von Wolfgang Michal, 27.2.11
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ So steht es in der Politischen Theologie von Carl Schmitt, und dieser Satz ist der wohl meistzitierte des – in gewissen Kreisen – noch immer sehr beliebten Staatsrechtslehrers. Es ist ein durch und durch anti-demokratischer Satz.
In der arabischen Welt, wo die Diktatoren jahrzehntelang mit Hilfe des Ausnahmezustands regierten, sehen wir aber, dass diese „Souveränität“ auch brüchig werden kann. Denn wie alle Politische Theologie beruht auch die Lehre Carl Schmitts zu einem Großteil auf Voodoo-Zauber. Nein, 2011 müsste der entscheidende Satz lauten: „Souverän ist, wer den Ausnahmezustand beendet.“
Etwa am 27. März.
Den deutschen Ausnahmezustand gibt es seit der Wettertannenrede des Verteidigungsministers. An diesem Tag ist der Fehler (d.h. die Abweichung von der Regel = der Ausnahmezustand) zum höchsten Gut der Regierungskunst erhoben worden. Seitdem wird der Fehler (bzw. die Verfehlung) zur großartigen Leistung hochgejubelt. Denn ohne Verfehlung keine Fehlerbewältigungsshow! Ergo: Wer Fehler zugibt, regiert souverän weiter. Rücktritt ist ein dummes Konzept von gestern.
Fehlentscheidungen? Schlampige Gesetze? Fahrlässigkeit? Täuschung? Sie sind nun die unerlässliche Voraussetzung für das immerwährende Regierungsschauspiel mit dem Titel „Entschuldigung“: Entschuldigung, wir haben Fehler gemacht! Aber sie waren notwendig, um den Menschen zeigen zu können, wie man Fehler zugibt und bewältigt.
Verantwortung ist eine ausgeleierte Kategorie der Weichei-Demokratie. Souverän ist, wer sich entschuldigt, ohne Verantwortung zu übernehmen: Sorry, war nicht so gemeint. Kommt nicht wieder vor. Bis zum nächsten Mal. Das bedeutet: Jedes Regierungsmitglied kann künftig machen, was es will. Im Ernstfall reicht eine Entschuldigung aus. Ist das nicht der perfekte Ausnahmezustand?
Die Kanzlerin hat den Kurs abgesegnet. Sie sagte: “Die Entscheidung der Uni Bayreuth liegt auf der Linie dessen, was der Verteidigungsminister vorgegeben (!) hat”. Das Fehlereingeständnis des Ministers war also eine Weisung an die Uni Bayreuth, die Doktorarbeit gefälligst zurückzunehmen. Nicht der Promotionsausschuss hatte das Heft in der Hand, sondern der Minister. Die Uni hat sich der Vorgabe des Ministers angeschlossen. Sie wurde auf Linie gebracht. Fehlt eigentlich nur noch die Entschuldigung der Universität, dem Minister durch die Annahme der Arbeit Unannehmlichkeiten bereitet zu haben.
Damit regiert – es ist ja Karneval – offene Chuzpe. Minister dürfen von nun an jeden Tag etwas anderes zugeben: Unerlaubte Nebentätigkeiten, Abrechnungsbetrug, Vorteilsannahme, Urkundenfälschung, Amtsmissbrauch. Nur zu! Durch jede „von Herzen kommende“ Entschuldigung wird die Regierung nur noch souveräner.
Die Opposition hat mittlerweile begriffen, dass die Ausrufung des Ausnahmezustands durch Angela Merkel eine Kampfansage ist, in der es, wie Georg Paul Hefty vor einer Woche schrieb, um das Überleben der Union geht.
„Guttenbergs Ansehen und Überleben ist auch zu einer Zukunftsfrage der Union geworden; sie berührt das ganze Land sowie das Stärkeverhältnis aller Bundestagsparteien.“
Georg Paul Hefty, FAZ, 19.2.2011
Wenn die Union mit ihrem tollkühnen Kurs „Augen zu und durch“ Erfolg hat, kann sie sich in Zukunft alles erlauben.
Es sei denn, der Souverän beendet den Ausnahmezustand.