#Amtsmüdigkeit

Der lange Sommer der Anarchie (auf Sylt)

von , 20.7.10

In den Internet-Foren der Medien schwillt der Volkszorn. Über die verfehlte Politik von schwarz-grün? Iwo! Ein Großteil derjenigen, deren Kinder von der sechsjährigen Gemeinschaftsschule profitiert hätten, ging am vergangenen Sonntag gar nicht zur Wahl – während das Bürgertum aus den Alster- und Elbvororten, das seine Gymnasien mit Klauen und Zähnen verteidigt, praktisch vollzählig an der Wahlurne erschien.

Nein, in den Medien-Foren zum Rücktritt des Bürgermeisters geht es nicht um dessen verkorkste Politik. Beklagt wird nicht etwa das Verscherbeln wichtiger Betriebe der Stadt: an Vattenfall Europe (Stromversorger HEW), an den Klinikbetreiber Asklepios (städtische Krankenhäuser), an diverse finanzstarke Aktionärsgruppen (Hafenbetriebsgesellschaft). Auch die Verschleuderung immenser Steuergelder für den Bau der Elbphilharmonie (323 Millionen Euro) und für das Rettungspaket zur Sanierung der HSH Nordbank (13 Milliarden Euro) spielen keine wesentliche Rolle. Auch nicht der aus Wilhelmsburger Sicht eher misslungene „Sprung über die Elbe“. Weder die Gentrifizierung bestimmter Szene-Viertel noch die problematische Elbvertiefung werden von Beusts Politik angelastet, ja nicht einmal die Hofierung obskurer Politiker wie Ronald Schill oder Roger Kusch. Hauptgegenstand des Volkszorns ist der Zeitpunkt des Bürgermeister-Rücktritts. Von Beust, seit Jahren von postheroischer Amtsmüdigkeit gezeichnet, habe auf Sylt lediglich seinen 55. Geburtstag abgewartet, um die volle Pension kassieren zu können.

In bild.de schreibt ein Volksmund: „Er geht mit 55 in Pension ohne Abzüge – wo der normale Rentner, wenn er 10 Jahre früher geht, 33% weniger Rente bekommt – sein Leben lang”.

Und bei Focus-Online beantwortet ein Leser die Frage nach dem Grund des Rücktritts so: „Weil er exakt 55 ist. Und ab 55 gibt es fette Pension auf unsere Kosten! So einfach ist das…“

Internet, heißt es oft abschätzig, sei Volkes Stimme, vox populi. Politisch mag diese Stimme ja ein wenig unterbelichtet sein, in gewissen Fragen trifft sie aber durchaus ins Schwarze!

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P.S. Laut Hamburger Senatsgesetz stehen Ole von Beust (55) nach seinem Rücktritt drei Monate lang je 13 577,83 Euro zu. Danach folgt ein Übergangsgeld bis zum 31. August 2012 von monatlich 6788,91 Euro. Anschließend könnte von Beust ein Ruhegehalt von 6313,69 Euro beziehen, das laut Gesetz ab dem 55. Lebensjahr gewährt wird.

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Crosspost vom Magazin der Autoren.

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