Cannabis, Medizin und Moral: „Die schlimmste Nebenwirkung ist die Strafverfolgung“

von and , 20.7.15

Sonja Vukovic: In Bremen sollen erste legale Verkaufsstellen für Cannabis entstehen, darauf hat sich die Landesregierung im Koalitionsvertrag geeinigt. In Hamburg-Altona und Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg wird Ähnliches probiert, einen ersten Antrag hat die grüne Berliner Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann zur kontrollierten Abgabe von Cannabis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits eingereicht. Ist das der Beginn einer neuen Ära der Drogenpolitik?

Maximilian Plenert: Der Antrag des Bezirks Friedrichshain/Kreuzberg ist definitiv ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Drogenpolitik. Die Idee, in einem zeitlich, räumlich und weiter begrenzten Modellversuch, mit klaren Erfolgsparametern, eine alternative Cannabispolitik zu erproben, ist im Gegensatz zur großen Debatte um die Legalisierung, so kompakt, dass sie in jeden Kopf passt. Monika Herrmann hat ein konkretes Modell vorgelegt und damit kann man eine konkrete Debatte erzwingen, die sich nicht mit Allgemeinplatituden abtun lässt. Der Antrag wird dennoch abgelehnt werden, da mache ich mir keine Illusionen. Aber es werden weitere folgen und die Regierung gerät damit immer mehr in Pflicht, sich zu rechtfertigen, warum sie nicht bereit ist, ihre Politik auf die Probe zu stellen.

Warum setzen Sie sich für eine Legalisierung von Cannabis ein?

Ich ertrage die Irrationalität der Prohibition nicht, das mag auch daran liegen dass ich von Haus aus Physiker bin. Nirgendwo sonst wird die Politik derartig von Moralismus, Glaubenssätzen und selektiver Wahrnehmung dominiert, die Ignoranz gegenüber Evidenz ist beispiellos. Die Kriminalisierung und die Folgen des Schwarzmarktes schaden den Konsumenten, sie schaden aber auch ihren Freunden, Familien und Angehörigen.

Wie genau?

Die Prohibition verhindert Prävention und Hilfen, darunter leidet, neben den Konsumenten, auch deren Umfeld. Jeder Steuerzahler zahlt für eine ineffektive Politik, die Kriminalität fördert und Polizeikräfte bindet, die Gefängnisse füllt und Gerichte verstopft. Eltern leiden, weil ihre Kinder weder richtig aufgeklärt werden, noch im Bedarfsfall Hilfe bekommen, sondern Probleme mit der Polizei. Drogenkonsum birgt ein gewisses Risiko, das ist völlig klar. Aber er existiert – und wir müssen vernünftig damit umgehen.

 

Der bestehende Schwarzmarkt für Cannabis soll in einen regulierten Markt mit Jugend- und Verbraucherschutz transformiert werden.

 

Nennen Sie doch mal Zahlen? Wie viel Cannabis wird in Deutschland konsumiert? Wie viele Menschen tragen Schäden davon – und wie viele erfahren Heilung? Nicht zuletzt sind in Cannabis ja auch medizinische Wirkstoffe THC und CBD?

Zirka vier Millionen Menschen haben im letzten Jahr Cannabis konsumiert, genau weiß es niemand. Die offiziellen Zahlen liegen eher bei drei Millionen, aber dies sind Minimalschätzungen weil nicht jeder bei den Umfragen am Telefon ehrlich antwortet. Dem stehen 131.130 Strafanzeigen wegen „Rauschgiftdelikten“ gegenüber, alleine bei Cannabis im Bereich der „Allgemeinen Verstöße“, also den „konsumnahen Delikten“ und nicht den Dealerdelikten wie gewerbsmäßiger Handel, Schmuggel und so weiter. Offiziell nutzen etwa 8000 Menschen Cannabis als Medizin, meist in Form der Medikamente Sativex und Dronabinol, 400 nutzen Cannabisblüten aus der Apotheke. Wie viele Menschen Cannabis illegal als Medizin nutzen, wissen wir nicht, das Potenzial, also die Zahl der Menschen, die von Cannabis als Medizin Linderung erfahren könnten, liegt in der Größenordnung von einer Million. Anders ausgedrückt: Nicht einmal jeder Hundertste Mensch profitiert vom medizinischen Potenzial von Cannabis, alle anderen leiden unnötig.

