#Change Management

Wie innovativ Journalismus sein muss

von , 24.3.13

Journalismus in der digitalen Moderne” heißt ein Buch, das in diesen Tagen erscheint — der Titel beschreibt in seiner Nüchternheit, was viele Kollegen in diesen Jahren des Umbruchs und der gefühlten Dauerkrise umtreibt: Wie verändert die Digitalisierung unsere Profession?

Ich wurde, nach sechs Jahren im Online-Journalismus und vielen Gesprächen mit Digital-Kollegen etlicher großer und kleiner Medienhäuser, um ein Kapitel über Innovation und Innovationskultur gebeten, das ich auch hier veröffentliche.
 

“Was mir am besten gefällt am deutschen Onlinejournalismus, ist die unglaubliche Zähigkeit und der Humor, mit dem so viele Redakteure unterhalb des Radars traditioneller Medienkapitäne die Zukunft vorbereiten.”

Wolfgang Blau, Chefredakteur Zeit Online bis Frühjahr 2013, im Oktober 2012

 

Von der Unkultur der Innovation

Innovation ist ein fürchterliches Blähwort. Wer es ausspricht und Hirn hat, will es am liebsten gleich zurücknehmen. Jeder ist innovativ heutzutage. Jeder ahnt, dass diejenigen am lautesten nach Innovation schreien, die die größten Probleme damit haben. Innovation gehört als Wort, wie es gerade missbraucht wird, auf den Index jeder ernstzunehmenden Redaktion. Innovation heißt auf Deutsch Erneuerung, was eigentlich etwas Schönes ist, und die Frage sei gestellt, wie es mit dem Wort soweit kommen konnte.

Jeder hat vermutlich seine eigene Geschichte mit dem Niedergang des Begriffs. Einige erinnern sich da vielleicht an 1998. Damals machte Gerhard Schröder mit dem Slogan “Innovation und Gerechtigkeit” Wahlkampf und einen Außenseiter aus der Internet- und Computerbranche zum Schattenwirtschaftsminister (vgl. Dettmer/Knaup/Leinemann 1999). Jost Stollmann war in der SPD-Dramaturgie die Rolle des Innovatoren zugedacht. Am Ende obsiegte im Machtspiel die personifizierte Gerechtigkeit namens Oskar Lafontaine.

Stollmanns politische Karriere war mit Schröders Sieg beendet, was nicht schlimm war, weil er auch einigen Unsinn redete, aber so ist das mit der Innovation: Das Reizwort wird gerne benutzt wie Flitter, der dekorativ glänzt — und den es dann schnell mal verweht, wenn es ernst wird. Innovation ist oft rhetorisches Beiwerk im öffentlichen Diskurs, statt inhaltliches Zentrum.

Die schiere Aussprache des Begriffs verleitet dazu, sich fortschrittlich fühlen zu dürfen, ohne noch vom Wort zur Tat finden zu müssen. Der Flirt mit der Zukunft ersetzt das Arbeiten an der Zukunft. Uns Journalisten ist in der Innovationsshow in der Regel die Rolle zugedacht, die Innovationsinszenierung zu transportieren, was oft funktioniert — vor allem, wenn Journalisten von den Innovationsthemen wenig verstehen. Stollmann war eine Art Fortschrittsplacebo für Schröder, wie es normalerweise die Rundgänge von Politikern auf Technikmessen sind oder die possierlichen Besuche in Hightech- oder Internet-Firmen.

Heute, vierzehneinhalb Jahre später, wäre es vermutlich wieder ein innovativer Coup, einen zweiten Stollmann aus dem Nichts zu zaubern, der dann solche Dinge sagt wie damals der erste: “Wir müssen jetzt endlich das Signal setzen: Die Deutschen brechen auf. Ich muss jetzt immer nach Amerika reisen, um herauszufinden, wie Zukunft geht. Ich möchte gerne, dass Amerikaner zu uns reisen.” Letzteres ist 2013 noch eher selten der Fall — gerade was digitale Innovation angeht. Und gerade, was den Journalismus betrifft. Womit wir beim eigentlichen Drama sind: der digitalen Innovation im Journalismus.

