#BBC

Wolfgang Blau geht nach London – schnief

von , 17.10.12

Ein Satz im „Abschieds-Interview“ von Zeit Online-Chefredakteur Wolfgang Blau (er geht im April zum Londoner Guardian) ist mir im Gedächtnis geblieben:

„Im Lauf der Jahre ist mir aber deutlich geworden, dass ich mich jeden Tag fast ausschließlich im englischen Sprachraum bewege, wenn es um Diskussionen über neue Methoden, Werkzeuge und Geschäftsmodelle im Online-Journalismus geht.“

Klarer kann man nicht ausdrücken, woran es dem etablierten Journalismus hierzulande mangelt: an Wagemut und Neugier. Die deutschen Print-Chefredakteure und ihre Verlage verlassen sich auch 2012 auf die vermeintlichen Stärken ihrer Papier-Wagenburgen und empfinden das Internet unverändert als feindliche Konkurrenz aus der Gosse. Das kann einem auf die Dauer die Laune verderben.

Die deutschen Presseverlage schauen in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht, was sie im Online-Journalismus verbessern könnten (um den Journalismus als solchen zu verbessern), sie überspringen einfach den lästigen Journalismus und konzentrieren sich gleich auf die großen Plattformen von Apple, Google, Facebook, Ebay, Twitter, Yahoo & Co. Es ist kein Zufall, dass die guten Journalisten nach London gehen, zu BBC, Guardian und Economist, um dort etwas über den Journalismus der Zukunft zu lernen, während Kai Diekmann ins Silicon Valley reist, um die lukrativsten Verkaufsplattformen zu studieren. So verschieden können die Prioritäten in derselben Branche sein.

Nun weiß man vom Journalismus der San Jose Mercury News (der führenden Zeitung im Silicon Valley) nicht allzu viel Aufregendes zu berichten – denn die Entwicklung des Online-Journalismus spielt sich vor allem in London und New York ab: Storytelling, Datenjournalismus, Lokaljournalismus, Videojournalismus, Crowdfunding-Journalismus, Guerillajournalismus, Teamjournalismus, Bürgerjournalismus, Netzwerkjournalismus – all das wird in den beiden Vorzeige-Labors intensiv erforscht, ausprobiert, gelehrt.

Wo in Deutschland gibt es etwas Vergleichbares? Sicher, es existieren einige zarte Ansätze an Journalistenschulen – aber wohin sollen deren Absolventen anschließend gehen? In den deutschen Print-Redaktionen und in den deutschen Fernsehstudios wird das Internet selbst im Jahr 2012 noch immer so betrachtet wie im Bildungs-Bürgertum die Unterschicht: abschätzig.

Es gibt bei uns keine „Online-Professoren“ mit einer ähnlich starken öffentlichen Wirkung wie sie den „Stars“ der New York University, der City University of New York oder der Columbia University zueigen ist. Es gibt keine Stiftungen von Rang und keine Elite-Unis, die sich für Online-Journalismus begeistern wie die Nieman Foundation oder die Knight Foundation. Es gibt keine Online-Verleger vom Schlage einer Arianna Huffington oder eines Robert Allbritton (Politico). Es gibt keine Pulitzer- und keine Nannen-Preise für Online-Reporter. Es gibt auch keine Vorzeige-Onlinejournalisten, die eine besondere Autorität in der Branche genießen würden oder sonstwie Gewicht hätten: in der Netz-Szene, in den Preisjurys, unter den Talkshow-Moderatoren, in den Journalistenschulen. Es gibt keinen Online-Scholl-Latour, keinen Online-Hanns-Joachim Friedrichs, keine Online-Anne-Will – keinen Alan Rusbridger und keinen Nick Davies. Deshalb müssen sie alle seit Jahren immer wieder auf den arg strapazierten Stefan Niggemeier zurückgreifen – he’s the one and only.

Und nun geht ausgerechnet der, der als Chef, Journalist, Ermutiger und Vordenker des Gewerbes über das denkbar beste Standing in der deutschen Onlinejournalismus-Welt verfügte. Nun geht Wolfgang Blau. Zurück bleibt eine tief traurige Online-Provinz mit ihren kleinen, aber zähen (und bisweilen humorvollen) Kämpfen zu Leistungsschutzrecht und Promotionsplagiaten.

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