durchaus berechtige Kritikpunkte an heutigen eBooks mit haltlosen Unterstellungen, wüsten Beschimpfungen und der Aufzeigung höchst zweifelhafter Zukunftsszenarien vermischt werden. Für einen Verlag, der sich in der Vergangenheit der Förderung neuer Ideen – beziehungsweise ihrer Vertreter – verschrieben hat, ist das doch eine erschreckende Entwicklung.
Update, 05.02.2014
Inzwischen ist dem Text ein Absatz vorgestellt, in dem es heißt, der Autor sei kein Mitarbeiter des Verlages und vertrete seine persönliche Meinung.
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