Im März 2011 kam es in der Bundespressekonferenz zu einem Eklat, der gleich wie ein doppeltes Echo der beschriebenen Innovationsunkultur wirkte. Da saßen Hauptstadtjournalisten, die zur Elite ihres Berufsstandes zählen wollen, und knöpften sich einen Regierungssprecher vor, weil @RegSprecher Steffen Seibert eine USA-Reise der Kanzlerin auf Twitter angekündigt hatte.

Doppeltes Echo, weil erstens die Regierungschefin hier mediengerecht Twitter für sich besetzen ließ: nicht etwa mit einem eigenen Account, sondern stellvertretend in Szene gesetzt über ihren Sprecher. Zweitens, weil sich die Journalisten einer solchen Inszenierung nun nicht mehr fügten, sondern protestierten — allerdings nicht auf Höhe der Innovation, sondern in Opposition zu ihr. Nachdem die Innovation namens Twitter plötzlich nicht mehr nur harmloses Inszenierungsmittel war, sondern real-bedrohliche Bedeutung für die Kollegen bekam, begehrten sie auf.

In anderen Ländern hätten Reporter vielleicht kritisiert, dass Angela Merkel nicht selbst twitterte. Hier kritisierten Weltfremde aus der berühmten Berliner Käseglocke, dass die Kanzlerin einen PR-Kanal in einer digitalen Welt aufmacht, den zwar Millionen Leute draußen verstehen, sie selbst aber nicht. Die Szene war das peinlichste, was den Bundesjournalisten in vielen Jahren passiert ist — zur Verzweiflung gerade junger Kollegen in Berlin, die in Neuem nicht sofort eine Bedrohung von Besitzständen sehen.

Das Spannendste an der Geschichte ist mit zwei Jahren Distanz, dass sich danach manches verändert hat. Heute sind zuhauf Berliner Kollegen auf Twitter: weil sie über das Netzwerk tatsächlich Informationen früher bekommen als einst, was wichtig ist in der Hektik des Hauptstadtjournalismus. Twitter nützt den Journalisten. Der Druck, Twitter zu nutzen, ist darum groß. Mit bösem Blick ließe sich aus Fällen wie Stollmann und Seibert ableiten: Journalisten lieben schöne Geschichten zu Innovationen, gern zu Hightech und Internet, selbst wenn diese nur inszeniert sind — aber wehe, die Innovation trifft sie selbst. Dann setzt ein, was das Change Management als Phasen des Übergangs von einer alten in eine neue Welt kennt.

 

In den Phasen des Übergangs

In der Theorie laufen diese Übergangsphasen psychologisch so ähnlich ab, als bekäme man gesagt, dass man nur noch einige Monate zu leben hat, oder dass etwas anderes Schreckliches passiert ist. Erst leugnet man die Nachricht. Dann setzen Wut und Verzweiflung ein. Darauf folgen rationale Akzeptanz und irgendwann emotionale. Am Ende gewöhnt man sich an den veränderten Alltag. Bei manchen Menschen wiederum dauert das solange, dass sie gar nicht mehr in die neue Welt rüberkommen.

So zäh zieht sich oft auch Innovation im Journalismus. Das ist erstaunlich, weil das Neue in der Welt eigentlich unser Job ist. Wir machen Nachrichten, und Neugier gilt uns dabei als eine Art Berufsvoraussetzung. Wir haben in vielen Millionen Geschichten seit vielen Jahrzehnten immer wieder beschrieben, wie schwer sich andere Branchen, Länder, Menschen, Wasauchimmer mit einem bestimmten Wandel tun.

Wieso tun sich viele Journalisten dann so schwer, Neues in ihrem Job anzunehmen?

Wolfgang Blau hat in einer bemerkenswerten Grundsatzrede dargestellt, wie “Zeitungsredaktionen das Internet nun viele Jahre lang tendenziell als ein eher bedrohliches Phänomen dargestellt haben, das Kriminalität befördert und den Niedergang kultureller Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes beschleunigt”; dass “ganze Mythologien entstanden (sind) wie etwa die, dass ein besonnener, nachhaltiger intellektueller Diskurs eher auf Papier als im Netz stattfinden könne” (Blau 2012b).

