von Christian Humborg, 4.10.12
Netzpolitik.org hat sich vorgewagt. Am Montag wurde das Gutachten „Rechtsfragen im Kontext der Abgeordnetenkorruption“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages veröffentlicht. Das Gutachten wurde bereits 2008 erstellt und zeigt sehr deutlich auf, dass die bestehenden Regeln gegen Abgeordnetenkorruption unzureichend und international peinlich sind. Andre Meister zitiert in seinem Beitrag den Bundesgerichtshof, der sagte, dass die deutschen Gesetze zur Abgeordnetenbestechung praktisch bedeutungslose symbolische Gesetzgebung sind und dringend verschärft werden müssen.
Die Vorgeschichte der Veröffentlichung ist lang. Nach einer Spiegelmeldung im Dezember 2008 hatte ich im April 2009 auf diesem Blog meinen ersten Beitrag überhaupt veröffentlicht, und zwar genau zu diesem Gutachten. Dann passierte lang nichts. Im Januar dieses Jahres stellte Stefan Wehrmeyer eine IFG-Anfrage über fragdenstaat.de zum Gutachten. Als er das Gutachten erhielt, aber nicht veröffentlichen durfte, schuf er eine One-Click-Option, mit der jeder Bürger das Gutachten für sich anfordern konnte. Hunderte nutzten die Funktion. Stets hieß es in den jeweiligen Schreiben der Bundestagsverwaltung, man dürfe das Gutachten nicht veröffentlichen, aus urheberrechtlichen Gründen.
Das Urheberrecht wird zu einem neu entdeckten Instrument, um unliebsame Veröffentlichungen zu erschweren. Erst vor kurzem erhielt das Handelsblatt eine einstweilige Verfügung des Versicherungskonzerns Ergo, als man den Revisionsbericht zum sogenannten Lustreisenskandal veröffentlicht hatte. Als Begründung wurde die Verletzung des Urheberrechts angegeben. Das Handelsblatt führt hingegen an, urheberrechtliche Ansprüche müssten im Lichte der Pressefreiheit ausgelegt werden.
Zur Stunde prüft wahrscheinlich die Bundestagsverwaltung, ob und wie man gegen Markus Beckedahl, den Herausgeber von netzpolitik.org, vorgeht. Im Schreiben sind mögliche strafrechtliche und zivilrechtliche Schritte angedroht. Unternimmt sie rechtliche Schritte wegen urheberrechtlicher Verletzung, wird die Debatte um Abgeordnetenkorruption und Veröffentlichung von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes weiter hoch kochen.
Vermutlich wird es aber vor dem 17. Oktober zu keinen rechtlichen Schritten kommen, denn an dem Tag steht ein wichtiger Termin zum Thema des Gutachtens an. Im Rechtsausschuss des Bundestages findet an diesem Mittwoch von 14 bis 17 Uhr eine Expertenanhörung zum Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung statt. Noch ist unklar, ob der Anhörung per Livestream gefolgt werden kann. Vermutlich nicht.