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Micropayment-Alternative yourcent: “Ein kleines Stück gesellschaftliche Vision”

von , 13.8.10

Irgendwann letzte Woche stand plötzlich Friedemann Bartels vor unserer Tür, winkte mit einigen Flyern und erklärte, er habe ein Micropayment-System entwickelt. Da uns Micropayment-Ansätze eigentlich sowieso immer interessieren, insbesondere, wenn sie aus Berlin kommen und von so netten Menschen wie Friedemann Bartels entwickelt werden, haben wir uns sofort entschlossen, diese Independent-Micro-Antwort auf PayPal & Co. hier per Interview vorzustellen.

yourcent: Wenn man mal einen Tweet und mal einen Spielfilm bezahlen will, braucht man mehr Spielraum. (Foto: Screenshot)

Kurz zur Einführung: Yourcent ist ein neues Micropayment-System, bei dem Nutzer selbst entscheiden können, welchen Betrag zwischen 1 und 99 Cent sie jeweils für einen Klick zahlen wollen. Sie sammeln die Klicks in ihrem Warenkorb und können dann per Überweisung oder PayPal gesammelt bezahlen. Dabei können Nutzer die Provision für yourcent frei bestimmen. Seit 1. Juli ist das Projekt online.

Das Interview wurde per E-Mail geführt.

Robin Meyer-Lucht: Friedemann, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch. Du hast innerhalb von neun Monaten ein Mikropayment-System programmiert – quasi im Alleingang. Das beeindruckt schon sehr. Worin liegen eigentlich die Kernherausforderungen bei solch einen System? Wie oft hast Du überlegt, aufzugeben?

Friedemann Bartels: Danke :-)

Bei mir persönlich hat die einfache Bedienung einer Software bzw. einer Website einen sehr hohen Stellenwert. Das heißt, schon bei der Konzeption beschäftige ich mich viel mit der Frage, was will der Nutzer und wie kann man diese Funktionalität verständlich abbilden.

Bei yourcent geht es nun um sensible Daten und um Geld. Also kann die Anwendung gar nicht sicher genug sein. Diese beiden Punkte, Usability und Sicherheit, unter Einklang zu bringen, das war die Kernherausforderung.

Friedemann Bartels: "Wirklich aufgeben wollte ich eigentlich nie." (Foto: Privat)

Wirklich aufgeben wollte ich eigentlich nie. Wenn man einmal an so einer Sache dran ist, dann steckt man irgendwann so tief drin, dass an Aufgeben nicht mehr zu denken ist. Der einzige Grund wäre gewesen, wenn jemand anderes das gleiche Konzept erfolgreich umgesetzt hätte. Als ich im Frühjahr von Flattr erfahren habe, hat mir das schon einen Dämpfer verpasst. Aber da sich die Konzepte von Flattr und yourcent unterscheiden, und ich nach wie vor von meinem Konzept überzeugt bin, war klar: weitermachen.

Damit wären wir ja gleich beim Thema: yourcent vs. Flattr. Bei yourcent kann man den Spendenbetrag jeweils individuell festlegen – anders als bei Flattr. Von Clay Shirky stammt das Konzept der “mentalen Transaktionskosten”: Es ist einfach sehr anstrengend, sich ständig über Kleinbeträge Gedanken zu machen. Bei yourcent sind die mentalen Transaktionskosten so gesehen höher als bei Flattr …

Das ist richtig. Dafür kann man bei yourcent differenzieren.

Solange die digitalen Güter sehr homogen sind, also man z.B. nur Blogartikel bezahlt, hat die starke Abstraktion von Flattr Vorteile. Aber wenn ich mir überlege, dass ich mal einen Tweet und mal einen Spielfilm bezahlen will, dann wünsche ich mir mehr Spielraum.

Inwiefern ist Shirky denn auf die Homogenität der Güter eingegangen?

Shirky ging es vornehmlich um journalistische Texte – also ein eher homogenes Gut. Die fehlende Differenzierung bei Flattr ist wahrscheinlich Stärke und Schwäche des Systems zugleich. Ein andere Konstellation ist yourcent vs. PayPal: Was kann yourcent eigentlich besser als PayPal?

Paypal bietet ja mittlerweile einen Micropayment-Tarif an, allerdings fallen dort pro Transaktion schon mal fix 10 Cent Gebühren an. Die Zahlung kleiner Centbeträge ist so nicht möglich. Zudem muss man bei Paypal jede Transaktion mit seinem Passwort bestätigen, was den Bezahlvorgang kompliziert.

Bei yourcent gibt es keine fixen Transaktionskosten. Und man kann Zahlungen im Warenkorb sammeln und später in einem Abwasch buchen.

Yourcent ist ein so idealistisches Projekt, dass Du den Leuten sogar freistellt festzulegen, wie hoch die Provision für das System sein soll. Wie finanziert man denn so ein Projekt?

Die größte Investition ist meine Arbeitszeit. Da ich alles selber mache, hat das Projekt bis jetzt relativ wenig Kosten verursacht, die Ausgaben bewegen sich noch im dreistelligen Bereich. Ein guter Freund ist als Risikoinvestor eingestiegen und hat mir ein kleines Startkapital zur Verfügung gestellt. Wenn alles gut läuft, hat er mir eine zweite Finanzierungsrunde in Aussicht gestellt. :-)

Ansonsten lebe ich zur Zeit von Hartz IV und hoffe noch auf eine Existenzgründerförderung. Diese zu bekommen ist allerdings nicht ganz so einfach wie anfangs gedacht.

Ganz klar, mittelfristig werde ich yourcent nicht mehr alleine stemmen können. Von daher bin ich auch auf der Suche nach Partnern und Investoren.

