von Matthias Deutschmann, 12.3.14
Die Ministerpräsidenten der Länder kommen am 13. März in Berlin zusammen, um über eine ungewöhnliche Geldanschwemmung zu beraten. Die Umstellung der Rundfunkgebühren bringt 1,2 Milliarden Euro mehr ein, als die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) den Intendanten zugestanden hat. Allein für den Südwestrundfunk geht es um ein Plus von 170 Millionen Euro. Peter Boudgoust, dem Intendanten des SWR, bereitet das Probleme, denn er hatte 2011 ein drohendes Finanzloch von 166 Millionen prognostiziert. Boudgoust nahm das selbsterdachte Loch zum Anlass, seiner Anstalt einen seltsamen Sparkurs zu verordnen.
Der Hörfunksender SWR3, längst so etwas wie ein Privatsender mit öffentlich-rechtlicher Schutzhülle, kam mit einem Prozent davon, seinen Orchestern, dem Radio Sinfonieorchester Stuttgart und dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, verpasste der Intendant jedoch eine giftige Sparquote von 25 Prozent.
So konnte der Sparstratege Boudgoust im Februar 2012 eine ganz im Stillen vorbereitete Lösung aus dem Hut zaubern: Ein „Super Plus Orchester“, geschickt als schwäbisch-badische Fusion verkauft, aber doch nichts anderes, als eine Aufstockung der Stuttgarter Radiosinfoniker durch das aufgelöste SWR Sinfonieorchester.
So beerdigt man ein Orchester von Weltrang
Es hagelte Proteste. Aus Paris schrieb Pierre Boulez, Simon Rattle aus Berlin. Die UNESCO schaltete sich ein. Bei Boudgoust flossen die Krokodilstränen: „Ich verstehe ganz und gar die Bitte, die Fusion der Orchester zu überdenken, aber der Rundfunkrat – unser Kontrollgremium – hat sich hinter unsere Entscheidung gestellt, die Orchester aus finanziellen Gründen zu vereinigen.“ Was für ein Schmierentheater! Im Juni 2012 hatte der Rundfunkrat, zum größten Teil eine kulturpolitisch blinde Runde von Spesenrittern mit Streuselkuchen im Kopf, die destruktiven Pläne des Intendanten brav abgenickt, und nun verschanzt sich der Herr und Meister hinter seinen Hofschranzen. So beerdigt man auf der Basis falscher Zahlen ein Orchester von Weltrang.
Inzwischen hat der Wissenschaftsausschuss des Stuttgarter Landtags den SWR aufgefordert, Möglichkeiten für den Erhalt des Orchesters zu prüfen. Boudgoust antwortete innerhalb weniger Stunden: „Wir haben sorgfältig und intensiv geprüft, weiteres Prüfen hilft nicht weiter.“ Boudgoust gibt sich den Anschein, er habe „gemeinsam mit seinen Gremien“ alles getan, um zusammen mit „allen denkbaren Dritten“ die Fusion abzuwenden. Dass dem Intendanten dabei die Landesregierung nicht eingefallen ist, spricht nicht für sein Denkvermögen. In Bayern hätte er sich erkundigen können, wie man Orchester rettet. Die Bamberger Symphoniker wurden 2003 zur Bayerischen Staatsphilharmonie; seither werden sie durch Zuwendungen des Freistaats Bayern, des Landkreises Bamberg und des Bezirks Oberfranken im Wege der Stiftung Bamberger Symphoniker finanziert.
Das SWR Sinfonie Orchester ist seit seiner Gründung am 1. Februar 1946 ein herausragender Botschafter der Kulturnation Deutschland. Man stelle sich vor: Zu einer Zeit, als in Nürnberg Nazi-Kriegsverbrecher aufgehängt wurden, spielte man in Baden-Baden auf Betreiben Frankreichs schon wieder Strawinsky. Dieses Orchester steht für die Rekultivierung Deutschlands.
Peter Boudgoust beruft sich bei seinem Zerstörungswerk auf die verfassungsrechtlich verbriefte Unabhängigkeit des Rundfunks. Die Wirklichkeit sieht allerdings etwas anders aus. Am 29. Juni 2012, als der Rundfunkrat über die Fusion beriet, gab der Verwaltungsdirektor Viktor von Oertzen den Räten eine kleine Entscheidungshilfe: „Der Vorsitzende der Rundfunkkommission, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz“, so der Protokollant, „habe noch im Januar gefordert, die Zahl der Rundfunkorchester zu reduzieren. Reagiere der SWR auf solche Aussagen nicht, sehe die Politik wohl keinen Anlass, den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.“ Im Klartext: Löst das SWR Sinfonieorchester auf, dann gibt es mehr Geld für Katzenberger & Co.
Druck aus der Staatskanzlei?
Der Impuls zur Abwicklung des SWR Sinfonieorchesters kam also aus Rheinland-Pfalz, und zwar vom damaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck, der seinerzeit den Vorsitz in der Rundfunkkommission innehatte. Boudgoust exekutiert das, was der Politiker Beck verlangte. Es ist beschämend, wie die Mitarbeiter des SWR die Zerstörung eines Orchesters von internationaler Bedeutung beschweigen müssen. Dem Chefdirigenten Francois Xavier Roth hat Boudgoust vertraglich untersagt, mit einem Button für den Erhalt seines Orchesters zu werben. Roth unterschrieb, weil er sein Orchester nicht alleine lassen wollte. Winfried Kretschmann, der kreuzgute, konservative Landesvater, der so wunderbar bedächtig reden kann, schweigt. Herr Ministerpräsident Kretschmann, es isch noch nix geschwätzt. Und sagen Sie bitte nicht: Wir können alles außer Hochkultur.
Der Kabarettist, Cello- und Schachspieler Matthias Deutschmann, 55, lebt mit seiner Familie in Freiburg. Derzeit ist er mit dem Programm „Eurocalypse Now!“ auf Tournee. Foto: Albert Josef Schmidt