von Michael Spreng, 3.9.12
Die Grünen wollen ihre beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl in einer Urwahl der Mitglieder ermitteln. Das ist zwar nicht weltbewegend, aber immerhin macht eine etablierte Partei einmal Ernst mit der Partizipation – ein Wort, das fast alle etablierten Parteien spätestens seit dem Aufstieg der Piratenpartei wie eine Monstranz vor sich her tragen. Aber kaum ernst nehmen.
Bürger- und Mitgliederbeteiligung – still ruht der See bei SPD, CDU/CSU und FDP. Der selbst verkündete Anspruch “Mitmachpartei” ist bisher von keiner etablierten Partei (außer bei der einmaligen Befragung der FDP-Mitglieder in Sachen Euro-Rettungsschirm) mit Leben erfüllt worden.
Die CDU will nicht einmal ihre Delegierten auf dem Bundesparteitag im November alternativ über die Bewerber für den stellvertretenden Vorsitz abstimmen lassen. Deshalb wurde die Zahl schnell von fünf auf sechs erhöht, um jede Kampfabstimmung zu vermeiden.
Und kritische Diskussionen werden im Vorfeld von CDU-Parteitagen regelmäßig erstickt mit sogenannten Regionalkonferenzen, die es in der Parteisatzung gar nicht gibt. Oder mit der Marketing-Kampagne der Kanzlerin unter dem PR-Etikett “Bürgerdialog”.
Ganz trübe sieht es auch bei der SPD aus. Die Sozialdemokraten, die in einem Anfall von Partizipationsmut sogar an Vorwahlen für die Bundestagskandidaten dachten, wollen weder eine Mitgliederabstimmung über den Kanzlerkandidaten noch über das heftig umstrittene Rentenkonzept erlauben.
Vor Tisch, auf dem SPD-Parteitag, sagte Generalsekretärin Andrea Nahles: “Wenn wir von mehr Demokratie in unserer Gesellschaft reden, dann muss es auch in der SPD mehr Demokratie geben”. Heute, nach Tisch, sagt sie auf die Frage nach einem Mitgliederentscheid über die Rentenfrage: “Ich sehe das skeptisch”.
Es könnte ja anders ausgehen, als der große Vorsitzende Sigmar Gabriel und die Parteiführung es wollen. Und das bei einer Partei, deren wirklich großer Vorsitzender Willy Brandt als Kanzler unter dem Motto angetreten war: “Mehr Demokratie wagen”.
SPD und CDU/CSU haben aus dem Aufstieg der Piraten und aus Stuttgart 21 nichts gelernt. Sie bleiben Parteien, deren Programme (und deren Führung) von oben vorgegeben und nicht von den Mitgliedern entwickelt und entschieden werden.
Deshalb tut sich auch nichts in Sachen Internet. Weder gibt es Internet-Mitgliedschaften noch Abstimmungen im Internet. Die Führungsfiguren könnten dadurch ja persönlich und inhaltlich in Frage gestellt werden. Mehr Demokratie gilt nach wie vor als gefährlich – und sie wäre es auch für die Parteiführungen.
Als Placebo führen die etablierten Parteien jetzt eine Scheindiskussion über eine Volksabstimmung über eine künftige EU-Verfassung. Das hört sich gut an und verpflichtet auf absehbare Zeit zu nichts.
Solange sich das nicht ändert, sind die Piraten trotz ihrer chaotischen inneren Zustände weiter notwendig – als tägliche Mahnung, was die etablierten Parteien versäumen.
Crosspost von Sprengsatz