von Vera Bunse, 9.6.12
Am Donnerstag wurde bekannt, die Wirtschaftsauskunftei Schufa wolle gemeinsam mit dem Hasso Plattner-Institut der Uni Potsdam erforschen, wie sich aus sozialen Netzwerken mehr Daten zur geschäftsbezogenen Auswertung gewinnen lassen. Die Meldung hat in den Medien wie in der Politik für Unruhe gesorgt, im Netz gab es viele ironische Kommentare. Selbst ein besonnener Text wie der von Thomas Stadler gesteht die möglichen Gefahren durch solche Datenverknüpfung zu, gibt den Schwarzen Peter jedoch an die Politiker zurück und nennt sie zu Recht verlogen. Mittlerweile ist das Thema durch: Das HPI kündigte den Vertrag auf, auch die Schufa will den Plan nicht weiter verfolgen. Jedenfalls ist das die öffentliche Version.
Zu denken gibt das typische Verhaltensmuster, bei jedem “Internetskandal” tausendfach wiederholt: “Selber Schuld, wer bei diesem ganzen Netzwerkunsinn mitmacht.” Oder die Frage einer Zuschauerin zu Facebook, im Nachtmagazin (bei 1:15) von der Moderatorin wiederholt: “Darf ich jetzt eine Freundschaftsanfrage von einem Bekannten nicht annehmen, weil ich weiß, dass der Schulden hat?”
Im Februar erschien eine DIVSI-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet, am Donnerstag hat sich DRadio Wissen noch einmal damit befasst. Abgesehen von der Kritik, die Statistikerin Katharina Schüller an ihr übt, hat die Studie auch einen Vorteil: Sie unterscheidet nicht einfach grob zwischen Digital Natives und dem Rest der Welt, sondern beschreibt stattdessen sieben Milieus. Die ersten Vier werden hier ausführlich beschrieben, dabei sind sie und ihr Verhalten am besten bekannt. Um sie drehen sich Medien und Werbung; sie sind selbstbewusst, gut ausgebildet und in der Regel gut informiert.
Wichtiger sind die beiden im DRadio-Bericht nicht näher dargestellten Gruppen. Sie werden etwas exotisch, aber aussagekräftig als ordnungsfordernde Internet-Laien (PDF, S.26) und internetferne Verunsicherte (S.28) bezeichnet. Die Studie charakterisiert:
Für Ordnungsfordernde Internet-Laien ist das World Wide Web „unbekanntes Terrain“: Ihre Nutzung ist zurückhaltend und äußerst vorsichtig. Aus Furcht, Fehler zu machen, besteht die Annäherung an dieses Medium vornehmlich in Form von Vermeidungsstrategien – „nur das machen, was gefahrlos ist“. Ihre Grundhaltung gegenüber dem Internet ist von Verzicht und Wachsamkeit geprägt. [..]
Die Internetfernen Verunsicherten sind Gelegenheitsnutzer (zwei Drittel sind ohnehin Offliner) mit sehr geringem Internet-Wissen und nur geringen Berührungspunkten mit digitalen Medien im Alltag. Das Internet ist für diese im Typen-Vergleich älteste Gruppe eine fremde Welt, die verunsichernd und bedrohlich wirkt. Sie nutzen nur wenige Basisfunktionen und sind auf fremde Hilfe angewiesen. [..]
Eine kurze Weile mögen die Vermeidungsstrategien noch aufgehen. Absehbar wird aber der “Netzwerkunsinn” auch Lebensbereiche erfassen, die jetzt noch als sichere Domänen gelten mögen. Haustechnik, geschäftliche wie private Handlungen, der gesamte Alltag, Spielen und Lernen im Kindesalter bis zur biometrischen Medizin im Seniorenstift werden mehr und mehr von maschinellen Netzwerken gemessen und geregelt. Wer das nicht wahrhaben will, steht bald mit dem Rücken zur Wand oder richtet sich eine grassodengedeckte Hütte in einem geschützten, aber finsteren Tann ein.
Dass Deutschland Dornröschenwirtschaft betreibt, was das Internet angeht, ist eine Binsenweisheit, man braucht sich nur die Zahlen anzusehen. Zu verlockend ist aber auch die Gelegenheit, gerade netzferne Menschen durch Populismus und platte Feindbilder für politische Ziele zu instrumentalisieren. Eine datensammelnde Schufa stellt für sie etwas Amtsartiges dar, da muss man eben durch, wenn man ein Häuschen bauen will. Der Feind aber steht vor der nächsten Moschee, in Griechenland, Spanien und im Internet.
Für kurzfristige Scheinerfolge vergibt die Politik in Serie Chancen zur Entwicklung neuer Geschäfts- und Gesellschaftsmodelle. Weder wird in Bildung investiert, noch gibt es belastbare Konzepte für einen überalterten Staat. Ordnung, Durchgreifen, Kontrolle ist die Losung, wenn nur der nächste Wahlkampf nicht verloren geht. Die Ignoranz gegenüber dem Netzwerkunsinn wird auch eine wissensgesellschaftliche Spaltung zur Folge haben, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.
Allerdings haben große Datenschutz-Aufreger auch ihr Gutes. Je häufiger sie sich ereignen, um so besser sind die Aussichten, dass mehr Staatsbürger deren Konsequenzen begreifen. Beim Fernsehen arbeiten schon (!) eine ganze Reihe Redakteure, die Ereignisse aus dem Netz für die TV-Gemeinde übersetzen. Selbst die unsägliche Angabe “Quelle: Internet” ist nur noch selten zu sehen. Der Dinosaurier der Information könnte noch eine letzte große Aufgabe erfüllen:
Warum macht ihr nicht etwas, das richtig gut zu euren Kernkompetenzen passt? Statt den Jungen das Internet erklären zu wollen, macht ein Magazin, dass gerade Älteren Berührungsängste nimmt und der populistischen politischen Meinungsmache entgegenwirkt – das täte wirklich not.
Menschen, die in den Nachrichten – ja, auch in euren – immerzu hören, wie schrecklich und gefährlich dieses Internet ist, verzichten ängstlich auf eine wunderbare Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen und altersbedingt mangelnde körperliche Mobilität durch all das Sehens- und Wissenswerte im Netz zu ersetzen.
Macht einen “Ratgeber Internet” mit der Zielgruppe Ältere und nehmt ihnen diese Ängste. Das wäre ein Verdienst.
Kris Köhntopp schreibt am Schluss seines Schufa-Texts:
Die Daten sind öffentlich herunterladbar, das ist genau der Punkt, um den es geht, und die Technik ist Open Source, ein wenig Statistik und ein wenig Consulting. Und wo die dann überall läuft, wird bei keinem Datenschützer in Schleswig-Holstein oder sonstwo auf der Welt nachgehalten.
Das ist die Botschaft an die Politik: Hört auf, den Menschen Angst zu machen. Bildet sie aus. Bringt ihnen endlich Medienkompetenz bei – von der Schule bis zum Altersheim. Sie werden sie noch nötig haben.
Crosspost von … Kaffee bei mir?