Er und andere Kritiker bewerten auch die Urheber- und Leistungsschutzrechtdebatten als eine Art Abwehrkampf gegen die digitale Ära. Tatsächlich werden Zukunftsdiskussionen in unserer Branche selbst von klugen Kollegen oft verbittert-verengt geführt — und verzweifelt, da am Ende vermutlich ohne Chance auf einen Sieg. Denn was soll das hier sein, ein Sieg?

Diese Kollegen agieren als Konservative, als Bewahrer in eigener Sache, wobei sie eben jene eigene Sache riskieren: den Journalismus, der nun mal nicht am Papier oder den analogen Rundfunkwellen als Übermittler hängt. Wer sich der digitalen Innovation, die für viele Journalisten nunmehr bedrohlich oder begeisternd real geworden ist, mit verqueren Argumenten verschließt, wer digitale Medien nicht als selbstverständliche Bühne annimmt, wer es also gar nicht in die neue Welt schaffen will — der kann diese auch nicht erobern, und der verschließt sich immer größeren Teilen seines potentiellen Publikums.

Doch ohne Publikum kein Geld, kein Journalismus. In Deutschlands Redaktionen können Sie heute alle Typen beobachten: den Leugner, der auf die rasche Rente hofft oder auf einen Reporterjob klassischen Zuschnitts. Den Wütenden, der hintenrum gegen Neuerungen agitiert und vornerum vielleicht sogar den Innovativen mimt. Den Verzweifelten, der mit den neuen Techniken nichts anzufangen weiß, obwohl er eigentlich will. Den rational Akzeptierenden, der weiß, dass er mit diesen Sachen warm werden müsste, aber einfach lieber elegische Reportagen schreibt. Den emotional Akzeptierenden, der von sich aus ein Onlinepraktikum macht oder sich freut, bei Online endlich wieder Texte zu veröffentlichen, weil er in Print schon lange nichts mehr untergebracht hat. Und dann jene Kollegen, die kaum zurück wollen in die alte Welt — in der Regel sind das vor allem jene, die man Digitale oder Onliner nennt.

 

Zu einer Kultur der Innovation

Jahrelang waren die Onliner die Underdogs der Redaktionen, die zweite Klasse des Journalismus, oft jung, unterbezahlt, bemitleidet vom Establishment des jeweiligen Medienhauses. Ihre Arbeit brachte wenig Geld ein, wenn überhaupt, und dafür mussten sie immer auf Klicks der Leser schielen. Inzwischen werden die Digitalen selbstbewusst. Sie sind in der Rolle der Erneuerer, bei ihnen wachsen Umsätze noch, oft nur bei ihnen. Der Veränderungsdruck ist groß geworden im Journalismus, und nur sie sind schon dort, wo andere jetzt hin müssen. Sie verfolgen deren Übergang in die neue Welt und wundern sich: Wieso soll das so kompliziert sein?

Wenn heute ein, sagen wir, Fernsehkollege dem Internetredakteur Tipps gibt, wie er seinen Job machen soll, oder ihm doziert, wie dämlich sein Medium ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Onliner wegduckt und sich ins Underdog-Schicksal fügt, geringer als vor fünf Jahren. Man lässt sich nicht mehr unwidersprochen von Kollegen belehren, beleidigen oder bemitleiden, die Halbwissen haben und nichts dazulernen wollen. So viel Selbstvertrauen ist gesund. Man stelle sich vor, früher hätte ein Printkollege zum Fernsehmann gesagt, wie er einen Beitrag schneiden soll. Surreal wirkt das.

