von Marcel Weiß, 13.7.14
Folgt man der deutschen Debatte über Google, könnte man den Eindruck gewinnen, der Konzern beherrsche jeden Markt, in den er geht, und zerdrücke jeden Konkurrenten ohne Mühe. Google ist tatsächlich ein großer und mächtiger Digitalkonzern. Und Google ist auch der einzige Konzern, der die Hybris hat, sich alles zuzutrauen.
Das heißt aber nicht, dass auch wir ihm alles zutrauen müssen.
Eher im Gegenteil. Gerade um die Schwächen eines mächtigen Players zu wissen, hilft, mit ihm konkurrieren zu können.
Google versucht beispielsweise mit dem vorgestellten Android TV zum sechsten Mal, in die TV-Geräte zu kommen. Die unterschiedlichen Richtungen, die Android und iOS nehmen, bedeuten auch, dass Googles Plattform nicht überall wird hingehen können, wo Apples iOS hingeht, und umgekehrt.
Auch die Makrosicht auf das Marktumfeld ist sinnvoll. Jörg Friedrich zieht auf heise online Parallelen zwischen Microsoft und Google:
Warum wird Microsoft heute nicht mehr als der große, böse Monopolist betrachtet, obwohl doch noch immer auf fast allen PCs das Betriebssystem der Firma läuft, obwohl PowerPoint inzwischen zum Synonym für Präsentation geworden ist, obwohl wir unsere Texte ganz selbstverständlich als Word-Dokumente verschicken?
Der Wettbewerb ist auf ganz anderen Gebieten entstanden, die Wettbewerber, die Microsoft das Leben schwer gemacht haben, waren nicht die Anbieter anderer Office-Software, sondern die, die völlig neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet haben.
Wir schreiben immer noch mit Word, und Microsoft hat viel dafür getan, dass wir uns nicht davon trennen wollen, aber die Informationen, die wir für den Text brauchen, suchen wir bei Google und mit dem Browser Chrome, und in Verbindung mit anderen bleiben wir nicht per MSN, sondern per Facebook, WhatsApp und anderen Kommunikationsmöglichkeiten.
Facebook – und nicht irgendeine neue Suchmaschine – stellt eine Disruption des googleschen Geschäftsmodells dar.
Facebook ist eine riesige, immer größer werdende schwarze Box, in die Google nicht hineinschauen kann. Und Facebook bekommt Arten von Daten, die Google nicht erlangen kann. Und Facebook verdient sein Geld mit Werbung, wie Google.
Aber damit nicht genug. Es ist kein Geheimnis mehr, dass sich die Internetnutzung mehr und mehr auf mobile Endgeräte verlagert und in naher Zukunft die dominierende Nutzungsart sein wird.
Google hat zwar mit Android das weltweit marktführende Betriebssystem geschaffen, aber das bedeutet nicht, dass es damit auch entsprechend Geld verdient. Google verknüpft Android mit seinen Services und übt über diese Verknüpfung Kontrolle über die Hersteller aus, weil es in diesen Services zum einen Daten sammelt und zum anderen Werbung anzeigt. Google ist darauf angewiesen, dass irgendwo auf den Android-Geräten Google-Werbung angezeigt wird.
Deshalb wird etwa der Play Store, Googles App Store für Android, nur schleppend weiterentwickelt, wie Matthäus Krzykowski in neunetzcast 43 erzählt, weil Google selbst, vom eigenen Werbegeschäftsmodell herkommend, geringe Anreize hat, die Welt der mobilen Apps voranzutreiben. Das Play Store-Team bekommt deshalb bei Google nicht die Unterstützung, die es bräuchte.
Ein Spannungsfeld: Auf der einen Seite muss Googles Android attraktiv für App-Entwickler sein, damit das OS auch für Endnutzer attraktiv ist. Auf der anderen Seite will Google nicht viele kleine black boxes schaffen, in die es nicht hineinschauen kann. Das ist der Hintergrund, vor dem Google auf der diesjährigen I/O die Verschmelzung von Apps und Web vorangetrieben hat. Google hätte lieber Apps, die mehr wie Websites agieren.
Deshalb verkaufen sich auch Android-Apps nicht sonderlich gut. Google treibt die Payment-Optionen nicht ausreichend voran. Statt Android-Apps, die man kaufen kann, sieht Google lieber kostenfreie Apps, die sich durch Google-Werbung refinanzieren.
Und auch hier kommt Facebook Google wieder in die Quere: Denn App-Entwickler für iOS und Android setzen für die Bewerbung ihrer Apps mehrheitlich auf Facebook. Wie Matthäus Krzykowski in neunetzcast 43 ebenfalls ausführt, geht in der Werbewelt der mobilen Apps nichts ohne Facebook.
Aber Google kontrolliert immerhin das populärste mobile Betriebssystem, richtig? Es ist nicht gegeben, dass das in zwei, drei Jahren noch so sein wird.
Es werden bereits 41 Prozent aller neuen Android-Geräte in China verkauft. Googles Services sind in China aber nicht präsent. Das heißt, diese Geräte basieren auf der Open-Source-Variante von Android (AOSP).
Aus China kommen auch die Hersteller, die Google gefährlich werden können. Xiaomi setzt auf AOSP, verkauft die eigenen Geräte auf Kostenbasis und verdient Geld mit den eigenen (Software-)Services. Xiaomi wird dieses Jahr 60 Millionen Geräte verkaufen und treibt aktuell die internationale Expansion voran.
Das macht nicht nur dem größten Android-Hersteller Samsung zu schaffen. Das wird auch Google in Bedrängnis bringen. Oder, wie wir in der letzten neunetzcast-Ausgabe schlussfolgerten: Google ist im mobilen Internet auf dem Rückzug.
Google hat Allmachtsphantasien. Sie glauben, sie können alles. Es gibt keinen Grund, ihnen das zu glauben.
Crosspost von neunetz.com