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Zahlenspiele schöngerechnet: Plädoyer für ein neues Selbstverständnis der Musikindustrie

von , 19.4.10

Mit der Wahrheit lebt es sich leichter und entspannter. Der Vorstandsvorsitzende Harald Heker hatte ein Lächeln auf dem Gesicht, als er die Geschäftszahlen der GEMA für das Jahr 2009 präsentierte. Um 2,2 Prozent sind sie gestiegen, von 831 auf 841 Millionen. Eilig wurde hinterher geschoben woran das liegt: Man hat sich mit den Kabelnetzbetreibern über eine Rückvergütung von 60,6 Millionen geeinigt und deshalb einen Einmaleffekt in der Bilanz. Bereinigt um diesen geht es auch für die Autoren und Textdichter weiter abwärts, wie die Verwertungsgesellschaft betont. Ohne die Millionen-Überweisung wären es fast 7 Prozent weniger als im Vorjahr gewesen.

Völlig anders zuvor bei der Pressekonferenz des Bundesverbandes Musikindustrie. Angespannt und angriffslustig tritt deren Geschäftsführer Stefan Michalk vor die Medienvertreter. Dass er ein Mensch ist, der auch eher zum Lachen denn zum Greinen neigt, davon merkt man nichts mehr, sagt später ein Teilnehmer. Dabei will er gute Nachrichten verkünden. Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff: die Musikindustrie hat sich im Krisenjahr 2009 gut behauptet, der Gesamtumsatz betrage jetzt 1,803 Milliarden und mehr als ein Drittel davon kommt aus dem Internet. Die Branche hat’s geschafft, 2011 gibt’s dann einen richtigen Turnaround.

Wer die Zahlen kennt, staunt. Im Vorjahr sprach man noch von 1,582 Milliarden Umsatz und dabei stammten nur 6 Prozet aus Downloads von Songs und Alben. Zur rasanten Entwicklung kommt es aber leider nicht ob der Entwicklung des Marktes, sondern ob der eigenwilligen Verdichtung der Zahlen: Ähnlich wie plötzlich ab 2004 DVDs in den Umsatz der Musikindustrie eingerechnet wurden, um zu verschleiern, dass deren Kernumsatz sich binnen 5 Jahren halbiert hatte, kommen nun plötzlich Erlöse aus Merchandise, Management, Aufführung und Lizenzgeschäften hinzu. Wenn Michalk sich über die Entwicklung im Internet freut, dann deshalb, weil man plötzlich jede Interaktion – also auch die bei Amazon und Co gekauften Platten – zu einer Zahl verdichtet und mit Downloads gleichsetzt.

Mit der Wirklichkeit hat das leider nichts zu tun: Das Geschäft ist weiterhin rückläufig (aktuell minus 3,3 Prozent auf 1,530 Millionen Musikumsatz inklusive DVDs und Klingeltönen), der Downloadmarkt deutlich unterentwickelt (8 Prozent ohne Klingeltöne, aber Streams und Abos inklusive). Ein Grund dafür könnten die Preise sein. Der Verband wehrt sich auch gegen dieses Argument. Seit Einführung der CD sei deren Preis eher rückläufig, so die ofizielle Position. Stolz verweist man auf einen Anstieg der verkauften Stückzahlen im letzten Jahr (145,1 Millionen auf 147,3 Millionen). Man vergisst aber zu erwähnen, dass der Umsatz der CDs zugleich um 6 Prozent gesunken ist. Steigende Stückzahlen, bei geringerem Umsatz = Preisverfall.

Wieso schlägt Michalk all diese merkwürdigen Volten während Heker souverän sagt was Sache ist? Die Antwort liegt darin begründet, dass der Kollege von der GEMA die sehr viel komfortablere Ausgangsposition hat. Während er und seine Verwertungsgesellschaft auf einem Vergütungsmodell basieren, welches sich naturgemäß aus den unterschiedlichsten Quellen speist, muss Michalk einen Verband erklären, der sein angestammtes Geschäftsmodell, den Verkauf von Tonträgern, zu verlieren droht. Michalks Mitgliedsfirmen im Bundesverband Musikindustrie (vorrangig die Majors) müssen sich vorwerfen lassen, dass sie als Produzenten den Markt gestalten, während die Verwertungsgesellschaft mit Gebühren nur auf diesen reagieren kann.

Stefan Michalk muss einen Mangel an Konsequenz seiner Mitgliedsfirmen ausbaden. Entweder begreifen diese sich nicht mehr als Tonträgerunternehmen und wandeln ihren Verband durch Öffnung deshalb unter Einschluss von Merchandisern, Konzertveranstalter und Musikverleger wirklich zu einer Vertretung der gesamten Musikindustrie, oder die großen Labels bleiben wie bisher unter sich und zeigen als Verband ihren Kernmarkt: Den Umsatz mit Pre-recorded Music. Beides würde aber zu einem Verlust des Gewichts der Majors führen. Einen Gesamtverband würden sie nicht mehr dominieren, eine Konzentration auf den Kernmarkt ihr Dilemma in der Wahrnehmung forcieren. Eine Mischung aus beiden ist jedoch unlogisch und unklar. Verbände bilden gemeinhin Märkte ab, aber nicht die Umsatzentwicklung ihrer Mitgliedsfirmen.

Dem Markt würde sowohl der eine, als auch der andere Weg gut tun. Begreifen sich die Majors als einfacher Bestandteil eines großen Gesamtmarktes, könnten sie eher offen sein für Lösungen, die jenseits angestammter Vergütungsmodelle liegen. Konzentrierten sie sich hingegen auf den Teilmarkt, würde man dessen Entwicklung durch Preis (CD) und Angebot (Download) weit aggressiver steuern. Die Logik des halben Umbruchs erschließt sich nicht, macht zudem die vorgetragenen Zahlen schwächer und die Argumentationsgrundlage der Produzenten wackelig. Ein neues, konsequentes Selbstverständnis als Marktteilnehmer in dem einen oder dem anderen Sinne wäre wünschenswert und könnte dazu führen, dass nicht nur Heker, sondern auch Michalk wieder lächeln kann.

Dieser Text von Tim Renner erscheint auch im Motorblog.

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