Nur bei digitalen Medien ist es anders. Denn erstens funktioniert im Internet jedes Ausdrucksmittel der bisherigen Medien, von Text über Ton bis Bewegtbild — weshalb jeder Journalist im Zweifelsfall erst mal denkt, die Innovation sei gar nicht so groß und man selber im Grunde schon Experte. Zweitens nutzt heute jeder Journalist das Internet so selbstverständlich, dass die Komplexität gerade beim Blattmachen (den Printbegriff haben Onliner adaptiert) unterschätzt wird. Das wäre nicht schlimm, solange man sich eines Besseren belehren ließe. Letzteres aber fällt, drittens, vielen etablierten Kollegen schwer, weil Onliner im eigenen Kopf immer noch jung, unterbezahlt und zweite Klasse sind.

Eine Innovationskultur in Redaktionen muss an diesen Stellen ansetzen. Erst, wenn jeder versteht, dass die digitalen Medien eigene Expertise brauchen und die eigenen Experten eine gewisse Wertschätzung – kurz: Erst wenn Augenhöhe hergestellt ist -, wird der Übergang von der neuen in die alte Welt gelingen. In keinem Fall wird es helfen, Scheingefechte zwischen alter und neuer Welt auszutragen, dafür werden Zeit und Geld zu knapp.

Die Methoden, um mehr Verständnis füreinander zu schaffen, sind vielfältig. Bei vielen Medien gehen prominente Vorbilder voran: Der Starautor schreibt für Online, also mache ich es besser auch. Beim Bayerischen Rundfunk hat der Intendant die Ära der Trimedialität offiziell ausgerufen, also Radio + Fernsehen + Online, und plötzlich reden auch Lordsiegelbewahrer der Tradition über Veränderung. Bei wieder anderen gibt es Lob und Boni für Vordenker, oder die Chefs strafen Verweigerer.

So oder so, in den meisten Fällen funktioniert diese Veränderung nur von oben — weil sonst die Kollegen unten, die von sich aus vorangehen würden, zu große Widerstände befürchten müssen. Auch wenn das zur angeblich individualistisch-liberalen Journalistenzunft kaum passen mag: Innovation wird unten oft erst richtig gelebt, wenn sie oben verlangt und gefördert wird. Das fordert den Chef, der Change Management versteht, und den Mitarbeiter, der Change gut finden sollte. Kurz, es fordert grundlegendes Umdenken von beiden Seiten.

 

Innovation als Dauerzustand

Was tun bei Innovationsangst, -müdigkeit und -scheu? Das Gegenteil ist jeweils die einzig richtige, einzig zulässige Antwort: Mut fassen und aufrappeln, nicht bequem werden, sich für das Neue begeistern. Auch wenn es schwer fällt, weil es mehr Arbeit bedeutet — aber niemand ist in den Journalismus gegangen, weil das ein leichter Job ist. Jeder Berufsanfänger, auch jeder Kollege kurz vor der Rente sollte es wissen: Journalismus wird künftig dauerhaft Innovationen ausgesetzt sein.

Es gibt keine Ruhephasen mehr. Dieser Beruf wird sich permanent neu justieren müssen. Nicht immer radikal, aber zumindest regelmäßig graduell. Die Digitalisierung hatte schon bisher umfassende Folgen für die alten Medien, deren Rollen neu definiert worden sind und noch werden. Und so geht es weiter. Das nicht ganz so neue Medium namens Internet bringt ständig neue Möglichkeiten oder Herausforderungen.

Die vielleicht dümmste Frage, die man einem Journalisten heute stellen kann, ist die nach der Zukunft: Wird es in zehn Jahren noch viele Zeitungen geben? Wie sieht das Internet in fünf Jahren aus? Solche Zeiträume lassen sich nicht mehr überblicken, dafür ändert sich das Geschäft zu schnell. Das ist für viele Kollegen verstörend, weil es sich bei Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendern jahrzehntelang gut leben ließ und der Zweck dieser Medien nun in kleineren oder größeren Teilen infrage gestellt wird, ohne dass alle schon eine Antwort haben. Dagegen kann man nichts machen.

