von Frank Stauss, 5.8.15
James Carville, der begnadete Campaigner der US Demokraten und Mastermind der Clinton/Gore-Kampagnen, veröffentlichte einmal ein schönes Buch unter dem Titel „We’re right, they’re wrong“, in dem er historische und aktuelle innenpolitische Positionen der Republikaner mit denen der Demokraten verglich. Das überraschungsfreie Ergebnis: Die Demokraten hatten immer Recht und die Republikaner Unrecht.
Egal ob es um die Einführung einer sozialen Mindestsicherung unter Roosevelt, der Abschaffung der Südstaaten-Apartheid unter Johnson, dem Beginn einer neuen Energiepolitik unter Carter, um Frauenrechte, die Gleichstellung Homosexueller, eine investitionsorientierte Wirtschaftspolitik vs. Trickle-Down-Economics und so weiter und so fort ging – am Ende kam es immer so, wie die Demokraten es gefordert haben. Nur hat es manchmal unglaublich lange gedauert und immer wieder gab es Rückschläge und Zeiten der republikanischen Reaktion, in denen die Uhr mal wieder ein paar Stunden zurückgestellt wurde. Wie es sich für das Buch eines Wahlkämpfers gehört, war es frei von überflüssigem Objektivitätsgeschwurbel und grauzonigem Abwägegewäsch.
Wenn ich die großen Debatten der Gegenwart betrachte, stimmt die Aufteilung in richtig und falsch bei uns in Deutschland nicht weniger als in den USA. Unser Land könnte schon wesentlich weiter sein und hätte auch einige bedeutende Probleme weniger, wenn ihm nicht ständig ein Bremsklotz namens CDU/CSU am Bein hinge. Es ist sicher nicht ganz falsch, zu erwähnen, dass dieser Bremsklotz ja immer wieder gewählt wird. Aber das tut jetzt hier nichts zur Sache. Es geht nicht um Taktik, sondern um richtig oder falsch.
Richtig ist: Jahrzehntelang hat die Union gegen ein Einwanderungsgesetz polemisiert, die Doppelte Staatsbürgerschaft torpediert, die grobschlächtigsten Wahlkämpfe gegen Einwanderung („Kinder statt Inder“) organisiert und im Bundesrat blockiert – nur damit die Parteivorsitzende im Urlaub jüngst auf den Einkaufszettel schaut und feststellt: „Mensch, doof, jetzt haben wir das Einwanderungsgesetz ganz verdaddelt.“ Ja, liebe Union, es wäre schon echt supi, wenn wir das schon hätten, denn dann müssten wir jetzt nicht mitten in der größten Einwanderungswelle anfangen, daran zu arbeiten. Mit all den Risiken und Nebenwirkungen der Ewiggestrigen aus der CDU-Fraktion.
Da tönt es dann: „Das brauchen wir doch gar nicht, das haben wir doch schon alles irgendwo irgendwie geregelt.“ Klaro. Hier ein Beispiel, wie großartig das geregelt ist: Im Augenblick kann nur problemlos nach Deutschland einwandern, wer ein Arbeitsplatzangebot nachweist, das ein Einkommen von mindestens 47.600 EURO im Jahr garantiert. Oder 3.966 EUR brutto im Monat. Das ist natürlich viel zu viel – auch für manche Fachkräfte. Zu viel ist es aber ganz besonders für diejenigen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Genau die brauchen wir aber. Denn uns fehlen ja junge, arbeitswillige, engagierte Leute, die auch noch eine Familie gründen wollen und einmal genug in unsere Sozialsysteme einzahlen, damit davon später die Rente von den nichtsnutzigen sächsischen Rüpelfaschos finanziert werden kann. Also: geregelt ist vieles, aber leider falsch. Heute gibt es eine breite Front von konservativen Arbeitgebern bis linken Aktivisten für ein Einwanderungsgesetz – haben könnten wir es schon längst. Wenn, ja wenn, CDU/CSU führen würden, statt so lange rumzueiern bis der letzte Mostkopp die Zeichen der Zeit erkennt. Zeitverlust: Mindestens 10 Jahre.
Gut, das war jetzt etwas lange, daher kürzer weiter im Text:
Energiewende: Rot/Grün organisiert den Atomausstieg, Schwarz-Gelb dreht die Uhr zurück. Bum-zack explodiert ein Kernkraftwerk in Japan und es kommt die überhastete und in schlampiger Hektik verabschiedete Doppel-Volte. Wir wären schon weiter und unsere Energieunternehmen nicht in solchen Schwierigkeiten, wenn man den von Rot/Grün ausgehandelten Ausstieg einfach anerkannt hätte. Obendrauf kommen auch noch 2-3 Seehofersche Zickenbaustellen um Stromtrassen linksrum, rechtsrum, obenrum oder untendurch. Zeitverlust: Mindestens 5 Jahre.