Yourcent wirkt auf mich auch wie ein großes Experiment, wie empathisch und solidarisch Netznutzer sein könnten. Wäre es eigentlich völlig falsch zu sagen, yourcent ist ebenso sehr Kunstprojekt wie Geschäftsmodell?

Experiment ja, als Kunstprojekt würde ich es nicht bezeichnen. Für mich ist es mehr eine gesellschaftliche Vision bzw. der Versuch meine Vision ein kleines Stück voranzutreiben. Wenn es z.B. funktioniert, dass Musiker ihre Musik übers Internet selbst vermarkten und durch viele kleine Spenden ihr Leben bestreiten können, dann gibt es keine Musikindustrie mehr, die Jugendliche und deren Eltern mit Klagen überzieht.

Oder wenn Journalisten ihr Arbeit durch freiwillige Zahlungen ihrer Leser vergütet bekommen, dann ist die Diskussion um ein Leistungsschutzrecht Geschichte.

Yourcent richtet sich also auch an Verleger? Die werden sagen: Als kommerzieller Anbieter kann ich mich nicht auf die Almosen meiner Leser verlassen. Auch für die taz sind die Flattr-Einnahmen derzeit eher ein willkommenendes Zubrot.

Yourcent richtet sich in erster Linie an Journalisten, Blogger, Kreative, die bis jetzt ihre Inhalte kostenlos anbieten. Für sie ist yourcent eine Chance. Ich glaube auch gerade in dieser Zielgruppe ist aufgrund der engen sozialen Verflechtung zwischen Produzent und Konsument die Zahlungsbereitschaft besonders hoch.

Den Schritt der taz Flattr einzusetzen finde ich mutig und richtig. Zum einen ist bei den Einnahmen noch Luft nach oben. Zum anderen schließt der Einsatz von Flattr andere Geschäftsmodelle ja nicht aus.

Aber ich gebe dir Recht, Verleger, die mit ihren vorhandenen Geschäftsmodellen noch Gewinne machen, sehen in freiwilligen Bezahlsystemen wohl eher das Risiko. Für mich stellt sich sowieso die Frage, ob wir in Zukunft überhaupt noch Verleger brauchen? Was ist denn die ursprüngliche Aufgabe eines Verlegers und ist diese in Zeiten des Internets noch relevant? In meinen Augen ist der Verleger der Kutscher des 21. Jahrhunderts.

Die klugen Kutscher sind dann wohl in den Autobau gegangen und haben so die Infrastruktur für selbstätiges Fahren geschaffen. Yourcent setzt ja auch ganz bewusst auf die Vergütung einer nun viel breiteren Kreativität – es ist sozusagen ein Tool zum Selbstverlegertum.

Ja, das kann man so sagen. Aber prinzipiell richtet sich yourcent an alle, die online publizieren. Der Wechsel vom Verlagswesen zum Selbstverleger ist ein Prozess und vollzieht sich nicht von heute auf morgen. Von daher empfehle ich yourcent auch großen Verlagen, aber dort ist halt noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Man sieht ja an der Diskussion um das Leistungsschutzrecht, wie schwer es den etablierten Medien fällt, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und die Chancen zu nutzen.

Grundsätzlich denke ich, wenn die freiwillige Bezahlung im Kleinen funktioniert, dann werden auch die Großen ins Grübeln kommen und ihre Strategien überdenken müssen.

Du steckst doch auch in der Materie drin. Wie siehst du denn die Zukunft des Verlagswesens?

Hm, ich kann vielleicht sagen, wie ich die Zukunft der ‘freiwilligen Bezahlung’ für Journalismus sehe: Ich halte Flattr, Kachingle & Co. für einen wichtigen Schritt zur Lösung des Vergütungsproblems. Die Umsätze sind aber bislang – abseits von Ausnahmen – auch ernüchernd, wobei man hier noch abwarten muss. Das Konzept der freiwilligen Vergütung ist sehr idealistisch – manchmal würde ich gerne den Lesern für ihre Unstützung noch etwas extra geben – irgendeine Form von privilegiertem Status.

Es ist interessant, wie unterschiedlich wir das wahrnehmen. Tim Pritlove hat im letzten Monat mit Flattr die 1000 € geknackt, ich finde das schon sehr beachtlich. Auch wenn Tim in deinen Augen eher die Ausnahme ist, für mich zeigt sich, wie wichtig die persönliche und soziale Komponente bei der Vergütung ist.

Klar ist wohl auch: Im Netz wird sehr viel mehr produziert und sehr viel weniger vergütet. Das Paradigma der professionellen Produktion wird relativiert – die direkte Vergütung könnte geradezu zum Sonderfall werden. So gesehen wäre yourcent eher “special-interest” – oder ist das jetzt zu pessimistisch?

Ja, in meinen Augen ist das zu pessimistisch. :-)

Ich nehme eher an, das Anbieten von bezahlten Zusatzleistungen wird zum “special-interest”. Es ist doch so: sobald ein digitales Werk erstellt wurde, entstehen für die Verbreitung kaum noch Kosten. Man könnte die Nachfrage also zu 100 Prozent decken. Premiumdienste bedeuten den Versuch, einen künstlichen Mangel zu erzeugen. Künstlicher Mangel funktioniert gut bei Luxusgütern, für einen limitierten Porsche mit Speziallackierung findet sich immer ein Scheich, der dafür viel Geld bezahlt.

Aber Nachrichten, Musik, Wissen zähle ich in der Informationsgesellschaft zu den Gütern des täglichen Bedarfs. Und eine künstliche Verknappung dieser Güter widerstrebt meinem jugendlichen Idealismus zu tiefst. ;-)

Davon abgesehen hätten wir mit Premiumangeboten immer noch die Problematik des illegalen Filesharings.

Friedemann, ganz vielen Dank für das Gespräch.

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