#Bild

Journalismus hat seinen Preis

von and , 14.5.12

1.
Von einer Zäsur zeugt, wenn eine Veranstaltung so misslingt wie die Henri-Nannen-Preisverleihung 2012. Mit höchstem Aufwand an Prominenz, Personal und Finanzen ausgerichtet, scheiterte sie an Widersprüchlichkeiten, die tief blicken lassen. Es hieß, die Preise würden an einzelne Journalisten verliehen, nicht an Medien, weshalb ein Preis für einen „Bild“-Journalisten so gut wie nichts mit „Bild“ zu tun habe. Diese Lebenslüge der Jury zertrümmerte der Preisträger Martin Heidemanns mit einem kurzen Satz. Er wünsche sich, so sinngemäß, dass nun alle sagten: „Glückwunsch, BILD.“

Das Publikum beklatschte den Preisträger „Bild“ sehr und die ‘Spielverderber’ von der „Süddeutschen Zeitung“ kaum. Das Publikum feierte zugleich den britischen Journalisten Nick Davies, der den Skandal um den Medientycoon Rupert Murdoch und dessen Boulevard-Blätter aufdeckte, und den Preis für „Pressefreiheit“ erhielt. Es klatschte auch, als Davies sagte, diesen Blättern gehe es nur um Rendite und Macht – als sei  die kurz zuvor ausgezeichnete „Bild“ grundsätzlich anders. Die Erfolgsautorin Joanne K. Rowling sagte einmal zu den Machenschaften der Murdoch-Medien, es gebe ehrenwerten Journalismus und solchen, der mit allen Mitteln nur Auflage und Quote machen wolle: „Ich frage mich manchmal, warum wir beides mit dem gleichen Wort Journalismus bezeichnen.“ Die Jury, die an diesem Abend „Spiegel“, „Zeit“, „stern“ und  „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ mit deren Zustimmung mit „Bild“ gleichsetzte, ist die Antwort auf diese Frage schuldig geblieben. Die ‘ausgezeichneten’ Journalisten dieser Medien wiederum hatten nichts besseres zu tun, als ungerührt ihre Preise einzustreichen und zu dem außerordentlich wichtigen aufgebrochenen Konflikt zu schweigen. Der Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule Andreas Wolfers antwortete auf die Frage der Moderatorin Judith Rakers, ob nun der Preis beschädigt sei: „Nein.“ Die Medien-Welt besteht an diesem Abend also nur aus Rissen, aber die Journalisten-Schule will einfach so weiter machen.

2.
Die Jury halbierte den Henri-Nannen-Preis für investigativen Journalismus. Die eine Hälfte verschleuderte sie, die andere wurde verschmäht. Die zwei Hälften ergeben keinen ganzen „Henri“, weil sie nicht zusammenpassen. Dass sich die Halbierung als Spaltung erweist, ist kein Zufall. Darin liegt eine Chance: Wir stecken mitten in einem Umbruch der massenmedialen Kommunikation. Viele der bisherigen Grenzen werden gesprengt: zwischen links und rechts, privat und öffentlich, Fakten und Fiktionen, zwischen Journalismus und anderen Arten öffentlicher Kommunikation wie Unterhaltung, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit. Es ist gut, dass es sich die Jury des Henri-Nannen-Preises so schwer gemacht hat, denn in ihren Konflikten spiegeln sich diese Grenzverschiebungen wieder. Mit ihnen müssen sich alle auseinandersetzen, die ein Interesse an der Qualität von Öffentlichkeit haben.

3.
Wenn Grenzen sich auflösen, werden Werte und Maßstäbe in Frage gestellt. Wir beglückwünschen die Kollegen der Süddeutschen Zeitung: Sie haben trotz des Drucks eines festlich gestimmten Publikums dieses Verschieben von Maßstäben und Werten nicht opportunistisch übergangen. Indem sie ihren ‘halben Henri’ ablehnten, markierten sie scharf den Befund, dass die Jury auf die Frage, was ist preiswürdige journalistische Qualität, zwei diametral entgegengesetzte Antworten gegeben hat.