Fest steht aber: Nur wer jetzt Antworten sucht, hat eine Überlebenschance; wer nicht, ist bedroht. Wir kennen diese Mechanik, wir haben sie in anderen Branchen x-mal beschrieben. Es ist die Mechanik der Marktwirtschaft. Wir Journalisten waren ihr lange nicht unterworfen, weil das Geld der Anzeigenkunden und Leser, Zuhörer, Zuschauer immer irgendwie kam. Diese Selbstverständlichkeit ist durch die Digitalisierung der Informationen erodiert. So funktioniert Innovation. Schöpferische Zerstörung hat Joseph Schumpeter das genannt. Der Journalismus wird schöpferisch zerstört — oder zerstörerisch neu erschaffen, wie man will.

So umfassend, wie sich dieser Prozess vollzieht, haben ihn nur wenige vorhergesehen. Der Vergleich mit der Erfindung des Buchdrucks, der Dampfmaschine oder der Elektrizität ist Legende. Und selbst, wer das für zu groß gegriffen hält: Die bisher größten journalistischen Umwälzungen in der jüngeren deutschen Geschichte, ob das frühere Zeitungssterben, die Gründung des ZDF, die Einführung des Privatfunks, die Neugründungen einiger Printtitel, der Journalismus-Neuaufbau Ost — nichts davon ist im Ansatz vergleichbar mit der Digitalisierung.

Denn diese betrifft alle älteren Medien zugleich, und zwar restlos; das ist neu, das gab es so noch nie. Alle anderen Medien können potentiell im digitalen Medium aufgehen, während sich dieses noch dazu permanent weiterentwickelt. Was für eine Herausforderung, was für eine Chance für Neugierige! Für viele Kollegen, die noch fremdeln, ist digitale Innovation dagegen wie ein Nebelschleier. Es ist eine amorphe, gefährlich wirkende Erscheinung von unbekannter, aber immer größerer Dimension. Viele wollen lieber gar nicht wissen, wie dieses Ding funktioniert. Dabei ist es nicht so kompliziert. Man muss nur verstehen, dass die digitale Revolution gar keine große einzelne Umwälzung ist, sondern eine Kaskade weitreichender Evolutionen.

Am Anfang, in den Zeiten ratternder Modems, war Onlinejournalismus das, was sich heute noch viele etablierte Kollegen als Onlinejournalismus vorstellen: Text plus Bild, vielleicht eine Bildstrecke, gepresst auf ein paar Pixel, ausschließlich auf Klicks getrimmt, zunächst billig verkauft an eine nerdig-geekige Leserschaft.

Doch dann war es irgendwann für Millionen schick, drin zu sein im Netz, es wurde zu einem Massenmedium, und schließlich kam DSL. Journalismus hatte plötzlich kaum noch Größengrenzen: riesige Bilder in Sekundenschnelle, Audio, Video, Live-Fernsehen auf dem Rechner. Es folgte das mobile Netz, befeuert durch das iPhone: Plötzlich war das Internet immer und überall, war Journalismus immer und überall, ohne dass man noch am Kiosk eine Zeitung kaufen musste. Parallel kamen Apps auf. Sie zwängten den Journalismus aus den Weiten des Netzes wieder in abgeschlossene Gefäße mit einem Markennamen darauf. Dann folgten die Tablets, die digitalen Journalismus zieh-, tast- und berührbar machen, ihn also für Nutzer enttechnisierten. Und schließlich, in den vergangenen Jahren über allem: Social Media, das globale Meta-Netz aus Freunden, Fans und Daten, das Journalisten ihrem Publikum so nahe bringt wie nie zuvor.

Das ist nur ein grober Rückblick. Wer will daran zweifeln, dass es weitere solche Evolutionen geben wird? Keine der skizzierten Entwicklungen ist abgeschlossen.

Was bedeutet das schnelle Internet zum Beispiel für das klassische Fernsehen — und in der Folge auch für Verlage, Stichwort Second Screen? Wird das mobile Netz das klassische kannibalisieren, weil bald mehr Menschen auf dem Handy surfen als im Büro? Wie entwickelt sich die App-Ökonomie der Medienhäuser weiter? Werden Tablets und Laptops allmählich verschmelzen — und was bedeutet das für Informationsangebote? Und welche Marktchance haben wir Journalisten künftig genau, wenn digitale Information zusehends von Beziehungsnetzwerken geprägt wird?

