#AfD

Von wegen alter weißer Mann. WIR sind schuldig.

von , 15.11.16

Anders gesagt: Wir verweigern uns zunehmend dem Dialog mit Andersdenkenden, ziehen uns in unsere urbanen, nachhaltigen, postnationalen Biotope zurück und prosten uns gegenseitig für unsere klugen Statements zu. Bei Facebook oder bei Tisch. Wir sind so aufgeklärt, die anderen so alt, so weiß, so männlich. Cheers to that!

Wirklich klug und zielführend wäre es aber, das Gespräch mit denen zu suchen, deren Weltbild wir gerade so eklig finden. Oder noch mal anders gefragt: die meisten unserer Väter und Großväter sind alte weiße Männer. Und das sind ja wohl kaum alles sexistische, nationalistische, homophobe, carnivore Deppen?!

Mich verwirrt es, wenn selbst innerhalb meiner eigenen analogen und digitalen Blasen nach Ereignissen wie Trump und BREXIT Leute mit kunstvollen politischen Statements auftauchen, die sich sonst zu fein sind fürs Politische, und allem ernsthaft Etabliertem nur mit ironischer Distanz begegnen können. Wenn dann Politik für ein paar Tage sexy ist, wird halt mitgemacht. Hier was aufschnappen, da was nachplappern, fertig ist der Post, der Tweet, das Bild. Anschließend geht es zurück in die eigene Welt der Patchwork-Moral, in der man sich in der Lederjacke ‘nen veganen Kaffee bestellt und online erst den Ökostrom und anschließend den Flug nach Neuseeland bucht. Ob angesichts dessen ausgerechnet wir diejenigen sind, die die Welt verstanden haben, könnte man da schon mal in Frage stellen.

Dass alte weiße Männer Wahlen entscheiden, ist zunächst mal ein statistischer Befund mit geringem Neuigkeitswert. Es ist noch lange keine Erklärung. Ebenso wie der Hinweis, dass die Wahl in den USA und das BREXIT-Votum anders ausgegangen wären, wenn nur Leute unter 35 gewählt hätten. Das Problem ist nämlich, dass von denen nicht genug zur Wahl gehen und das die Jugend verlernt hat, ihre Position außerhalb ihrer Peer-Group zu erklären und zu verteidigen. Und vor allem deshalb sind die alten weißen Männer nun so entscheidend: Weil wir so diskursunfähig, so zögerlich, so bequem, so exklusiv sind in unserer avantgardistischen Weltgewandtheit, mit der wir alles tolerieren außer Leute mit aus unserer Sicht weniger fortschrittlichen Haltungen. Schön an dieser Stelle der Hinweis in Richard Meng’s Beitrag „Unsere Schuld“ auf die immer selten werdende Zumutung „…sich hin und wieder aus Anlass von Geburten, Hochzeiten oder Trauerfeiern mit den so ganz anderen Gefühlswelten in der eigenen Sippschaft in ihrer ganzen kulturellen (oder auch kulturlosen) Breite auseinandersetzen zu müssen…“

Ich meine das auch extrem selbstkritisch. Wie oft höre ich irgendeinen Scheiß und ich denke mir: mein Gott, darauf gehe ich jetzt echt nicht ein. Leider ist das eine ziemlich bequeme Haltung mit potenziell unbequemen Folgen. Gute Zeiten haben wollen erfordert Widerspruch, wenn sich Meinungen regen, die diesen guten Zeiten im Weg stehen. Das müssen viele von uns erst wieder lernen. Ich fürchte, ich auch.

Unsere westliche Industrienationen-Welt kennt zunehmend nur noch zwei gesellschaftliche Gruppen: Eine kleine Gruppe, die in der Lage ist, sich jeder wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderung anzupassen und diese für sich zu nutzen. Und eine große Gruppe, die diese Anpassungsfähigkeit nicht hat oder nicht haben will. Weil sie zu arm, zu krank, zu ungebildet, zu ländlich, zu wenig mobil ist. Die Gründe sind vielschichtig, das Resultat ist identisch: wir eilen davon, andere bleiben zurück. Wir sind denen suspekt, und die sind uns suspekt. Weil wir denen zu schnell und zu “post” und die uns zu langsam und zu “pre” sind.

Diesen Graben schließen wir nur, wenn wir unsere intellektuelle und ökonomische Mobilität und Flexibilität nutzen, um mit denen, die sich abgehängt fühlen, das Gespräch zu suchen. Dazu müssen wir keine exotischen Reisen in entlegene gesellschaftliche Milieus unternehmen. Wir können vor der Haustür damit anfangen. Dann klappt es vielleicht auch wieder mit den alten weißen Männern und einer besseren Welt.

 


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