von Tim Renner, 19.2.10
Seit Ende Januar sind wir schlauer: Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) hat in einem Thesenpapier seinen Mitgliedern und der Welt mitgeteilt, weshalb er die Idee einer Kulturflatrate ablehnt. Viele wissen nicht so genau was eine Kulturflatrate ist, die meisten nicht, woher das kommt, doch trotzdem fürchtet man sie in vielen Chefetagen der großen Plattenfirmen bereits.
Dabei handelt es sich bei dem Phantom Kulturflatrate lediglich um die naheliegende Idee, reales Tun zu legalem Tun werden zu lassen. Ähnlich wie die Privatkopie – gebrannte CDs oder kopierte Kassetten – schon seit den 60er Jahren verbrieftes Recht eines jeden Bundesbürgers ist, soll im Rahmen der Kulturflatrate auch Filesharing vom Gesetzgeber legalisiert werden.
Eine pauschale Gebühr für die Urheber ist bereits heute bei CD-Rohlingen oder Brennern eingepreist. Leermedienabgabe nennt sich das und die damit generierten Millionen fließen über die GEMA in Richtung Autoren und mittels der GVL an die Produzenten und somit auch zu den Plattenfirmen. Analog dazu würde durch eine Kulturflatrate jeder Internetanschluss mit einer Pauschalabgabe für die genutzten Rechte belastet und die Einnahmen an die Rechteinhaber verteilt. Die Grünen sind größtenteils dafür, die Sozialdemokraten wollen das laut Parteiprogramm zumindest prüfen.
Die Verbände der Musikwirtschaft – egal ob groß oder klein, ob Indie oder Major – setzen bislang auf Verbote. Frankreich, wo Filesharer vom Internet abgeklemmt werden, sobald sie zum dritten Mal beim Download erwischt wurden, gilt als Vorbild. Verfassungsrechtlich ist das in Deutschland nicht durchsetzbar. Artikel 5 des Grundgesetzes, der jedem Bürger freien Zugang zu Informationen gewährleistet, steht dem entgegen.
Die schlauen Funktionäre des BMVI wissen das. Und das ist wahrscheinlich die eigentliche Botschaft dahinter, gerade jetzt aus heiterem Himmel einen Zehn-Punkte-Kanon gegen die Kulturflatrate zu veröffentlichen. Sie beklagen darin (Punkt 1), dass die Kulturflatrate auch von Bürgern bezahlt werden müsse, die sie vielleicht gar nicht nutzen würden. Sie stört (Punkt 3) zudem, dass eine solche Gebühr nicht sozial differenziere und somit die Schwachen verhältnismäßig stärker belasten würde. Ihr ist es ein Graus, dass mit der Kulturflatrate Beethovens Neunte und ein Pornofilm bezüglich ihres Marktwertes auf derselben Stufe stünden (so wörtlich Punkt 5) – und in der Konsequenz die Kultur verflachen würde.
All das wäre nachvollziehbar: Wenn dieselbe Industrie die Einnahmen aus der Leermittelabgabe ablehnen würde, sobald sie über Brenner generiert wird, mit denen keine Musik kopiert wird. Wenn sie CDs und Downloads für Hartz-IV-Empfänger zum halben Preis anbieten würde. Wenn sie für die Platten ihrer DSDS-Eintagsfliegen nicht zumeist mehr verlangen würde als für ihre Schätze aus dem Rock- und Klassikkatalog.
Das wirklich stechende Argument des Verbandes ist die Sorge vor der Abschaffung der Marktwirtschaft in der Musikkultur. Die Sorge scheint berechtigt, denn so absurd es klingen mag: Rock und Pop brauchen die Marktwirtschaft, um sich überhaupt weiter entwickeln zu können. Verteilt man die in einer Kulturflatrate erhobenen Gebührengelder wie eine Kulturförderung, kann das im Sinne der Erneuerung kaum klappen. Welche offizielle Stelle hätte in den 70er-Jahren Punk gefördert, der damals als Krach angesehen wurde? Welche Regierungspartei hätte sich in den 80ern für Techno stark gemacht, das man als monotone Spaßwelle ansah?
Selbst die Verteilung über die Ergebnisse einer freiwillig von den Nutzern aktivierten Screening-Software, wie sie manche Befürworter der Kulturflatrate als Lösungsmodel propagieren, klingt wenig hoffnungsvoll für Nischen und ungewöhnliche Ideen. Sie soll das wirkliche Nutzungsverhalten beim Surfen und beim Download über diverse Portale dokumentieren, die Logik erinnert aber gefährlich an eine Onlineversion des GfK-o-Meters, mit dem in einigen ausgewählten Haushalten von Freiwilligen die TV-Nutzung gemessen wird. Was bei dieser Art von Meinungsumfrage heraus kommt, ist bekannt und mit dem täglichen TV-Horror von Gerichts- und Castingsshows, die sich nach dem in Quoten gemessenen Erfolg orientieren, einschlägig dokumentiert. Will man als Verfechter einer Kulturflatrate eine Verengung der Musikkultur auf dem Niveau von Privatfernsehen?
Neu an dem Papier des Verbandes ist, dass erstmals Fragen gestellt (Punkt 10) und nicht lediglich Standpunkte verteidigt werden. Vieles ist in der Diskussion über die Kulturflatrate tatsächlich noch überhaupt nicht definiert. Wie verhält es sich mit anderen digital vertriebenen Gütern jenseits von Musik? Wer oder was entscheidet über Höhe und Verteilung einer solchen Abgabe? Wie wird zwischen den unterschiedlichen Bezugsberechtigten differenziert? Wer Fragen stellt, ist neugierig und signalisiert eine generelle Gesprächsbereitschaft.
Viele mögliche Antworten würden sich allerdings erübrigen, wenn die Rechteinhaber selbst die Marktwirtschaft nutzen und einer Kulturflatrate zuvor kommen würden. Würden sie eine Flatrate anbieten, die mindestens so gut ist wie das, was man sich als Konsument mühsam und illegal über Torrent-Tracker besorgen muss, wäre die ganze Diskussion nämlich obsolet. Es wäre ein freiwilliges Flatrate-Angebot, das alle Musik in bester Qualität anbieten würde, sobald sie das erste Mal im Radio lief oder an die Medien ging. Verbunden mit einer guten Aufbereitung und Beratung wäre das eine hoch attraktive Dienstleistung, die der illegalen Konkurrenz klar überlegen wäre. Für all die, die wenig Zeit, aber ein bisschen Geld haben, wäre es ein Traum. Auf der Suche nach dessen Erfüllung begehen sie heute einen Rechtsbruch und nehmen allerlei Widrigkeiten in Kauf. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zahlen, ist sehr hoch – würde man es ihnen nur einfach machen.
Auch für die Künstler wäre eine solche Flatrate eine faire Form der Distribution und Entlohnung, denn sie wäre servergestützt und daher nutzungsgerecht abzulesen und abzurechnen. Für den Verband wäre sie der beste Weg, zu beweisen, wie eine Alternative zur Kuturflatrate aussehen könnte. Lediglich die Kids – traditionell mit viel Zeit, aber wenig Geld versehen – kann man damit wahrscheinlich noch nicht für sich gewinnen. Muss man aber auch nicht zwingend, schließlich ist der durchschnittliche Plattenkäufer bereits 37 Jahre alt. Geklaut haben die Teenager Musik schon immer. Früher hat das nur der Plattenhändler und nicht die Plattenfirma zu spüren bekommen.
Dieser Text von Tim Renner erscheint auch im Motorblog.