von Matthias Schwenk, 22.10.10
“Ich weiß nicht, was ein Android-Handy ist und die Verlage wissen es auch nicht”, könnte man in ungefährer Anlehnung an Microsoft-Chef Steve Ballmer sagen, der sich im Gespräch mit Capital optimistisch zu Windows Phone 7, Microsofts neuem Betriebssystem für Smartphones, und etwas abfällig gegenüber Google Android äußerte.
Tatsächlich lassen deutsche Verlage den Android Market bislang ganz überwiegend links liegen: Wer dort in der Rubrik “News und Wetter” nach deutschsprachigen Medien-Apps sucht, findet außer den Applikationen von nachrichten.de, n-tv Nachrichten und stern.de so gut wie nichts.
Ganz anders dagegen der App Store von Apple: In der Kategorie “Nachrichten” finden sich schon etliche deutsche Medien-Apps, darunter brandeins, Capital, Frankfurter Rundschau, GEO, Handelsblatt, Spiegel, Welt und Zeit Online. Dazu kommen Kiosk-Formate wie pubbles (aus dem Hause Bertelsmann).
Die starke Präferenz der Verlage zugunsten von Apple kommt nicht überraschend. Apple hat es verstanden, sowohl das iPhone als auch das iPad sehr geschickt zu inszenieren und dabei stets sowohl die Rolle der Applikationen als auch ihre beeindruckende Gesamtzahl zu betonen: Im Oktober 2010 wurde die Marke von 300.000 überschritten. Dazu kommt, dass Apple mit diesen Geräten zum Marktführer jeweils neu geschaffener Marktsegmente wurde, denen der Wettbewerb lange wenig bis nichts entgegen zu setzen hatte.
Genau das aber ändert sich jetzt. Google konnte mit seinem Betriebssystem Android und den ersten dafür erhältlichen Smartphones zwar nicht auf Anhieb mit dem iPhone gleichziehen, hat in diesem Jahr aber deutlich aufgeholt. In amerikanischen Tech-Medien läuft derzeit eine Diskussion darüber, ob Smartphones auf Android-Basis inzwischen besser verkauft werden als iPhones. Sogar Steve Jobs sah sich vor wenigen Tagen genötigt, persönlich in diese Debatte einzugreifen und zu betonen, dass nach wie vor täglich mehr “iOS-Devices” registriert würden als Android-Geräte.
Die Prognosen der Marktforscher sehen Google vorn, zumindest auf längere Sicht: Sowohl Gartner als auch IDC prognostizieren für Android den größeren Marktanteil (gegenüber iOS von Apple) bis 2012 bzw. 2014.
Auf dem Teilmarkt für Tablets dürfte es ähnlich ablaufen: Tablets mit Android folgen dem iPad zwar mit erheblicher Verzögerung auf den Markt, können längerfristig vermutlich aber mit der größeren Vielfalt bei der Hardware sowie einem breiteren Preisspektrum, vor allem nach unten, punkten. In Deutschland ist seit kurzem das Samsung Galaxy Tab als erstes Android-Tablet im Handel, 2011 werden weitere Geräte von verschiedenen Herstellern folgen.
Verlage sollten sich deshalb damit auseinandersetzen, dass auch in Deutschland ab 2012 der Marktanteil von Android sowohl bei den Smartphones als auch bei Tablets größer sein könnte als derjenige der iOS-Geräte von Apple. Spätestens dann wird man sich mit Google anfreunden müssen und in diesem Unternehmen nicht mehr nur das willkommene Feindbild für Zeitungen und andere Druckerzeugnisse sehen können.
Zu langes Warten könnte aber auch ein Fehler in anderer Hinsicht sein: In den USA ringt man schon heute um Entwickler, die Applikationen für eine der populären App-Plattformen programmieren können. Dieser Markt ist mit Talenten knapp besetzt, weil es ihn praktisch erst seit 3 Jahren gibt und kaum jemand sein rasantes Wachstum vorhergesehen hat.
Schließlich wäre noch daran zu denken, wie Medien-Applikationen eigentlich konzipiert sein sollten. Die starren, gerätegebundenen Apps der meisten Verlage sind nicht das Gelbe vom Ei. Amazon zeigt, wie es besser geht: Den Kindle gibt es sowohl als eigenständige Hardware, als auch als Applikation für iOS und Android. Wer damit bei Amazon Inhalte kauft, kann diese sowohl auf einem iPad als auch auf einem Android-Smartphone lesen, je nachdem welches Gerät man gerade zur Hand hat. Wer als Leser dagegen heute sein Geld in eine herkömmliche Medien-App investiert, muss damit rechnen, sein Archiv zu verlieren, wenn er später auf ein neues Gerät mit einem anderen Betriebssystem wechseln will.
Es bleibt also noch viel zu tun und weder sollten deutsche Verlage dabei Steve Jobs, noch Steve Ballmer allzu viel Gehör schenken.