#Gruner & Jahr

Der langsame Tod der Wirtschaftspresse bei Gruner & Jahr

von , 21.11.08

Nun ist es also amtlich: der Bankrott der Wirtschaftspresse bei Gruner & Jahr. Ein langsamer Tod. Ein vorhersehbarer Tod. Aber bestimmt kein unausweichlicher!

Ein bis dato jedoch inakzeptabler Tod für die Manager, die mit vollmundigen Versprechungen und den Taschen voller Boni-Träume den Konzernherren im realitätsfernen Gütersloh so einiges in der Vergangenheit verkaufen konnten. ‘Expand your Brand’ zum Beispiel.

“Gruner + Jahr steht unverändert für unabhängigen Qualitätsjournalismus” tönte es noch Anfang 2008 aus dem Geschäftsbericht 07 (Download als .pdf). Mit der grünen ‘Originalstimme’ des großen Vorstandsvorsitzenden Dr. Bernd Kundrun.

Bkundrun
Image courtesy of G+J Geschäftsbericht
Nun, da es plakativ auf der letzten Doppelseite prangte, war es vielleicht nicht ganz so ernst gemeint, wie es sich mancher Journalist heute wünschen würde. Denn dieses Signal des radikalen Kahlschlags wird Dämme brechen lassen auch in anderen Verlagen, diese Finanzkrise auch zu zweckentfremden, auszunutzen und längst Überfälliges abzuholzen, die Axt im Walde zu spielen, ‘endlich Tabula Rasa zu machen’.

Gründe gibt es genug für diesen Niedergang: in Kompetenz, wirtschaftlichem Erfolg und Kreativität. Das betrifft Gruner + Jahrs Wirtschaftspresse sowie Park Avenue.

Entscheidungsverschleppung

Titel wie Park Avenue brauchen nicht 6 Chancen und 3 Chefs. Sie brauchen eine relevante Strategie und mutige Manager, die schnelle Entscheidungen auch gegen einen Titel und gegen den Schutz der Verlagsleitung treffen können.

Unbekümmertheit

‘Es wird schon wieder’ – was übrigens vom intellektuellen Anspruch auf dem Niveau der Umsetzung von ‘Expand your Brand’ liegt – reicht nicht, um eine der größten Umwälzungen der Geschichte des (Print-) Journalismus zu überleben. ‘Es wird schon wieder’ könnte sogar die verlagsinterne Übersetzung von ‘Expand your Brand’ sein, wenn ich mir die Ergebnisse der Initiative im Durchschnitt ansehe.

Die Wirtschaftspresse hatte allen Grund sich bereits nach der ersten Dotcom-Blase neu zu erfinden. Wer damals keinen Grund sah, dem ist auch heute nicht zu helfen. Die heutigen Entscheidungen haben eine lange Historie.

Arroganz

Uns gibt es schon so lange, wir waren immer erfolgreich, wir sind noch aus jeder Krise gestärkt und erfolgreich hervorgegangen. Berühmte letzte Worte. Allein, diese können die Gründer sprechen, oder die Bertelsmänner, nicht aber irgendwelche angestellten Manager, die jeden unternehmerischen Geist vermissen lassen und sich lieber in Hochglanzbroschüren wie dem Geschäftsbericht selbst Mut zusprechen.
Hier wurde verwaltet und nicht gestaltet, hier wurden aus Selbstüberschätzung die Chancen verhindert, die man gehabt hätte, hätte man Ideen gehabt.

Ideenlosigkeit

Dem Internet und seinen Umwälzungen ist nicht mit blumigen Worten beizukommen, schon gar nicht mit alten, hanseatischen Herrschaften, die anscheinend nur repräsentieren, nicht aber innovieren können.
Sprüchen wie “Wir wollen unsere Medienmarken überall und jederzeit erlebbar machen” (1. Doppelseite des Geschäftsberichtes) von Herrn Dr. Bernd Kundrun dürfen dann eben nicht solche Taten folgen:

Capital bietet in  den Zeiten des Internet einen Telefonservice (der vergleichsweise richtig Geld kostet), statt ein Online-Forum einzurichten, damit eine offene Diskussion zu starten, eine Community (igitt!) aufzubauen, Leser zu beteiligen und zu Multiplikatoren, statt zu Callcenter-Opfern zu machen.

Impulse bietet ein spannendes Bundesliga-Tippspiel statt wirtschaftlicher Impulse. Boulevard statt Wirtschaftskompetenz!

Auch die ‘Offenheit’ der Debatte in der FTD muss man selbst gesehen haben. Symptome, klar, aber eindeutige!

Da gibt es nichts zu erleben, kein Wunder, dass diese Titel in den heutigen, interaktiven Zeiten schwächeln – und nun zu Tode gespart wurden. Vom Qualitäts-Content ganz zu schweigen.

Natürlich muss aus diesen Initiativen (oder besser verpassten Initiativen) am Ende die Erfolglosigkeit resultieren. Hätte man Jahre zuvor die richtigen Schlüsse bei den Wirtschaftstiteln gezogen (Brand Eins hat es ja auch geschafft), hätte man Menschen eingestellt oder auf die gehört, die das Internet und seinen Einfluß verstanden haben, würde die Situation heute eine andere sein.

Qualität, Wandel und Missionen wie ‘Expand your Brand’ dürfen keine Lippenbekenntnisse sein. Sie müssen gelebt und ständig vervollkommnet, ständig mit neuem Leben gefüllt werden. Man kann sich nicht auf organisierte Berater verlassen, denn die sind ihren Kunden keinen Deut voraus, man braucht keine Rechenschieber, sondern kreative Macher. Menschen mit Mut und Ideen in den Chefetagen. Keine Frühstücksdirektoren, sondern konstruktive Zerstörer. Heute finden wir dort nur reine Zerstörer – von Ideen, Chancen, Zukünften.

Expand your Brand wurde wahr und zwar … till the end!

Und das Allertraurigste: Lernen wird trotzdem niemand etwas daraus.
Wer mehr wissen möchte:
> faz.net: “Ein ganz harter Schnitt”.
> spiegel.de: “Aus für Park Avenue, weiterer Stellenabbau”.
> süddeutsche.de: “Dark Avenue”.
> indiskretion ehrensache: “Ein trauriger Tag für den deutschen Journalismus”.
> horizont: “G+J stellt „Park Avenue” ein / 23 Mitarbeiter müssen gehen”.

Ralf Schwartz betreibt die mediaclinique, in der auch dieser Text erschien.

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