Wenn Innovation zum Dauerzustand wird, müssen wir als Branche lernen, in solcherlei vielseitigen Abhängigkeiten zu denken, Chancen und Risiken von Neuerungen permanent gegeneinander abzuwägen, kurz, uns auf die Komplexität dieser Welt einzulassen. Die einfachen Antworten und Perspektiven gibt es für uns in der Informationsindustrie nicht mehr. Außer vielleicht eine Gewissheit: Finanziell wird das alles die größte Herausforderung.

Wir alle wissen, dass das Geld für unsere Arbeit künftig schwieriger zu verdienen sein wird als in den vergangenen Jahrzehnten, und dass unser Publikum zu unserem Verbündeten in diesem ganzen Prozess werden muss, am besten zu einem gerne zahlenden Verbündeten. Unsere Finanzierung in der digitalisierten Welt zu sichern, werden wir in Zukunft nur schaffen, wenn wir mit unserem Journalismus an der Spitze der Innovation stehen. Welcher Leser, Zuhörer oder Zuschauer verbündet sich schon mit Vertretern des Ewiggestrigen?

Datenjournalistische Projekte mögen teuer sein, interaktive Features und Videos aufwändig, Social-Media-Aktivitäten sich nicht sofort refinanzieren — nötig sind all diese Innovationen trotzdem. Aus journalistischen Gründen ohnehin, aber eben auch aus wirtschaftlichen.

In einem sehr dichten Wettbewerb der Internetangebote hilft nur publizistische Differenzierung, um herauszustechen und das Publikum zu überzeugen. Anders formuliert: Publizistische Innovation ist die einige Chance, sich eine starke Marke auch in der digitalen Welt aufzubauen. Das fordert Redaktionen zu Innovation und Kreativität heraus. Nicht nur im Alltag — sondern auch in ihrer eigenen Funktionsweise.

 

Strukturen für Innovation

Jahrelang predigten Redaktionsreformer, dass wir Journalisten zu den berühmten eierlegenden Wollmilchsäuen werden sollen. Mal sollten alle Zeitungsredakteure auch das Onlinepublizieren aus dem Effeff beherrschen, mal sollten Lokalreporter auch VJs werden. Jeder soll potentiell alles können — das beschrieben Berater als Zwangsmaßnahme im Innovationsprozess.

Das kann in einigen Häusern und bei einigen Titeln der richtige Weg sein. Aber bei allen? Wer glaubt wirklich, dass eine 300-Zeilen-Reportage besser wird, wenn der Reporter im afrikanischen Dschungel neben der schwierigen Recherche noch ein Video dreht? Oder eine Pop-Rezension, wenn der Autor noch einen Podcast aufnimmt? Wenn er Zeit und Lust hat und das Handwerk beherrscht: vielleicht ja. Aber sonst ist sein Publikum vermutlich besser dran, wenn hundert Prozent seiner Schaffenskraft in die Reportage oder Rezension gehen.

In diesen Zeiten, in denen Journalismus exklusiver werden muss, im Sinne von: einmalig, unverwechselbar, differenziert vom Informationsgrundrauschen in den Weiten des Netzes — in diesen Zeiten ist nichts innovativer als der Spezialist, der einem Geschichten so erzählt, wie es kein anderer kann. Nur er wird die Leser, Zuhörer, Zuschauer zu seinen Verbündeten machen können.

Niemand wird Fan eines Grundrauschens. Zumindest in den größeren Redaktionen des Landes wird und muss die Spezialisierung stattfinden — weil die Nutzer genau diese Professionalität erwarten. Datenjournalisten ergänzen darum jetzt schon Investigativteams. Interaktiv-Entwickler machen flache Grafiken klick- und erlebbar. Community-Redakteure professionalisieren den Dialog mit den Lesern. Livereporter versorgen die Onlineseiten der Printhäuser, die früher nie live berichten konnten. Blattmacher fürs Internet treten neben Seite-1-Chefs von Zeitungen und Sendungschefs im Rundfunk.