Als Physiker kann man in Deutschland beachtliche Polit-Karriere machen, siehe die Kanzlerin – wie sind Sie zum Deutschen Hanfverband gekommen und was will dieser?

Ich beschäftigte mich bereits seit über 15 Jahren mit dem Thema Drogenpolitik. Den Anfang nahm dies bei der Grünen Jugend, wo ich bereits Georg Wurth, den heutigen Geschäftsführer des DHV, kennengelernt habe. Nach meiner Diplomarbeit wollte ich nach Berlin ziehen, ich war damals auch im Bundesvorstand der Grünen Jugend und der Job beim DHV war damals eine gute und flexible Verdienstmöglichkeit – im Gegensatz zu vielen Jobs als Physiker.

Das Motto des DHV ist „Schluss mit Krimi. Cannabis normal.“ Unser Ziel ist eine Legalisierung, das heißt der bestehende Schwarzmarkt für Cannabis soll in einen regulierten Markt mit Jugend- und Verbraucherschutz transformiert werden. Die Diskriminierung und Verfolgung von Cannabiskonsumenten muss beendet werden und es muss endlich der Weg für Cannabis als Medizin freigemacht werden.

Sie setzen Legalisierung also gleich mit Regulierung – was genau bedeutet das? Und wie würde Jugend- und Verbraucherschutz gewährt, wenn die Droge frei verkäuflich wäre?

Die Gegner einer Legalisierung setzen sie gerne mit einer „Freigabe“ gleich. Das ist eine grobe Irreführung, denn die Freigabe haben wir bereits heute. Ob im Görlitzer Park – um ein prominentes Beispiel zu nennen – oder den vielen „Görlis“, die es in jeder größeren Stadt gibt: Drogen sind heute überall und rund um die Uhr für jeden frei erhältlich, ohne Jugendschutz und ohne dass die Konsumenten wissen, was sie wirklich kaufen. Mit einer Regulierung bekommt man Drogen überhaupt erst wieder unter Kontrolle. In allen anderen Bereichen ist es normal, dass der Staat Regeln aufstellt, um Risiken, die von bestimmten Produkte ausgehen, zu mindern: Lebensmittelkontrolle, Waffengesetze, Tempolimits – der Verzicht auf jede Kontrolle durch die Drogenprohibition ist Ausnahme. Ein unregulierter Schwarzmarkt ist deswegen auch grundverschieden: Ohne Rechtsstaat werden Konflikte mit Gewalt gelöst, mit der Repression professionalisiert der Staat den Drogenhandel und sichert die wirtschaftliche Grundlage der Kartelle. Die Extremformen dieser Politik können wir in Mexiko beobachten.

 

Das Potenzial von Cannabis als Medizin liegt alleine in Deutschland bei einer Million Menschen, all diese Menschen leiden derzeitig unnötig, weil Cannabis als Medizin praktisch kaum verfügbar ist.

 

Als einer von 400 Deutschen sind Sie im Besitz einer Ausnahmeregelung für den Erwerb von Cannabis zu medizinischen Zwecken. Wie kommt man an eine solche Ausnahmegenehmigung und wie gut funktioniert die Versorgung?