Frauenquote, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern: Hin und her seit 20 Jahren, am Ende findet man in der CDU 2009 noch die einzige junge Frau, die bereit ist, aktiv gegen die Interessen junger Frauen zu arbeiten und macht sie unter Schwarz/Gelb zur Anti-Frauenministerin. Zeitverlust: Mindestens 10 Jahre.
Gleichstellung Homosexueller, oder vulgo: Homoehe: Das einst fortschrittliche Deutschland lässt sich von Irland, Argentinien, Uruguay, den USA und sonst so ziemlich der gesamten westlichen Welt überholen. Doch die Bremsklotz-Union kassiert lieber eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht nach der anderen. So kommen die Menschen irgendwann doch noch zu ihrem Recht. Nur eben unter größtmöglichen Schmerzen für alle – einschließlich der CDU, die es in Berlin durch akute Führungsschwäche auch noch geschafft hat, ihr Mäandern in der peinlichsten Mitgliederbefragung der Weltgeschichte zu manifestieren. Hier gab es, wenn ich es recht erinnere, sieben (7!) Antwortmöglichkeiten auf die eine Frage: Sind Sie schwul? 1. Sehr. 2. Meistens. 3. Nur mit Männern. 4. Wir sind nur gute Freunde 5.Unter der Bettdecke, wenn das Licht aus ist. 6. Wenn ich damit Regierender Bürgermeister werde, gerne. 7. Im Beichtstuhl. Zeitverlust: Mindestens 7 Jahre.
Kitaplätze, Ganztagsschulen: Was für ein ewiger Krampf der Union. Mit härtesten Bandagen über Jahrzehnte in den Bundesländern ausgetragen. Arbeitende Mütter = Rabenmütter, Ganztagsschulen = Abschiebehöfe. Kein Argument zu blöde, kein Vorurteil zu dämlich. Darunter leiden viele Familien in den Ländern, die von der Union regiert wurden, heute noch. Und in Bayern suchen sie immer noch den Ausgang aus dem Gestern. Zeitverlust: Mindestens 20 Jahre.
Turbo-Abi und Turbo-Uni. Wahrscheinlich eine der dümmsten Ideen der Welt mitten im demographischen Wandel. Man weiß, dass die Kids von heute später einmal viel fitter sein werden und vermutlich auch länger arbeiten, klaut ihnen aber noch ein Jahr Jugend und schaufelt dafür Turbo-Teenage-Akademiker auf den Arbeitsmarkt. Sinn: Keiner. Unruhe: Massiv. Zeitverlust: Unermesslich, wie viel Zeit und Stress in diesen Quatsch investiert wurde.
Mindestlohn. Ein ewiger Kampf, ein ewiger Krampf. Dann ist er endlich da und die letzten Bremser der Union führen immer noch unnötige Rückzugsgefechte. Nervfaktor: Enorm. Und immer wieder tut sich die Union schwer damit, auch nur irgend etwas in Richtung sozialer Gerechtigkeit und Arbeitnehmerrechte zu unternehmen. Alles wird torpediert, nichts passt, alles geht angeblich auf Kosten der Wirtschaft, der Bauern, vor allem aber der alten grantigen Männer. Zeitverlust: Mindestens 5 Jahre.
Das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Katalog der verpatzten Chancen, hervorgerufen durch meinen ärztlichen Fernbefund der Union: Akute Reaktionitis. Wenn sich in dieser Bundesregierung überhaupt etwas bewegt, dann ist dies alleine den Initiativen des Koalitionspartners zu verdanken oder es handelt sich noch um eine Spätfolge der Rot/Grünen Regierungsjahre, in denen der Reformstau von 16 Jahren CDU/CSU aufgearbeitet werden musste.
Es wird Zeit, der Union endlich ihren verdienten Platz als Halbtagsfossil im Heimatmuseum zuzuweisen, statt sie weiter als Vollzeit-Bremsklotz nutzlos im Weg stehen zu lassen. Ich weiß, es sind noch zwei Jahre, aber es ist Sommer, es ist heiß, die Leine ist zu kurz und das Halsband scheuert… We’re right, they’re wrong. Now let me off the leash!
Der Text ist auch erschienen auf frank-stauss.de
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