Diese Reihe lässt sich fortsetzen, die Jobprofile vermehren sich. Innovation bedingt, dass wir die Strukturen unserer Redaktionen immer wieder ändern — um immer von Neuem ein gutes Blatt, eine gute Seite, eine gute Sendung machen zu können, wenn sich die Ansprüche des Publikums ändern. Jede Redaktion muss dabei Lösungen finden, die zu ihrer Mission, ihrer Marke passen. Eine Tageszeitung wird da zu anderen Schlüssen kommen als Wochentitel oder die Regionalpresse, und bei Radio und Fernsehen sieht es noch mal anders aus.

Es klingt banal: Innovation bedingt Professionalisieren und Experimentieren. Durchwursteln oder Weiter-so geht nicht mehr, Strukturen und Geschäftsmodelle gehören immer wieder angepasst. Verlage und Sender müssen zu echten Medienhäusern reifen, die auch das Digitale selbstverständlich beherrschen.

Mit am stärksten sieht man den Veränderungsbedarf an Abteilungen wie der IT, die bisher als Sachwalter des Technischen abseits der Redaktionen stand. Passé: Künftig ist eine gute Entwicklungsabteilung der Schlüssel für Erfolg. Das digitale Medium besteht letztlich nur aus Nullen und Einsen in kluger Kombination, und wenn ein von der Digitalisierung herausgefordertes Medienhaus nicht genug Experten dafür hat, fehlt ihm schlicht die Grundlage fürs Geschäft.

Programmierer sind für unsere Zukunft, was Drucker für die Zeitung oder Sendetechniker im Rundfunk sind: Möglichmacher. Virtuosen, die die virtuellen Spielräume für unser Geschäft erweitern. Partner, deren Sprache zumindest einige Journalisten verstehen müssen — ein bisschen HTML hat noch niemandem geschadet, man muss ja nicht gleich selbst programmieren. Mit der EDV-Abteilung, die Zeitungen oder Sender früher hatten, hat das nichts mehr zu tun.

 

Krise als Innovationsmotor

“For me everything starts with appreciating that we are in Schumpeterian Moment.” So beschreibt Tim J. McGuire, US-Journalismusforscher und einstiger Chefredakteur, die Herausforderungen für die Medienbranche. Das Wort Moment ist irreführend, dauert der Prozess doch schon lange und wird noch lange dauern.

Blicken wir auf die vergangenen zehn, 15 Jahre zurück, die durch zwei, drei größere Krisen geprägt waren, dann trifft McGuires Prognose vermutlich zu: “A lot of things we know and love are going to be destroyed, but a lot of wonderful new things will be created.” Auf solche Sätze kann man mit Resignation oder Wut reagieren; dann ist man in den Phasen des Übergangs noch nicht bei der Akzeptanz angelangt. Oder man fügt sich in das Unausweichliche dieser Innovationsära und überlegt, was man Wunderbares daraus machen kann; wie man die zerstörerische Kraft schöpferisch nutzen kann.

Die psychologische Frage im Hintergrund ist, wie viel Pessimismus sich die latent zynische Journalistenzunft noch leisten kann. Zweckoptimismus wäre die bessere Wahl.

Es klingt platt, aber eine Krise ist eben immer auch eine Chance — und Medienhäuser wie Spiegel, Springer und Burda haben sie genutzt, mit Strategien, die man nicht allesamt gut finden muss, die aber gewissen Respekt gebieten. Dass es Wachstum in der Medienbranche heute fast nur noch auf digitalen Plattformen gibt, müsste auch Skeptikern klar machen, dass sich Fundamentales ändert.

Eine alte Werberweisheit lautet: Money follows eyeballs: Das große Geld fließt am Ende des Prozesses dorthin, worauf die Masse der Menschen schaut. Also seit einiger Zeit zusehends in die digitalen Medien. Krisen beschleunigen diese Umverteilung der Geldflüsse, und der ökonomische Druck auf den Journalismus ist inzwischen groß. Er bedingt, dass sich jedes Medienhaus seinen digitalen Chancen stellt. Erneuerung ist zwingend.

