#Musikindustrie

EMI auf Rudis Resterampe: Was hat sie bloß so ruiniert?

von , 19.3.10

Gestern hatte ich einen Termin mit einer der Firmen, die sich um den Aufkauf von Teilen der legendären EMI bemühen. Der Laden ist überschuldet und bevor er seinem Gläubiger, der Citibank, in den Schoß fällt, wird er wohl filettiert. Das Gedrängel um den taumelnden Musikriesen beschrieb der Vertreter des potentiellen Aufkäufers als Kampf auf „Rudis Resterampe“. Über seinen Zynismus erschrocken fielen uns beiden die Zeilen von Die Sterne ein: „Wo fing das an und wann/Was hat Dich irritiert/Was hat Dich bloß so ruiniert?

Meiner Meinung nach begann der Untergang der Musikindustrie mit der CD. Das liegt nicht nur daran, dass die Langspielplatte, die sie ablösen sollte, so viel sinnlicher war als das kleine Stück Plastik/Aluminium-Gemisch. Das eigentliche Problem der CD war ihre hohe Profitabilität. Die Herstellung einer CD kostet weniger als die von Vinyl, die Preise wurden bei der Einführung aber verdoppelt. Verkauft wurde Anfangs hauptsächlich Katalog, also Aufnahmen welche die Plattenfirmen schon lange bezahlt und verbucht hatten. In der Konsequenz schossen die Margen durch die Decke. Musikwirtschaft wurde ein hoch profitables Geschäft und zog deshalb statt Freaks und Fans, Betriebswirte und Banker an.

Letztere optimieren das Geschäft nicht indem sie den Inhalt, sondern die Abläufe verbesserten. Im ersten Schritt taten sie das durch Synergie-Effekte. Ab Mitte der Achtziger – als beginnend mit dem Siegeszug der CD – wurden kleinteilige Strukturen, wie sie durch eine Vielzahl von Labels gegeben waren, im Sinne der Kosteneffizienz zu Konzernen zusammengefasst. Aus Polydor, Phonogram, Metronome, A&M, Def Jam, Motown und Island wurde zum Beispiel PolyGram und schließlich unter Hinzunahme von MCA die heutige Universal. Durch die Ballung spart man Personal und somit Fixkosten – und geringe Fixkosten sichern langfristig höhere Gewinne.

Große Strukturen führen jedoch zur Abstraktion: Wo früher ein verantwortlicher Labelmacher sein Programm mit seinen Künstler entwickelte, hatten diese es plötzlich oft mit Managern und mit häufig wechselnden Mitarbeitern zu tun. Diese redeten zunehmend nicht mehr von Künstlern sondern von „Themen“, statt Alben verkauften sie „Produkte“ und freuten sich über hohe „Stückzahlen“. Veröffentlichungen wurden „chartoptimiert“ und auf Compilations zweit- und drittverwertet. All das hatte wenig mit Rock’n’Roll, aber viel mit BWL und Mathematik zu tun. A&Rs fanden sich häufiger über Planzahlen, die es mindestens quartalsweise zu aktualisieren galt, denn bei den Künstlern im Studio.

Die Branche war sexy. Sie versprach Rendite um die 20% und einen Abend mit Madonna, ein Wochenende mit Robbie Williams oder zumindest einen Händedruck von Beyoncé. Wo früher Produzenten wie Chris Blackwell (Island), Musiker wie Alpert und Moss (A&M) oder Musikredakteure von Schülerzeitungen wie Richard Branson (Virgin) ihr Geld in Künstler und Labels investierten, waren es nun Wasserversorger wie Vivendi (Universal), Destillerie-Erben wie Edgar Bronftman (Warner) oder Investmentbanker wie Guy Hands und seine Terra Firma (EMI). Gerne ließen diese sich mit der jeweiligen Künstlerschar ablichten, sie wurden eine bunte Beigabe der Geschäftsberichte.

Versprochen wurde den Banken und Investoren der Aufkäufer ein ewiges Wachstum. Dieses sollte dann die Zinsen bedienen, mit denen die erworbenen Majors belastet worden waren. Außer in Form von Castingshows ist die Produktion von Musik aber leider nicht planbar. Künstler sind als Lieferanten nicht zuverlässig, wie Guy Hands mit Schrecken feststellen musste. In einem Schreiben an die Musiker der EMI ermahnte er diese deshalb zur regelmäßigen Abgabe von Alben. Tim Clark, der Manager von Robbie Williams, nannte das „Plantagenbesitzer-Mentalität“. – Williams sei nur ein beleidigter kleiner Junge, keulte Hands zurück.

Im Fall Hands/EMI wurde der Zusammenprall der Kulturen am deutlichsten. Künstler, die teilweise angetreten waren die Welt zu revolutionieren, trafen auf einen Kaufmann, der sein Geld mit Immobilienspekulation und Müllentsorgung gemacht hatte und auf einem ultrakonservativen Netzwerk basiert. Hands Trauzeuge und bester Freund ist Rechtspopulist William Hague, der mit seiner xenophoben „Foreign Land“-Rede im Jahr 2001 selbst konservative Parteifreunde entsetzte. Sätze wie „Talk about asylum and they call you racist; talk about your nation and they call you Little Englanders“ kosteten ihn den Vorsitz seiner Partei. EMI-Künstler wie Damon Albarn demonstrierten damals gegen ihn.

Mittlerweile ist es ruhiger um Guy Hands geworden. Einerseits ist er auf Steuerflucht auf Guernsey und kann deshalb gar nicht in England einreisen um bei EMI nach dem Rechten zu schauen, andererseits gibt es dort außer Zinsschulden, die aus dem operativen Geschäft nicht mehr bedient werden können, auch nicht mehr viel zu entdecken. Das Dilemma könnte er nur lösen, indem er den ganzen Apparat EMI auflöst (aktuell noch 5000 Mitarbeiter) und sich auf die Einnahmen aus dem existenten Katalog konzentriert. Das hätte dann jedoch nichts mehr mit Wachstum sondern nur noch mit Rückzug zu tun.

Dieser Text von Tim Renner erscheint auch im Motorblog.

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