von Christian Soeder, 12.11.12
Auf den ersten Blick ist das Ergebnis der Grünen-Urwahl nicht sonderlich aufregend: Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin haben gewonnen und sind damit Spitzenkandidatin und Spitzenkandidat zur Bundestagswahl.
Auf den zweiten Blick ist das Ergebnis extrem spannend und war in dieser Art und Weise nicht zu erwarten.
Zuerst die Fakten zum Verfahren: Alle Grünen-Mitglieder hatten maximal zwei Stimmen, davon musste zwingend eine Stimme an eine Frau gehen, keine Person durfte mehr als eine Stimme erhalten. Ein zweiter Wahlgang war nicht vorgesehen, ein Rangfolgewahlverfahren auch nicht. Das bedeutet, dass zwingend eine Frau dem Spitzenduo angehören musste und dass keine 50 Prozent notwendig waren, um gewählt zu werden.
Das Ergebnis der „Großen Vier” setzt sich nun wie folgt zusammen:
Jürgen Trittin 71,93
Katrin Göring-Eckardt 47,31
Renate Künast 38,56
Claudia Roth 26,18
(Von den verhaltensauffälligen „Basismännern” ist niemand über 3 Prozent gelandet.)
Das heißt: Trittin ist der neue Obergrüne. Ein so deutlicher Vorsprung vor seiner Co-Spitzenkandidatin war ganz und gar nicht zu erwarten. Natürlich hat das Wahlverfahren Trittin begünstigt, weil er der einzige aussichtsreiche Mann war, aber trotzdem: ein so klarer Sieg war nicht absehbar.
Spannend ist ebenso, dass Göring-Eckhardt sich so klar gegen Künast und Roth durchsetzen konnte. Fast 10 bzw. über 20 Prozentpunkte Vorsprung lassen sich einfach nicht wegdebattieren.
Wenn wir nun zusätzlich zur Kenntnis nehmen, dass Göring-Eckhardt noch 2006 bei der Wahl in den Parteirat gegen meine gute Freundin Julia Seeliger an den BDK-Delegierten gescheitert ist, dann müssen wir festhalten: die Grüne Partei hat sich in den letzten 5 Jahren gewaltig verändert. Heute hat sie 60.000 Mitglieder, 2008 waren es nur 30.000 — die Parteibasis hat sich komplett gewandelt. Die Grünen sind nicht mehr die Partei, die sie noch 2005 nach dem Gang in die Opposition waren, aber die Führung ließ das bisher unbeeindruckt.
Mit dem heutigen Sieg der vermeintlichen Außenseiterin Göring-Eckardt ist klar: die Grünen-Basis fühlt sich von Claudia Roth nicht mehr vertreten. Roth ist ein Auslaufmodell, sie war die einzige dezidiert linke Kandidatin. Trittin hat die Rolle des grünen Übervaters angenommen und ist ehrlicherweise keinem Flügel mehr so richtig zuzuordnen.
Die Grünen sind heute eine andere Partei. Dieser Wandel macht sich an den Spitzenposten noch nicht wirklich bemerkbar, auch die Funktionärsebene macht im Wesentlichen weiterhin ihr Ding.
Die Frage, die sich die Grünen nun stellen müssen, ist: Was bedeutet es, dass Claudia Roth, der Star von Grünen-Parteitagen (BDKs), an der Basis nur ein gutes Viertel für sich begeistern kann? Sind die Grünen-BDKs auch nur ansatzweise repräsentiv für die Grünen-Basis?
(Wie repräsentativ sind eigentlich SPD-Parteitage? Jedenfalls ist die Zusammensetzung der SPD-Mitgliedschaft heute nicht grundlegend verschieden von der 2005 — Segen und Fluch einer Massenpartei zugleich.)
PS: In der FAZ vom 9.11. ist ein großes Interview mit Claudia Roth. Es geht um Einsamkeit. Sehr tragisch.
Crosspost von Rot steht uns gut