 

Journalisten als Innovationsmotor

Erneuerung ist aber kein Selbstzweck. Wir Journalisten müssen aufpassen, dass es bei allen Innovationen aus wirtschaftlichem Druck heraus nicht zu einer ziellosen Ökonomisierung des Journalismus kommt. Internetseiten, die auf Klick- und Besuchermaximierung zielen, machen vieles, was kein Journalismus im eigentlichen Sinn ist.

Dienstleister bieten inzwischen Tools an, mit denen man den zu erwartenden Anzeigenerlös eines Artikels in Euro optimieren kann, indem sich der Redakteur bei Überschriften, Redigatur und Platzierung den Hinweisen einer Maschine unterwirft. Im englischen Sprachraum schreiben Computer automatisiert Texte, zum Beispiel über Sportereignisse (die sich nicht mal schlecht lesen).

Zu Ende gedacht, zielen solche Methoden darauf, das menschliche Urteil nun auch im Journalismus durch Algorithmen zu ersetzen. Auch das ist Innovation. Aber wollen wir das?

Man kann mit solchen Techniken sicher experimentieren, und ein selbstbewusster Journalist darf Algorithmen zu Rate ziehen. Trotzdem — er darf den Kopf nie ausschalten. Das menschliche Urteil, die kluge Einschätzung und Analyse sind es, die den Journalismus spannend machen, wenn es guter Journalismus ist.

Seit längerem ersetzt klickgetriebenes Infotainment auf vielen Onlineplattformen den aufgeklärten Angang an Themen. Suchmaschinenoptimierung ist manchen Kollegen bedeutsamer als das Streben nach Akkuratesse, Objektivität und Wahrhaftigkeit. Das rührt natürlich an die Basis unseres Berufs.

Die etablierten Kollegen haben uns Onlinern lange vorgeworfen, Trash zu machen; manchmal haben sie Recht, und die Antwort, dass Trash bei den Lesern funktioniert, greift zu kurz. Redaktionen können mit Überboulevardisierung und übertriebener Klickfixierung kurzfristig Erfolg haben, aber wie weit trägt dieser Erfolg?

Wenn eine solche Taktik, die die intellektuelle Kapazität vieler Leser in Wahrheit unterschätzt, zu Schein- oder Trivialjournalismus führt, wenn sozusagen die bunten Seiten der Zeitung im Netz zur Titelseite werden: Welchen Dienst erweisen wir dann der Gesellschaft? Und wie wollen wir ein Publikum, das wir dergestalt deformieren, zu zahlenden Verbündeten machen, wenn es am Ende darum gehen wird, nicht bloß die Online-, sondern auch die Mutterredaktionen digital zu finanzieren?

Es liegen viele Herausforderungen vor uns, und eine der schwierigeren ist, in der digitalen Welt publizistische Werte gegen jene durchzusetzen, die mit Journalismus nichts rechtes mehr anzufangen wissen.

Innovativer Journalismus muss schon noch Journalismus sein. Deshalb verpflichtet uns die gefühlte Dauerbedrohung unseres Berufs in den vergangenen Jahren gleich mehrfach.

Innovativ ist, Trash sein zu lassen. Den digitalen Wettbewerb über publizistische Profilierung zu führen. Die Möglichkeiten des Multimediums auszunutzen. Themen cooler, interaktiver, spielerischer zu präsentieren. Über Erwartungen unserer Nutzer zu debattieren und über die Möglichkeiten, sie für die Zukunft des Journalismus zu begeistern. Auch, sie finanziell zu beteiligen. Neue Formen des Leserdialogs einzuführen. Neue Ansätze für Recherche zu erforschen … – die Liste der Möglichkeiten ist lang.

Wir Journalisten müssen die Hoheit in dieser Diskussion haben. Dafür müssen wir alle auf die nötige Diskussionshöhe kommen. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn die nächste Krise kommt bestimmt. Das muss uns anspornen. Innovation war lange genug ein Blähwort. Sie muss Alltag werden.
 
Crosspost von Plöchinger

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