von Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach, 28.7.13
Diese Woche wird uns später als die Woche in Erinnerung bleiben, in der das Ende der Medien offensichtlich wurde, deren Modell darauf beruhte, dass Raum oder Zeit knapp und ein Mangel waren. Offensichtlich auch für die, die sich bisher nicht so intensiv damit beschäftigt haben.
Erst stellt Google ein USB-Stick-großes Dingens vor. Und dann verkaufte (oder präzise: versucht zu verkaufen) Axel Springer fast alle seine Print-Titel. Letzteres mit enormem Echo in meinem mediennahen Resonanzraum und initialer Schockstarre bei fast allen Journalistinnen oder Ex-Journalistinnen in meinem Umfeld. Ersteres, so scheint mir, noch fast unter dem Radar.
Warum soll dies das Ende der alten Medien sein?
Mehr noch als den Abschied Springers von Print (dazu gleich) stellt meines Erachtens das kleine, billige Gerätchen, das an den HDMI-Anschluss des großen wohnzimmerdominierenden Bildschirms gedongelt werden kann, den größten Schritt zur Veränderung der Mediennutzung seit der massenweisen Einführung von Kameras dar, die dauernd online sind – Smartphones. Denn damit wird nun endlich für viele Menschen dieser große Bildschirm von seiner Abhängigkeit vom Zeitmangel befreit.
Lineares TV (also bewegte Bilder, die an einem vom Sender definierten Zeitpunkt übermittelt werden, we called this früher “Fernsehen”. Früher, als man fett noch mit o geschrieben hat*) überlebte die letzten Jahre trotz seiner eigentlich absurden Eigenschaften vor allem deshalb, weil die allermeisten Leute nicht in der Lage waren, die Inhalte auf den zentralen Bildschirm ihrer Wohnung zu bekommen, die sie wirklich interessieren.
Einige von uns experimentierten mit Apple-TV, aber eigentlich ist das doof, denn es geht nur mit Apple. Und nur mit iTunes. Und iTunes ist inzwischen doof, weil es nicht mehr wirklich mit Medienservern zusammenarbeitet und so weiter. Technikgedöns. Am Ende hat nur die Bequemlichkeit ein an sich kaputtes Medienkonzept gerettet. Denn logisch ist es schon lange nicht mehr.
Wenn dieses HDMI-Dongle von Google tatsächlich kann, was Google behauptet, wäre dies der Einstieg darein, dass der große Bildschirm nicht mehr vom Mangel bestimmt wird, dem herausragenden Merkmal linearen TVs – limitierte Sendezeit, limitierte Sender, limitierte DVD-Sammlung -, sondern von der Fülle des prinzipiell unendlich großen Speicherraums Internet.
Für Deutschland heißt das aus meiner Sicht schon in sehr naher Zukunft – also noch dieses Jahr -, dass die ohnehin schon gigantische Reichweite der neuen Sender, die aus dem Zusammenschluss von Künstlerinnen auf YouTube entstanden sind (Ponk, Magnolia, etc.), weiter explodieren – und vor allem den zentralen Bildschirm der Wohnung erobern wird. Heute schon haben diese neuen Sender eine höhere Reichweite, als die klassischen TV-Sender-Familien. Und das bisher noch ohne den großen Bildschirm.
Die linearen TV-Anbieter haben sich darauf schon lange eingestellt, indem sie sich auf die einzige Systemstärke ihres Modells zurückbesonnen haben: es ermöglicht auf elegante Weise, “fern” zu “sehen”. Event-Fernsehen (Livesport, Liveshows, etc.) sehe ich als einzige echte Chance und Nische dieser Sender.
Und was ist mit Tee?
Einen Tag später dann verabschiedet sich Springer von Print. Und behält nur die Print-Titel, die sie mehr oder weniger erfolgreich zu multimedialen Marken ausgebaut haben. Der Kaufpreis, der dem zehnfachen Gewinn dieses Bereichs entspricht, legt nahe, dass Springer Print keine zehn Jahre mehr gibt.
Nun ist Print an sich nicht tot. Im Gegenteil. Aber der Teil von Print, der sein Modell auf Mangel (an Zeit, an Papier, etc.) aufbaute, ist irrelevant geworden. Warum eine Auswahl alter Nachrichten auf Papier? Wofür sollen wir mittelfristig noch Zeitschriften brauchen, die durch lineares TV navigieren? Was soll eine veraltete Auswahl statischer Abbildungen von Entertainment-Inhalten, die von den Stars selbst bereits vor mehreren Tagen via Tumblr, Instagram, Facebook und Co. veröffentlicht wurden?
Man muss Springer nicht mögen, um anzuerkennen, dass sie dort nicht dumm sind. Ich bin unsicher, ob sie erfolgreich sein können mit dem, was sie da versuchen – aber sie haben erkannt, dass sie jetzt die Reißleine ziehen müssen. Und allen anderen deutlich gemacht, dass Medien in Zukunft nicht auf dem Modell “Mangel” werden basieren können.
tl;dr
Lineares TV und Print haben weitere Sargnägel verpasst bekommen. Und Springer weiß das.
* komplett ohne einen tieferen Sinn. Ich liebe diesen Spruch, den meine Schwiegermutter von ihrer Großmutter, Pfarrfrau in Hessen, hat.
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