4.
Es geht nicht um die Vergangenheit von „Bild“ als Schmuddelkind. Es geht auch nicht um die Frage, ob Boulevardjournalismus prinzipiell preiswürdig sein kann – selbstverständlich, wenn es nicht nur Boulevard, sondern auch Journalismus ist. Es geht um die gegenwärtige Qualität der „Bild“-Veröffentlichungen, speziell der Veröffentlichungen über Christian Wulff. Wir kritisieren die Mitglieder der Jury, die bereitwillig der „Bild“-Inszenierung von Aufklärungs-Journalismus Beifall klatschen. Dieser große Aufklärer „Bild“ hat Christian Wulff über viele Jahre hinweg bis in dessen privateste Angelegenheiten hinein so nah begleitet wie kein anderer – selbst dass er für eine Reise in die Wüste Wollsocken im Koffer hat, war eine Nachricht wert. Wulffs Verfehlungen haben sich genau in den Jahren ereignet, als „Bild“ ihn glorifizierte und deshalb Zugänge bis in das intimste Umfeld hatte – aber „Bild“ hat nicht recherchiert,  zumindest nichts Kritisches publiziert, sondern den tauben, blinden und stummen Affen gespielt.

5.
Die Jury hält die Recherche-Leistungen der beiden „Bild“-Mitarbeiter für überragend. Wir widersprechen, weil in Wulffs Kreditaffäre der Unterschied zwischen „Stern“, „Spiegel“ und „Bild“ nicht in der Qualität der Recherche liegt, sondern einfach in dem Umstand, dass „Bild“ mit den Recherche-Ergebnissen als erste an die Öffentlichkeit gegangen ist. Dies wiederum hat sie nicht aus dem Motiv der Aufklärung heraus gemacht. Sie hat publiziert, weil sie nicht als Verlierer dastehen wollte, dem andere Medien nachweisen, dass einer ihrer Lieblings-Promis sich moralische und vielleicht sogar juristische Verfehlungen zu Schulden kommen ließ. Die Jury – das ist ihre zweite Begründung – hält die „Bild“-Veröffentlichung für preiswürdig, weil die gesellschaftlichen Folgen so bedeutsam seien. Diese Begründung ist völlig daneben. Wulff stürzte nicht über die Hauskredit-Affäre; sie war bestenfalls Auslöser für eine Demontage Wulffs, an der fast alle Medien beteiligt waren.
An diesem Ereignis Henri Nannen-Preisverleihung 2012 war also buchstäblich gar nichts stimmig: nicht einmal die Begründung der Preisverleihung für „Bild“.

6.
Journalistische Veröffentlichungen haben substantiell drei Anforderungen zu genügen, sie müssen neu, wichtig und richtig sein. Solche Kriterien lassen sich nicht ohne Sachkenntnisse, gründliche Recherche, ein unabhängiges Urteil und viel Verantwortung erfüllen. Deshalb hat Journalismus seinen Preis. In jedem Fall kann gestritten werden, inwieweit diese Kriterien erfüllt sind. Nicht zu bestreiten ist: Veröffentlichungen, die in der Hauptsache auf Aufmerksamkeits- und Reizwerte setzen, die Prominenz und Sensation, Sex und Superlative, Kriminalität und Katastrophen als dominierende Themen haben, die primär moralisieren und emotionalisieren, machen etwas anderes als Journalismus. Wir nennen es Medialismus. Gelegentliche Überschneidungen mit Journalismus ändern nichts am großen Unterschied. Hasen sind nicht schon deshalb Hunde, weil sie auch vier Beine haben.

7.
Im Mittelpunkt aller „Bild“-Veröffentlichungen steht die Inszenierung und nicht der Journalismus. Alle und Alles, Personen und Ereignisse, werden dafür benutzt und bei Bedarf mißbraucht. „Bild“ setzt erstens Ereignisse und Personen so in Szene, dass höchstmögliche Aufmerksamkeit bei einem größtmöglichen Publikum erzeugt wird. „Bild“ setzt zweitens sich selbst so in Szene, dass möglichst jede Meldung zugleich eine Werbung für „Bild“ darstellt. Daraus leiten wir hier keinen Vorwurf ab – nur die Feststellung, dass das kein Journalismus ist. Nicht nur, aber auch aufgrund dieser Methoden der systematischen und radikalen Inszenierung ist „Bild“ als Massenmedium ökonomisch erfolgreich. Deshalb liegt für andere Verlage die Versuchung nahe, diese Methoden zu übernehmen. Chefredakteure anderer Medien, die „Bild“ für Journalismus auszeichnen, besorgen sich auf diese Weise das Alibi, die eigenen Publikationen stärker an Aufmerksamkeits- und Reizwerten auszurichten. Das ist der Trend, der kritisch diskutiert werden muss. Gegen diesen Trend, der demokratische Öffentlichkeit zerstört, haben die drei Kollegen der „Süddeutschen Zeitung“ und das Jury-Mitglied Matthias Gaede ein wichtiges Signal gesetzt. Sie waren damit an diesem Abend in Hamburg Außenseiter.

Die beiden Autoren haben sich in einer Studie mit der Rolle der “Bild” in der Wulff-Affäre auseinandergesetzt.

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