#ACTA

Was wohl kommen wird: “Netz-Schengen” – die große Firewall des Westens

von , 31.3.10

In der neuerlichen Debatte um Netzsperren bittet Mario Sixtus die Politik, doch bitte keine “Placebo-Gesetze” zu fabrizieren und lieber auf die “wahren Ursachen des Problems” zu schauen.

Sein Anliegen ist löblich und richtig. Aber es wäre zugleich auch naiv zu glauben, Cecilia MalmströmPatricia Wiedemeyer oder Günter Krings gehe es nur um die Ursachen. In der Debatte um Netzsperren geht es letztlich maßgeblich auch um einen symbolischen Akt gegen die Kränkung staatlicher Autorität im Internet. Es geht um den Unmut eines überforderten Politikbetriebs, dessen sanktionierenden und ordnenden Mechanismen aus einer anderen Zeit stammen und die im Netz entwertet scheinen, weil sie hier nicht mehr greifen. Es soll daher der Eindruck vermieden werden, die staatlichen Verfolgungsbehörden würden mit stumpfen Lösch-Schwertern im Netz umherirren, obwohl es doch auch Sperr-Keulen geben könnte.

Mit Netzsperren lässt sich Handlungsfähigkeit vortäuschen: Der Staat greift zur Rechtsdurchsetzung ins Protokoll des Internets ein – und genau um diese Unterordnung geht es. Dass diese Sperren wirkungslos sind, ist da kein Gegenargument für die Befürworter: Sie verstehen ohnehin nicht, wie die Sperren konkret zu umgehen wären.

Mit Netzsperren lässt sich das Internet auch wieder territorialisieren: Durch sie manifestiert sich ein Drinnen und Draußen. Es läst sich ein Territorium des wohl geordneten “trusted internet” im Inneren von einem dubiosen Außen-Internet abgrenzen.

Zur Territorialisierung passt, dass die Pläne nun auf EU-Ebene vorgetragen werden. Das Ziel ordnungsbewusster EU-Politiker ist unschwer erkennbar eine Art “Netz-Schengen”: Die EU-Staaten einigen sich auf Internetstandards und ihre Durchsetzung im Inneren und stellen an der Grenze im Notfall Stopp-Schilder auf. Im Inneren wird gelöscht – nach außen wird notfalls gesperrt.

Auch die Verhandlungen zum internationalen Copyright-Abkommen ACTA folgen einem ähnlichen Muster. Die Unterzeichnerstaaten streben eine Art gemeinsamen Raum forcierter (Urheber-)Rechtsdurchsetzung an. Auch hier würde durch Kooperation ein neues Binnen-Internet geschaffen.

Netzsperren und ACTA: Hier zeigen sich Fragmente von Plänen zu einer Art Firewall des Westens. Die EU und die USA könnten einen gemeinsamen Raum des “trusted internet” bilden, der sich forcierten Durchsetzungskriterien unterwerfen muss – der Rest des Internets würde dann als dubios, gefährlich und dunkel gelten.

In der Folge wäre das Internet nicht mehr eine Entität, sondern ein domestiziertes Zwei-Klassen-Netz. Im Ring der inneren Firewall wird das Internet “ipadisiert”: Alles ist sicher, wohl geordnet, rechtskonform. Vor dem Außennetz wird gewarnt und es wird notfalls gesperrt.

Ich befürchte, die Dystopie ist sehr real. Die Frage ist eigentlich nur noch, wie genau die Schengen-Gates des Internets ausgestaltet werden.

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