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Zuckerbrot und Peitsche: Das Papier der CDU/CSU-Fraktion zum Urheberrecht

von , 14.6.12

Die Tonlage des Papiers ist zunächst äußerst angenehm. Es wird viel von Weiterentwicklung, Modernisierung und Öffnung gesprochen und davon, dass man sich den neuen Bedürfnissen der Verbraucher und den neuen digitalen Verhältnissen auf positive Weise annähern müsse. Aber halten die 15 zur Diskussion gestellten Punkte auch tatsächlich, was die freundliche Tonlage verspricht? Hier meine Einschätzung des Zuckerbrot-und-Peitsche-Papiers:

 

Punkte 1 und 2: Fair Use und Remix

Die CDU/CSU-Fraktion verlangt in Punkt 1 ihres Papiers ein „einfaches“ und „verständliches“ Urheberrecht. Hurrah! Das kennt man ja vom Steuerrecht, das bekanntlich seit Jahrzehnten auf einen Bierdeckel passen soll. Die Forderung nach einem „verständlichen Recht“ nimmt erst mal ein für diese mutige Volkspartei.

Um ihr hohes Ziel der Vereinfachung zu erreichen (warum wohl wurde es nie erreicht?), will die Fraktion nun prüfen, ob man die komplizierten deutschen Schrankenregelungen – die das Exklusiv-Recht der Urheber und Verwerter zugunsten der Allgemeinheit einschränken – nicht besser durch das amerikanische Fair-Use-Modell ersetzen könnte. Doch leider bedeuten Prüfaufträge in der Politik meist: Hochinteressante Idee. Vergrabt sie bitte im nächsten Prüfausschuss!

Berauscht vom eigenen tollkühnen Fair-Use-Vorstoß akzeptiert die CDU/CSU-Fraktion auch gleich die „transformative Werknutzung“ (Remix, Mash-Up) als zulässige Spielart des Umgangs mit Original-Material. Wow!! Wer hätte das von den Konservativen gedacht? Kein Wunder, dass gerade dieser Punkt im Netz überaus positiv kommentiert wird, doch leider bedarf die transformative Werknutzung auch künftig in jedem Einzelfall einer „fairen Abwägung zwischen den Rechten des Urhebers und den Interessen der Allgemeinheit“ – muss also, wie schon Punkt 1, sorgfältig „geprüft“ werden (und könnte bei einer Übertragung in deutsches Recht eine regelrechte Prozesslawine auslösen).

Die angestrebte Amerikanisierung des Urheberrechts, das ist abzusehen, wird im Zuge der Überprüfung durch die Gesamt-Fraktion und die EU-Gremien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an der „Andersartigkeit“ des kontinentalen Urheberrechts scheitern. Insofern sollte man den kraftvollen Auftakt des Papiers nicht überbewerten, sondern eher als schmackhaften Köder (bzw. als Beruhigungsmittel) für die schnell erregbare „Netzgemeinde“ betrachten.

Fazit: Eine für die CDU/CSU erstaunlich weit gehende und ‚liberale’ Forderung. Kost’ ja nix.

 

Punkte 3 und 4: Kopierschutz

Die CDU/CSU-Fraktion möchte „die Reichweite der digitalen Privatkopie“ zugunsten der Verbraucher ausdehnen, den Kopierschutz aber im Kern erhalten. Das heißt, es geht um die Quadratur des Kreises. Wer sich eine Musik-Datei kauft, soll diese auf sämtlichen Endgeräten des eigenen Haushalts (und innerhalb des Familienclans) abspielen können. Den Anbietern von Dateien wird lediglich geraten, die Kunden besser über die begrenzte Reichweite solcher Dateien aufzuklären (um Produktenttäuschungen zu vermeiden).

Die Punkte 3 und 4 laufen dabei unter der liebenswürdigen Überschrift „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist auch Anwalt der Verbraucher“. Es handelt sich wohl um Orwellsches Neusprech, denn in beiden Punkten ist das Papier ganz Anwalt der Industrie. Weder sollen die Kunden ihre gekauften Dateien (etwa E-Books) mit Freunden tauschen noch (wie gebrauchte Bücher oder Platten) weiterverkaufen können.

Fazit: Mogelpackung nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

 

Punkte 5 und 10: Kulturflatrate und kollektive Rechte-Wahrnehmung

Hier haben wir zwei sehr interessante Punkte, weil die CDU/CSU-Fraktion sich mit der Ablehnung der Kulturflatrate indirekt für eine Kulturflatrate ausspricht!!! Hä?? Wie das? Ganz einfach, die Fraktion lehnt pauschale Vergütungsmodelle nur „für die Erstnutzung“ von urheberrechtlich geschützten Inhalten ab, das heißt, sie ist gegen die pauschale Honorierung von Urhebern mittels einer Flatrate, nicht aber gegen die Kulturflatrate, die z.B. die Grünen vertreten. Die ist kein Honorarersatz, sondern eine Abgeltung für so genannte Zweitnutzungen – also eine pauschale Vergütung für die nicht-kommerzielle Privatkopie.

Dass die CDU/CSU-Fraktion solche pauschalen Vergütungsmodelle für Zweitnutzungen nicht rundweg ablehnt, zeigt auch Punkt 10 des Papiers, in dem die Union die – bereits existierende – Leermedienabgabe als wichtigen Bestandteil der Urheber-Vergütung anerkennt.