Die praktischen und rechtlichen Hürden für eine solche Genehmigung sind relativ hoch. Praktisch wissen viele Menschen nicht, dass ihnen Cannabis helfen könnte, und welche Möglichkeiten es gibt, Cannabis als Medizin zu nutzen. Zudem gibt es weiterhin kaum Ärzte, die einem hierbei helfen können und wollen. Die rechtlichen Rahmenbedienungen sehen vor, dass eine Erlaubnis zum Erwerb von Cannabisblüten aus der Apotheke nur dann gegeben wird, wenn der Patient bereits medizinisch „austherapiert“ ist. Das bedeutet, dass alle konventionellen Behandlungsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft sind und nur Cannabis eine Linderung bringt. Dies muss vollständig dokumentiert sein. Falls Unterlagen fehlen, müssen Betroffene die fehlenden Behandlungsversuche, von denen sie bereits wissen, dass sie keinen Erfolg, mitunter aber erhebliche Nebenwirkungen haben, wiederholen. Das Potenzial von Cannabis als Medizin liegt alleine in Deutschland bei einer Million Menschen, all diese Menschen leiden derzeitig unnötig, weil Cannabis als Medizin praktisch kaum verfügbar ist.

Was macht es so kompliziert? Andere Mittel, wie etwa Benzodiazepane und Opiate werden doch auch leicht verschrieben, wenn nötig?

Das Problem beginnt bei den hohen Kosten für die Genehmigung selbst. Außerdem muss der Patient Cannabis aus der Apotheke selbst bezahlen. Den Preis von 15 Euro pro Gramm und mehr können sich viele Patienten, die aufgrund ihrer Krankheit meist nur bedingt oder gar nicht arbeitsfähig sind, nicht leisten – und viele gehen dann doch wieder zurück auf den Schwanzmarkt, denn dort ist es schlichtweg günstiger. Zudem kommt es bei den Apotheken immer wieder zu wochenlangen Lieferausfällen. Ich habe meine Genehmigung im Herbst 2014 erhalten, es dauerte bis Ende Januar 2015, bis ich erstmals in der Apotheke etwas erhielt. Man stelle sich eine solche Situation bei einem anderen wichtigen Medikament wie Insulin vor.

Welche Krankheiten könnten mit Cannabis behandelt werden?

Plenert: Das Stichwort „könnten“ spielt bei der Beantwortung dieser Frage eine große Rolle, da die heutigen Verwendungsmöglichkeiten das Ergebnis der rechtlichen Rahmenbedingungen sind. Aktuell sind chronische Schmerzen, ADHS, Tourette-Syndrom und Depressionen die wichtigsten Diagnosen bei Ausnahmegenehmigungen. Quantitativ dürften chronische Schmerzen, immerhin leiden 17% der Bevölkerung in Deutschland daran, auch in Zukunft die größte Rolle spielen. Bisher gibt es Ausnahmegenehmigungen für mindestens 62 Diagnosen. Die Liste der möglichen Einsatzgebiete ist lange und beginnt mit Abhängigkeitserkrankungen, also Cannabis als Ausstiegsdroge. Großes Potential sehe ich bei den möglichen Einsatzgebieten Arthrose, Rheuma sowie den Symptomen Appetitlosigkeit und Schlaflosigkeit. Bei Typ 2 Diabetes Mellitus wissen wir von einer präventiven Wirkung, die bereits von Pharmafirmen klinisch erprobt wird. Bei Krebserkrankungen hilft es gegen Symptome, vielleicht sogar gegen die Grunderkrankung. Dies wird derzeit klinisch bei Brust- und Prostatakrebs sowie Hirntumoren getestet.

In Israel zum Beispiel werden selbst Kinder mit dem Wirkstoff THC behandelt. Da die internationale Drogenpolitik auf der Politik der UN basiert – woher kommen die Unterschiede in der medizinischen Verwendung von THC?

Die Situation in den einzelnen Ländern ist vielmehr das Ergebnis unterschiedlich erfolgreiche Bemühungen von Patienten, Ärzten und anderen Gruppen, ihren rechtlichen Möglichkeiten und den mehr oder weniger starken Widerständen der Politik. Gerade ins Israel sehe ich eine große Portion Pragmatismus, der hier viele Möglichkeiten eröffnen hat. Die meisten Fortschritte in Deutschland wurden von Patienten gegen den Willen der Politik eingeklagt. Zum Beispiel vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe, 2004, rechtfertigender Notstand bei Eigenanbau; vor dem Bundesverfassungsgericht, 2000, Gesundheit des Einzelnen ist im öffentlichen Interesse; oder vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2005, BfArM muss Anträge zum Erwerb von Cannabis genehmigen. 

