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Wasserfall des Wandels: All together now.

von , 11.9.09

Eigentlich will ich gar keine Revolution. Eigentlich will ich nur meine Ruhe, gute Musik, fröhliche Kinder und ein interessantes Buch. Naja, eine spannende Beziehung, ein bisschen Sonne und Wein sollten auch nicht fehlen. Dann ist aber auch alles gut, das reicht völlig. Ich bin nämlich kein Mensch der die ständige Veränderung schätzt. Ich bekomme aber zunehmend den Eindruck sie schätzt mich. In meiner Branche läuft sie mir hinterher und in der Gesellschaft, in der ich lebe auch.

„Panta rei“ – Alles fließt – sagte man früher. Das klingt nett und meditativ. Alles ist ein Wasserfall – finde ich treffender anhand der Geschwindigkeit des Wandels den ich heute rings um mich sehe. Und mit dieser Geschwindigkeit kommt dann auch die Verantwortung zur Veränderung. Denn wer sich in Umbruchsituationen bewahrend, also konservativ, orientiert handelt grob fahrlässig! Deshalb heißt es für mich immer wieder: „Hallo Veränderung, hier bin ich, schön dass Du auf mich gewartet hast.“

Die Musikindustrie ist auch von Natur aus kein Freund der Veränderung. Sie wollte ihr Geschäftsmodell bewahren. Dank Internet musste der Musikfan seit Ende der Neunziger kein ganzes Album mehr mit 10 bis 12 Songs für 14.99 Euro kaufen. Mit der Langspielplatte haben die Plattenfirmen und ihre Künstler aber seit je her ihr meistes Geld verdient. Die Revolution für den Musik-Konsumenten bestand darin, dass er nun im Web punktgenau das bekommen konnte, was er auch wirklich haben wollte. Wenn ihm nur drei oder vier Songs vom Album gefallen, nimmt er halt nur diese. Ein „Schönhören“ der restlichen Werke – wie in unserer Jugend – ist somit nicht mehr notwendig. Schade für Labels und Interpreten, aber zugleich unabwendbare Realität.

Gibt man dem Konsumenten nicht auf legale Weise das, was er haben will und was zudem technisch möglich ist, dann besorgt er es sich eben anderswo. Ist dieses Anderswo in der Illegalität, wird ihn das kaum moralisch belasten, zumindest solange wie es kein identisches, legales Angebot gibt.

Nun könnte man meinen, ich hätte mich seit 2004 als kleiner Teil der Musikbranche endlich zurücklehnen und meine Kinder, Wein, Musik, Literatur, Sonne und Frau genießen können. In diesem Jahr traute sich die Industrie endlich, progressiv nach vorne zu schauen und lizensierte Apple erstmal ein legales Angebot zum Download und Downburn. Für iTunes und andere machte man die Musik aber schlechter als sie ist, in dem man mit Kopierschutz ihre Nutzbarkeit von den Geräten her stark einschränkte. Obwohl auch das seit Mitte des Jahres zumeist Geschichte ist, ist man im Optimum noch immer nicht angekommen. Musik wird nach wie vor „chartoptimiert“ veröffentlicht. Das heißt man staut den Bedarf auf, lässt erstmal das Radio und MTV die Songs spielen und veröffentlicht dann, wenn der Druck aus dem Markt am größten ist. Dieser Druck führt dann zu schnellen Abverkäufen und diese bedingen hohe Chartpositionen. Leider entlädt sich meist der Druck vorher, aber eben illegal…

Die einen, die sich im Netz die Musik beschaffen wie und wann sie wollen, finden die Musikindustrie nur doof und gierig. Ihnen wird als legales, faires Angebot vorenthalten, was sie wollen und eine „Chartoptimierung“ der Musik die sie lieben klingt für sie wie eine Drohung, nicht wie ein Versprechen. Die Musikindustrie wird hingegen nicht müde, gegen ihre vermeintlichen Kunden in den Medien und bei der Politik als zu verfolgende Rechtsverletzer zu agitieren und Einschränkungen von Bürgerrechten (in Form von Internetsperrungen und Überwachung von Datenflüssen) zur Rettung ihrer Chartmechanik zu fordern. Politik und Künstler wiederum lässt der Konflikt beiden Seiten in der Regel mit entschlossener Ratlosigkeit zurück.

Ein Fanal wie die Absage der Popkomm in diesem Jahr ist die Chance zur Veränderung. Veränderung kann aber nur funktionieren, wenn auch alle Seiten miteinander und nicht übereinander sprechen. Die einen trafen sich in der Vergangenheit auf Veranstaltungen wie der re:publica, die anderen verschanzten sich eben genau auf besagter Popkomm. Zu der Zeit, zu der diese heuer stattfinden sollte, nämlich am 16. und 17. September werden nun unter dem Titel „all2gethernow“ Spitzen aus Politik, Verwertungsgesellschaften, sowie Konsumenten, Labels, Internetunternehmer und Musiker in Berlin zusammen diskutieren, wie die Zukunft der Musikwirtschaft aussehen könnte. Jeder kann für schmales Geld (20 Euro) mitmachen, Kontakte knüpfen und seine Ideen und Meinungen auf Augenhöhe einbringen. Gemäß der Spontanität der Szene, kann man bis zum letzten Moment auflaufen.

Die Ergebnisse dieses Barcamps werden dann am 18. September im Radialsystem in Form einer Konferenz präsentiert. Eingeladen sind dort auch Personen und Firmen die im Musikgeschäft bereits etwas erfolgreich anders machen. Manager von Bertelsmann werden erläutern, wieso der Konzern angefangen hat, Künstlern Geld zu leihen, statt sie fest an eine Plattenfirma zu binden. Jim Griffin wird ein amerikanisches Model vorstellen welches schon heute Studenten ermöglicht, ohne Musiker um ihren Verdienst zu bringen, alle Songs die sie mögen legal zu bekommen. Bands werden aufzeigen wie es ihnen gelang rein über ihre Fans Plattenaufnahmen zu finanzieren; der Marketingchef von Pro7-SAT1 wird darstellen wie und warum sie zukünftig mit Sell-A-Band zusammenarbeiten; der Futurologe Gerd Leonhard begründet wieso Musik wie Wasser ist, die Flatrate der Isle of man wird präsentiert und viele Lösungsansätze mehr…

Popmusik lebt eigentlich von der stetigen Erneuerung, aber die Diskussion über ihre Wertschöpfung war bislang erstaunlicherweise immer rückwärts gewandt. Beide Seiten, egal ob Musikindustrie oder Freigeister aus der Netz-Community, wollten die Schuldigen suchen und den Status quo – die CD hier, das scheinbar völlig kostenfreie Internet da – bewahren. In Berlin, der Stadt der Umbrüche, ist diese konservative Lebenshaltung beider Parteien nicht drin. Wir erleben hier Tag für Tag, das nichts für Ewig und vieles eine ewige Improvisation ist. Bei der “all2gethernow” werden wir eine solch konservative Lebenshaltung schon mal gar nicht durchgehen lassen. Wenn alles gelingt können die drei Tage ein Beispiel sein, wie man in der Veränderung miteinander umgehen kann. Egal ob Finanzmarkt und Energiewirtschaft, es gibt noch viele große Systeme die sich verändern müssen. Der Musikmarkt ist nur der offensichtliche Anfang.

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