Entweder, die Netzpolitiker der CDU/CSU haben ihren Fraktionskollegen mit Punkt 5 ein Kuckucksei ins Nest gelegt oder es handelt sich um eine zarte Fühlungnahme mit den Grünen.

Fazit: Ein Lichtblick. Und zusammen mit Punkt 1 der wohl überraschendste Aspekt des ganzen Papiers.

 

Punkte 6 und 7: Open Access und Nutzung verwaister Werke

In Sachen Open Access argumentiert die CDU/CSU-Fraktion ähnlich wie in den Punkten 1 und 2: Allzu komplizierte Schrankenregelungen sollten zugunsten der Allgemeinheit vereinfacht werden. Außerdem sollen die wissenschaftlichen Urheber, die mit Steuermitteln gefördert werden und über ihre Forschungen berichten wollen, aus dem Klammergriff der marktbeherrschenden Wissenschaftsverlage befreit werden. Auch verwaiste Werke will man für die Nutzung durch die Allgemeinheit besser zugänglich machen. In diesen Punkten gibt es eine breite Übereinstimmung mit den anderen Parteien – umso erstaunlicher, dass sich an den unhaltbaren Zuständen bis heute nichts geändert hat. (Wem gehören noch mal die Wissenschaftverlage?)

Fazit: Eine richtige Position. Und eine überfällige Reform.

 

Punkt 8: Urheber-Software

Die CDU/CSU-Fraktion möchte die deutschen Software-Programmierer weiterhin lieber durch das Urheberrecht „schützen“ lassen und nicht – wie von der EU-Kommission seit Jahren angestrebt – durch das Patentrecht. Da das Urhebervertragsrecht aber die notorische Schwachstelle des Urheberrechts ist, nützt diese Regelung in der Praxis weniger dem abhängigen Programmierer als den Software-Firmen (denn es macht sie flexibler und schützt sie vor langwierigen, unerwarteten und teuren Patentstreitigkeiten). Hier wird erneut der Schutz der Urheber vorgeschoben, während es im Kern um den Schutz der heimischen mittelständischen Industrie geht. Das ist nicht unehrenhaft, aber man sollte es wenigstens sagen.

Fazit: Mogelpackung.

 

Punkt 9: Leistungsschutzrecht

An dieser Stelle folgt jene Bekenntnis-Automatik zum Leistungsschutzrecht (LSR), die in keinem Papier der schwarz-gelben Regierungsfraktionen derzeit fehlen darf. Allerdings sind die Abgeordneten inzwischen so weit geläutert, dass sie das LSR wegen des massiven Widerstands nur noch pflichtschuldig als „eng begrenztes“ Recht fordern. „Privatpersonen, ehrenamtlich organisierte Vereine und Blogger ohne Gewinnerzielungsabsicht“ sollen von der Lizenzabgabe nicht betroffen sein. Unklar bleibt, ob sich das geheimnisumwitterte Gesetz tatsächlich auf eine Lex Google/Lex Facebook beschränken lässt. Insbesondere der weit auslegbare Begriff der „Gewinnerzielungsabsicht“ könnte für manchen Webseiten-Betreiber zu einer Abmahnfalle werden.

Fazit: Wolf im Schafspelz.

 

Punkte 11 bis 15: Rechtsdurchsetzung im Internet

Der breite Raum, den diese Thematik im Fraktions-Papier einnimmt, zeigt mit übergroßer Deutlichkeit, worum es den Konservativen eigentlich geht. Nachdem man der Netzgemeinde in den ersten Punkten gehörig Honig ums Maul geschmiert hat, geht es im letzten Drittel des Papiers erst richtig zur Sache: Die Privatwirtschaft in Gestalt der Provider soll künftig in enger Zusammenarbeit mit dem Staat dafür sorgen, dass Urheberrechtsverletzungen zivil- und strafrechtlich lückenlos verfolgt werden können. Dazu gehören die anlasslose Vorratsdatenspeicherung (die eh schon existiert, wie die CDU/CSU in ihrem Papier freimütig eingesteht), die internationale Zusammenarbeit der „Behörden“ (nach Maßgabe von Acta, Sopa, Ipred etc.), die Nichtdeckelung der Streitwerte in Abmahn-Verfahren, die ‚Aufwertung’ der neutralen Dienstleister (Provider) zu Hilfssheriffs der Rechteinhaber bzw. zu selbst-verantwortlichen Inhalte-Anbietern und die umfassende Kontrolle der Daten per Deep-Packet-Inspection – welche man als generelle Maßnahme scheinheilig „ablehnt“, de facto aber braucht, wenn man das Instrument der Warnhinweise (Two Strikes) aus tiefstem Herzen befürwortet (sonst könnte man ja nicht, wie gewünscht, gezielte Warnungen verschicken!).

Natürlich läuft das gewünschte Sanktions-Regime der Rechtsdurchsetzung nicht unter dem Stichwort „Strafe muss sein“, sondern unter dem herzigen Stichwort „Verbraucherschutz“. Der Verbraucher wird nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion nämlich am besten dadurch geschützt, dass man ihm seine Grenzen aufzeigt.

Fazit: Katze aus dem Sack!

 

Lesen Sie auch die Beiträge zu den Urheberrechts-Positionen der Piraten, der Grünen und der SPD.

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