Der Bundesrat und dann auch die Bundesregierung haben erst den Zugang zu medizinischen Cannabis erleichtert…

Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler hat dies zu Beginn des Jahres angekündigt, leider bleibt es bisher bei dieser Ankündigung. Bis heute liegt noch kein konkreter Vorschlag vor, obwohl die Regelung bereits zum 1.1.2016 in Kraft treten soll.

Welche Politik und Praxis genau würde in Deutschland würde dem Stand der Wissenschaft gerecht?

Das Ziel muss ein legaler, stark regulierter, aber noch immer gut funktionierender Markt für Erwachsene sein. Das bedeutet: keine Kontrolle und Schikane der Konsumenten, sondern eine Einschränkung des Kommerz. Werbung sollte generell verboten sein, alle Drogen gehören raus aus dem Supermarkt und rein in Drogenfachgeschäfte. Über Steuern können weniger potente und riskante Darreichformen gefördert werden, heute dient die Tabaksteuer ja leider nur der Haushaltssanierung und Erhöhungen werden gestreckt um einen Konsumrückgang zu vermeiden, also die Gewinne für den Staat zu maximieren. Die Hürden für Cannabis als Medizin und für die Forschung müssen beseitigt werden. Anstelle einer Abstinenzfixierung in der Prävention brauchen wir eine pragmatische Förderung von Drogenmündigkeit.

Welches Wissen brauchen Konsumenten?

Die schlimmste Nebenwirkung ist die Strafverfolgung. Die Gefahren die von der Substanz selbst ausgehen, betreffen primär Kinder und Jugendliche. Je jünger der Konsument und je stärker der Konsum, desto eher kann es hier ernsthafte Entwicklungsschwierigkeiten geben – so, wie auch bei Alkohol. Daneben sollten Menschen mit psychischen Vorbelastungen Vorsichtig beim Konsum von Cannabis sein. Ansonsten kann man im Großen und Ganzen sagen, dass Cannabis an sich für Erwachsene sicher ist. Problemdroge wird es meist nur in Zusammenhang mit anderen sozialen oder persönlichen Problemen.

Es heißt, kiffen forciere Psychosen. In Großbritannien wurde vergangenes Jahr aber eine Studie vorgestellt, die aufzeigt, dass vor allem deshalb mehr Kiffer Psychosen entwickeln, als Leute, die kein Cannabis konsumieren, weil die genetische Disposition, die auf ein erhöhtes Risiko für Psychosen hinweist, eben dieselbe genetische Disposition ist, die dazu führt, dass wahrscheinlicher Cannabis konsumiert wird. So soll beides die gleiche Ursache haben, nicht aber das eine das andere bedingen. Dennoch bleibt der Wirkstoff THC umstritten. Woran liegt das?

Aktuell kam zudem eine Studie heraus, die auch Tabak mit Psychosen in Verbindung gebracht hat, wenn sich dieser Zusammenfassung bestätigt, wird man auch einige Cannabisstudien hierzu neu bewerten müssen. Die Zusammenhänge zwischen Psychosen und Cannabis sind, wie schon richtig eingeführt, komplex. Und es ist in vielen Studien hierzu nicht möglich, aus gefundenen Korrelationen auch kausale Zusammenhänge abzuleiten. Leider werden dann gerade in der Medienberichterstattung diese Einschränkungen nicht erwähnt. Soweit ich die Studienlage überblicke, gibt es einen gewissen Einfluss von Cannabis auf Psychosen und der THC- & CBD- Gehalt spielt hier vermutlich eine Rolle.

 

 


 

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